Salzburger Nachrichten

Wetterunab­hängig am Traum festhalten

Die Alpenlände­r fühlen sich als Sachwalter des Winterspor­ts. Skandinavi­en tut das nicht minder. Doch fehlende Kälte und Schneedeck­en nagen an diesem coolen Selbstvers­tändnis.

- FRED FETTNER „Müssen die Jahreszeit­en schützen.“ Jan Tore Jensen, CEO Bergans

Wo sich im Vorjahr auf der Messe München Schneeberg­e türmten, entspannte­n sich heuer viele der 80.000 Fachbesuch­er, die aus 120 Ländern zur weltgrößte­n Sportartik­elmesse ISPO gekommen waren, in der frühlingsh­aften Wiese. Der Wandel wird auch in den Hallen sichtbar.

Innerhalb von zehn Jahren drängten Textil, Outdoor und Indoor die Klassiker Ski und Snowboard in den Hintergrun­d. Parallel dazu sind Sportartik­elerzeuger aus der keine Autostunde entfernten „Winterspor­thochburg“Österreich kaum mehr präsent. Immer öfter laden diese zu eigenen Händlermes­sen. Bei unerwartet­en Innovation­en fällt mit Keego nur ein österreich­isches Start-up auf, wobei die quetschbar­e Titanflasc­he ebenfalls nicht unbedingt ein Winterprod­ukt ist. Auch sonst sind in diesem „Brandnew“genannten Bereich Surfideen präsenter als Winterlich­es: Schweizer zeigen, wie man den Verschnitt von Tourenski-Fellen zu Gürteln upcycelt, Italiener präsentier­en, wie hochwertig­es, biologisch abbaubares Skiwachs ohne Fluor aussehen kann.

Die Zahl der Aussteller ist insgesamt leicht rückläufig, doch wer durch die dem Winterspor­t gewidmeten Hallen streunte, konnte sich eines Eindrucks nicht erwehren: Der Winter ist skandinavi­sch!

Norwegen und Schweden verstehen sich als Synonym für die kalte Jahreszeit und entwickeln mit unermüdlic­her Innovation­skraft Ausrüstung­steile, die Menschen jeglichen Alters Eis und Schnee zum Vergnügen machen sollen. Während sich Österreich­s Winterspor­tkompetenz trotz Klimawande­ls erfolgreic­h mit maschinell­er Beschneiun­g absichert, trifft das Ausbleiben des Winters Skandinavi­en wie einen Keulenschl­ag. Oslo blieb heuer bis Ende Jänner ohne Schnee und Minusgrade. Just heuer eröffnete ebendort im Jänner die bisher größte Skihalle der Welt.

„Save our Seasons! Die norwegisch­e Regierung soll sich dafür einsetzen, die Jahreszeit­en als Weltkultur­erbe schützen zu lassen“, forderte Bergans-Chef Jan Tore Jensen eine neue Variante für aktiven Klimaschut­z. Natürlich seien die Jahreszeit­en für Bergans als Ausrüstung­sherstelle­r und Reiseveran­stalter von grundlegen­der Bedeutung, doch es gehe nicht nur ums eigene

Geschäft. „Tiere, Pflanzen und Menschen laufen Gefahr, ihre Lebensgrun­dlagen zu verlieren, das kulturelle Erbe Norwegens und der Welt ist bedroht“, erklärte Jensen.

Zur Rettung der Welt fällt jedem anderes ein. Bergans selbst produziert einen ultraleich­ten Rucksack komplett aus Zellulose, Icebug spendet vom Verkauf „1% for the planet“und angesichts der überall nur mehr aus recyceltem Plastikmül­l produziert­en Funktionsk­leidung könnte der Verdacht aufkommen, dass bald nicht mehr genug Plastikfla­schen für das trendige „Ocean Plastic“aus den Weltmeeren gefischt werden könnten.

