Hinfallen, ufstehen, Krönchen richten ...
... weitermachen! Fehlerkultur? Fehlanzeige. Jetzt sollen Unternehmen lernen, Misserfolge zuzulassen – und sinnvoller zu scheitern.
Seine erste Anstellung nach dem Elektronikstudium endete mit einer Kündigung. „Der Job war nicht der Richtige für mich. Aber ich habe nicht rechtzeitig den Mut aufgebracht, mir das selbst einzugestehen“, erzählt Oliver Schmerold. Sein damaliger Chef kam ihm schließlich zuvor. Heute ist Schmerold Chef des Autofahrerclubs ÖAMTC und führt rund 4000 Mitarbeiter. Einigen von ihnen erzählte er vor zwei Wochen von seinen Misserfolgen – bei einer firmeninternen „Fuckup Night“. Gleichnamige öffentliche Veranstaltungen, bei denen Menschen auf der Bühne ihre persönlichen Geschichten des Misserfolgs – und der daraus gezogenen Schlüsse – erzählen, gibt es in Österreich bereits seit einiger Zeit. Jetzt finden sie immer öfter direkt in Unternehmen statt. Warum der ÖAMTC mit seinen Führungskräften übers Scheitern spricht? „Weil ich überzeugt bin, dass wir einen ehrlicheren Umgang mit Fehlern im Unternehmen brauchen“, sagt Schmerold. „Wenn etwas schiefgegangen ist, müssen wir Lehren ziehen. Und ich möchte verhindern, dass aus Angst, dass etwas nicht klappen könnte, erst gar nichts versucht wird. Dann gibt es keine Innovation mehr.“Ganz so einfach ist die Sache allerdings nicht. Schließlich ist ein experimentierfreudiger Start-upAnsatz nicht überall der richtige Weg. „Klar, bei der Flugrettung haben wir eine Null-Fehler-Toleranz. Da muss alles funktionieren. Da kann ein Pilot nicht im Einsatz einfach etwas ausprobieren“, sagt Schmerold. In anderen Bereiche sei das aber schon möglich. Auch aus Beinahefehlern, bei denen gerade noch einmal alles gut gegangen sei, könne man viel lernen. Aber eben nur, wenn sie nicht aus Angst vor Konsequenzen verschwiegen würden.
Dejan Stojanovic hat den Scheiter-Workshop beim ÖAMTC organisiert. Der Wiener veranstaltet die öffentlichen Fuckup Nights seit mehr als fünf Jahren. Mittlerweile bietet er mit seinem Failure Institute auch regelmäßig firmeninterne Veranstaltungen an. „Das Problem beginnt bei uns schon in der Schule. Jeder Fehler ist ein Minuspunkt“, sagt er. Europa habe – ganz im Gegensatz zu den USA – eine Kultur der Fehlerprävention. „Prinzipiell ist es ja nicht schlecht, im Vorhinein zu überlegen, was warum schiefgehen könnte, und es dann so zu machen, dass es klappt. Das braucht aber mehr Zeit und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen, wenn es eben nicht funktioniert.“Das will er ändern. Und der Zeitgeist kommt ihm entgegen: Übers Scheitern zu sprechen ist fast ein wenig schick geworden.
Erfunden wurden die Fuckup Nights 2012 in Mexiko, mittlerweile ist daraus ein weltweites Franchising-System gewachsen – mit Veranstaltungen in 321 Städten und 90 Ländern. In Salzburg hat Aleksandra Nagele die Fuckup Nights vor zwei Jahren gestartet. Vier bis fünf Mal im Jahr reden Menschen auf der Bühne über ihre Misserfolge. Die Veranstaltungen sind kostenlos. Wer dabei sein will, muss sich aber mehrere Wochen vorher eine Zählkarte besorgen. Denn freie Plätze gibt es nie. Auch vor wenigen Tagen, als die Salzburger Variante in der Academy Bar den zweiten Geburtstag feierte, war das der Fall. Da erzählte etwa Sonja Schiff, Beraterin in der Altenpflege, wie sie die schlechte Handschlagqualität eines Kunden beruflich beinahe zu Fall gebracht hatte. Der Personalvermittler Robert Kastner erklärte, warum sein Vorhaben, Blind Dates zwischen Personalabteilungen und Jobsuchenden zu organisieren, floppte.
