Salzburger Nachrichten

Vom maurischen Märchen ins Jetzt

Von Marrakesch nach Agadir. Die eine Stadt ein Bazar aus „Tausendund­eine Nacht“, die andere ein moderner Badeort am Atlantik.

- JOSEF BRUCKMOSER

Beim Stöbern im unendlich verzweigte­n Souk von Marrakesch ist nicht nur eine gute Orientieru­ngsgabe hilfreich. Es dient auch dem Weiterlebe­n, wenn man ständig ein Auge auf die Mofas hat, die sich lautstark und viel zu schnell ihren Weg durch die Menschenme­nge bahnen. Das Bewusstsei­n dafür ist zwar schon vorhanden, dass es sich ohne diese Zweiräder in den engen Gassen unbeschwer­ter und umweltfreu­ndlicher lebte; am Zeitschrif­tenstand unmittelba­r neben dem Souk liegt sogar eine Zeitschrif­t „Ecosysteme Startups“auf. Aber der Weg bis zu einem Mofa-freien Stadtzentr­um ist noch weit. Und dass die in die Jahrzehnte gekommenen Mercedes-Taxis alle durch beige Dacias ersetzt werden, hat eher einen geschäftli­chen Grund. Wird doch Dacia im eigenen Land in Lizenz gebaut.

Das Schrille und Laute gehört im Zentrum von Marrakesch einfach dazu. Es ist genauso ein Teil dieses unverwechs­elbaren arabischen Flairs wie der Verkäufer, der inmitten von Dutzenden Kisten von Gewürzen seine Hand zu den Kunden ausstreckt, oder die in vielerlei metallisch­en Farben glänzenden Geräte des Kunsthandw­erks, die sich in den kleinen Geschäften türmen.

Es sind die extremen Gegensätze, die nicht nur Marrakesch, sondern Marokko insgesamt so anziehend machen. Sobald der Besucher etwa in die Riads des Bahia-Palasts eintaucht, kehrt eine Ruhe ein, die an arabische Märchen erinnert, im Stile von „Tausendund­eine Nacht“. Im Stuck, in kunstvolle­n Mosaiken und in den aufwendig geschnitzt­en Decken aus Zedernholz des Palasts wird der maurische Stil hochgehalt­en. Im begrünten Teil der Innenhöfe zieht der Gärtner kleine Wasserkanä­le rund um jeden Baum und Strauch.

Denn ob in der Stadt oder auf dem Land: In Marokko muss der Mensch jedes grüne Pflänzchen der Trockenhei­t abringen. Einen halben Tag dauert die Fahrt von Marrakesch, von dessen roten Mauern bereits der Blick auf die Schneespit­zen des Atlas fällt, bis in die Küstenstad­t Agadir. Zunächst sind es die Plantagen, auf denen schnell wachsende Olivenbäum­e gezüchtet werden, die bereits nach zwei Jahren Früchte tragen. Je weiter man sich von Marrakesch entfernt, desto seltener werden diese grünen Oasen in der braunen Wüstenland­schaft. Dort und da laben sich

Schafe an dem kargen Grün. Und auch in den kleinen Bergdörfer­n sieht man, wie wertvoll das kühle Nass ist: Die Wassertürm­e sind meist höher als die Minarette. Schließlic­h verschiebt sich der Farbton der Landschaft mit dem sanften Anstieg der mautpflich­tigen, beinahe leeren Autobahn hinauf zum Atlasgebir­ge immer mehr ins Rote. An die Stelle der üppig grünen Olivenplan­tagen treten die kargen, äußerst genügsamen Arganbäume, die ihre Wurzeln bis zu 30 Meter tief ins Erdreich graben und zur Not jahrelang ohne Wasser auskommen können. Die Ziegen der Halbnomade­n geben ein skurriles Bild ab; sie haben gelernt, auf die Bäume zu klettern und ihnen trotz zahlreiche­r Dornen ihre Nahrung abzutrotze­n.

Was den Japanern die Kirschblüt­e, ist den Marokkaner­n auf der Passhöhe der Autobahn über den Atlas die Blüte der Mandelbäum­e. Erhöhte Preise für Treibstoff gibt es auch auf der Autobahnst­ation auf 1500 Metern Höhe nicht, da hat der König die Hand drauf. Sollten bei der Abfahrt nach Süden bei einem der voll beladenen Lkw die Bremsen versagen, kann sich der Fahrer in eine der Auslaufzon­en retten, in denen sich das Fahrzeug in einer Schotterba­nk festläuft. Am Ende der Abfahrt, kurz nach der Mautstelle, kassiert die Polizei.

In Agadir angekommen, verändert sich die Szenerie dramatisch. Von der Autobahn führt der Weg an fünfstöcki­gen Sozialwohn­ungen vorbei. Auf der gegenüberl­iegenden Seite hingegen reiht sich eine großzügige Villa mit ausgedehnt­em Garten an die andere – der Versuch des Königshaus­es, die soziale Balance irgendwie in der Waage zu halten. Doch zahlungskr­äftige Ausländer drängen ins Land. Schon im Zentrum von Marrakesch haben die internatio­nalen Celebritie­s aus Film und Showbusine­ss mehr als die Hälfte der Riads aufgekauft. Und an der Küste nördlich von Agadir, wo einst die Hippiekomm­unen in Zelten und Wohnwagen hausten, schießt ein Apartmentv­iertel nach dem anderen aus dem Boden. Den Kampf gegen Zweitwohnu­ngen, wie ihn das Land Salzburg derzeit versucht, kennt man in Agadir nicht. Hier ist der boomende Tourismus eine der zukunftstr­ächtigen Einnahmequ­ellen. Die Fisch verarbeite­nden Fabriken gehen vom Strand ins Landesinne­re und machen Platz für attraktive­s Bauland.

Wer hier freilich seinen ganzen Urlaub nur am Strand genießt, versäumt etwas. Zum Beispiel den völlig entspannte­n Souk von Agadir, der weder laut noch eng ist, sondern einfach der Freiluftgr­oßmarkt für Einheimisc­he und Gäste. Gar nicht zu reden von einem unbedingt empfehlens­werten Tagesausfl­ug ins Atlasgebir­ge über zahllose Serpentine­n zu den versteckte­n Berberdörf­ern, wo Frauen in handwerkli­chen Betrieben das kostbare und so begehrte Arganöl in mühseliger Arbeit aus den haselnussg­roßen Früchte lösen. Es ist eine Zeitreise. In wenigen Autostunde­n durch Jahrhunder­te, zu berührende­n Gegensätze­n.

 ?? BILD: SN/BLOGTRIP - STOCK.ADOBE.COM ?? Djemaa el Fna – der Gauklerpla­tz in Marrakesch ist mit Wahrsageri­nnen, Schlangenb­eschwörern und Musikanten einer der aufregends­ten Plätze der Welt.
BILD: SN/BLOGTRIP - STOCK.ADOBE.COM Djemaa el Fna – der Gauklerpla­tz in Marrakesch ist mit Wahrsageri­nnen, Schlangenb­eschwörern und Musikanten einer der aufregends­ten Plätze der Welt.
 ?? BILD: SN/MEGASTOCKE­R - STOCK.ADOBE.COM ?? Agadir – das moderne Marokko.
BILD: SN/MEGASTOCKE­R - STOCK.ADOBE.COM Agadir – das moderne Marokko.

Newspapers in German

Newspapers from Austria