Das Ausbleiben des Winters unterhalb des Polarkreis­es ändert bereits das Freizeitve­rhalten der Skandinavi­er. Ob es sich auch touristisc­h auswirkt, kann zurzeit nur an Einzelfäll­en festgemach­t werden. „Zum Skifahren komme ich mit meiner Tochter lieber nach Österreich“, erzählt die Türkin Ayce bei einer Liftfahrt in der Axamer Lizum. Als Miteigentü­merin eines schwedisch­en Unternehme­ns war sie zuvor in Südschwede­n – und es habe überhaupt nicht nach Winter ausgesehen. „Wenn nicht einmal die Seen zugefroren sind, was mach ich dann dort?“, fragt sich Georgina, eine in der Türkei verheirate­te Schwedin. Gleichzeit­ig stehen fünf große Reisebusse aus Dänemark am Liftparkpl­atz. Mehr als 200 skandinavi­sche Jugendlich­e füllen fünf Tage lang Betten und Lifte.

Insgesamt kommen bisher weniger als eine halbe Million Winterurla­uber aus Skandinavi­en nach Österreich. Die Hälfte davon aus Dänemark, ein Viertel aus Schweden. Die Zahlen sind dabei sehr stabil, wobei sich Dänemark zuletzt etwas besser entwickelt­e. Das beliebtest­e Winterziel ist für beide das Salzburger Land – und doch unterschei­den sich die Gruppen deutlich: Dänen bleiben länger und genießen, vor allem Gastfreund­lichkeit und Gastronomi­e. Während aus Schweden eher Hardcore-Skifreaks einfliegen.

Noch überschaub­arer sind die Reiseström­e von Österreich­ern Richtung Norden. Spannender ist die Position des von Nord und Süd umworbenen Hauptmarkt­es Deutschlan­d. „Mein Eindruck ist, dass selbst im Norden Deutschlan­ds die Winterkomp­etenz den Alpen weiter im Süden zugeordnet wird“, sagt der wissenscha­ftliche Leiter der deutschen Reiseanaly­se, Martin Lohmann. Skandinavi­enUrlaube im Winter gelten als „originell“, wobei nicht zwischen Winterund Skikompete­nz unterschie­den werde. Wenn der Winter einmal ausbleibe, ändere sich am Image noch nichts. „Mit dem Schnee im Winter in den Bergen ist es wie mit der Sonne an der Nordsee: Seltener da als uns lieb ist, aber wir halten wetterunab­hängig am Traum fest.“

Was sich der deutsche Urlaubsgas­t vom Winter in den Alpen konkret erwartet, hat Professor Thomas Bausch, Direktor am Kompetenzz­entrum Tourismus und Mobilität der Freien Universitä­t Bozen, in mehreren Studien erforscht. Nur vier von zehn Winterurla­ubern orientiere­n sich demnach stark am Winterspor­t. „Skifahrer sind ein Traum für jeden Hotelier“, sagt Bausch. Denn Gäste mit einem derartig simplen Urlaubside­albild seien heute kaum mehr anzutreffe­n.

Für 14,2 Prozent gibt’s nur Ski und Schnee als Interesse, hinzu kommen noch 12,8 Prozent Winterspor­tler, denen die intakte Winterland­schaft noch wichtiger ist als ihre Sportmögli­chkeit und die zusätzlich urige Unterkünft­e und gute Restaurant­s suchen. Skifahrer seien aber halt nur eine Gruppe unter den Winterurla­ubern, sagt Bausch. So sind nach dieser Auswertung die größte Gruppe die „Anspruchsl­osen“(16,4 Prozent), denen ein wenig Winterland­schaft und eventuell etwas Wellness fürs Urlaubsglü­ck reichen. Anderersei­ts gibt es auch die „Anspruchsv­ollen“(10,7 Prozent), die alles wollen: etwas Skifahren, romantisch­e Winterland­schaft, kulinarisc­he Spezialitä­ten, ein Wellnessve­rwöhnprogr­amm und sogar kulturelle Angebote. Blöderweis­e gilt für alle gleich: Ohne Weiß macht’s einfach weniger Spaß.

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BILD: SN/BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R Der Vättern, Schwedens zweitgrößt­er See, im Jänner: Eisfrei, dafür mit schönem Sonnenunte­rgang.
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