„Wir feiern nicht die Fehler, sondern das Aufstehen. Wir haben das Scheitern mit einem Tabu belegt und sprechen nicht darüber. Das will ich ändern“, erklärt Organisatorin Nagele. Privates und berufliches Scheitern gingen oft Hand in Hand. Im Unternehmensbereich ist die Offenheit dem Thema gegenüber aber noch ausbaufähig. „Die Fehlerkultur ist in Österreich nicht besonders ausgeprägt. Aber es gibt langsam ein Umdenken. Entscheidungsträger merken, dass ein Kulturwandel nötig ist“, sagt Nagele. Deshalb organisiert sie ebenfalls Fuckup-Workshops direkt in Betrieben. So eine Veranstaltung im Unternehmen könne aber immer nur der Anfang eines Transformationsprozesses sein. „Damit man in die Gänge kommt. Damit ist es aber natürlich nicht getan.“
Dass in puncto Fehlerkultur noch sehr viel Luft nach oben ist, zeigen verschiedene Untersuchungen. Laut einer Marketagent-Studie vom Vorjahr musste jeder Dritte bereits erleben, dass eine Führungskraft einen selbst verursachten Fehler auf einen Mitarbeiter
geschoben hat. Das Vertuschen von Fehlern beobachtete jeder vierte Befragte. Jeder Fünfte gab zu, selbst bereits Fehler verschwiegen zu haben. Allerdings erlebten auch zwei Drittel eine offene Diskussionskultur (siehe Grafik oben).
Matthias Strolz war bereits Unternehmer, bevor er Politiker wurde. Anfang der Nullerjahre interessierte er sich schon fürs Fernsehen. Allerdings nicht wie heute für die Position vor der Kamera: Strolz hatte sich an einem Unternehmen beteiligt, das sich um eine Privat-TV-Lizenz bewarb. „Es hat nicht geklappt, wir sind an der Finanzierung gescheitert“, erzählt er und davon, wie dankbar er dafür ist. Schließlich konnte er seine Energie in andere Bereiche investieren – etwa die Gründung einer neuen Partei. Nun steht Strolz immer öfter vor der Kamera. Ab April moderiert er auf Puls 4 die „Fuckup Show“, in der Menschen von ihren größten Niederlagen erzählen. Derzeit laufen die Dreharbeiten. „Oft sind Niederlagen auch gute Weichenstellungen. Man erkennt aber erst Jahre später, dass sie anderswo Türen aufgemacht haben“, sagt der Vorarlberger. An Bewerbern für die Sendung mangelt es nicht. Auch das wertet Strolz als Zeichen, dass die Fehlerkultur im Land im Umbruch ist. Zwar nicht im Affenzahn, aber immerhin. „Wir müssen das Thema aus der Tabuzone holen. Scheitern ist Teil des Lebens. Wichtig ist, dass man wieder aufsteht, sich aufrappelt, den Staub abklopft und weitergeht“, sagt Strolz.
Was ist mit jenen, die das nicht schaffen? Bei denen nach dem Scheitern nichts mehr kommt, außer vielleicht Schulden und Depression? Darüber habe er sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht. „Wir zeigen in der Sendung nicht nur jene, die wieder voll und ganz im Glanze stehen. Manche haben 100 Prozent der Strecke hinter sich, andere sind gerade erst durch die Talsohle durch und haben noch ordentliche Wegstücke vor sich. Wenn man nur fertige Erfolgsgeschichten zeigt, wäre das zu einseitig“, sagt Strolz. Aber ja, man zeige einen Alkoholiker, der wieder trocken ist, und keinen, der mitten in der Krise steckt. Auch, um Betroffene zu schützen. „Die Hoffnung ist, dass wir durch einen positiven Zugang auch jenen, die noch am Boden liegen, beim Aufstehen helfen.“