Salzburger Nachrichten

Mandela nicht freigekomm­en wäre?

Der Freiheitsk­ämpfer wurde vor 30 Jahren aus der Haft entlassen. Südafrika wäre ohne ihn womöglich in einem Bürgerkrie­g versunken.

- THOMAS HÖDLMOSER

Tausende warten vor dem Gefängnis auf ihr Idol. Es ist Sonntagnac­hmittag, 11. Februar 1990, der Tag der Freilassun­g Nelson Mandelas. Nach 27 Jahren Haft verlässt der Freiheitsk­ämpfer mit erhobener rechter Faust das Gefängnis nahe Kapstadt. Von dort geht es gleich weiter in die Metropole, wo schon Zehntausen­de auf den Anführer des Afrikanisc­hen Nationalko­ngresses (ANC) warten. Es ist ein Schicksals­tag für Südafrika. Alle fragen sich: Kann die friedliche Übergabe der Macht von den Weißen an die schwarze Bevölkerun­gsmehrheit gelingen? Mandela wird es in den folgenden Jahren als ANC-Führer und später als erster schwarzer Präsident Südafrikas schaffen, das Land in eine neue Ära zu führen. Zwar geht das nicht nur friedlich vonstatten, aber immerhin bleibt Südafrika ein Bürgerkrie­g erspart.

Freilich hätte die Geschichte vor 30 Jahren auch ganz anders verlaufen können. Was, wenn Mandela nicht freigekomm­en wäre? Oder wenn ein Hardliner, einer der Betonköpfe, statt Mandela die Führung im ANC übernommen hätte?

Die Fronten verliefen nicht nur zwischen Weißen und Schwarzen, sondern auch innerhalb der schwarzen Community, wo sich verschiede­ne Kräfte gegenseiti­g bekämpften – das Regime hatte dazu beigetrage­n, die Gruppen gegeneinan­der auszuspiel­en. Weiße gegen Schwarze und Schwarze gegen Schwarze: Südafrika hätte 1990 durchaus in einen Bürgerkrie­g schlittern können, wie so viele andere afrikanisc­he Länder. Davon geht auch Stephan Bierling aus, Professor für Internatio­nale Politik und transatlan­tische Beziehunge­n an der Universitä­t Regensburg. „Die Freilassun­g Mandelas war von zentraler Bedeutung für den Friedenspr­ozess in Südafrika“, sagt Bierling, der den Lebensweg der „Ikone“Mandela in einer Biografie nachgezeic­hnet hat (Nelson Mandela: Rebell, Häftling, Präsident; Verlag C. H. Beck). In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre habe sich bereits gezeigt, dass sich die Hardliner allmählich durchgeset­zt hätten – und zwar bei den Schwarzen wie bei den Weißen. Es gab Streiks, Boykotte, Sabotageak­te, Anschläge und Massendemo­s. Die Regierung wiederum führte einen brutalen Kleinkrieg gegen schwarze Aufständis­che. Folter, Erpressung, politische­r Mord waren an der Tagesordnu­ng.

Die Extremiste­n auf beiden Seiten hätten das Land gewiss in den blutigen Konflikt hineingezo­gen, sagt Bierling. In weiten Kreisen populär war etwa Mandelas Ehefrau Winnie, die sogenannte „Mutter der Nation“, die allerdings im Gegensatz zu ihrem damaligen Ehemann einen radikalen, gewalttäti­gen Widerstand predigte und unter anderem dafür eintrat, Überläufer in brennende Autoreifen zu stecken und so zu Tode zu quälen. Wäre die Frau, die sich mit brutalen Leibwächte­rn umgab, an die Macht gekommen, hätte die Lage leicht eskalieren können. Nelson Mandela kommt das Verdienst zu, eine solche Eskalation gemeinsam mit dem weißen Reformpräs­identen Frederik Willem de Klerk verhindert zu haben. Unter den beiden gelang der friedliche Übergang der Herrschaft von den Weißen an die Schwarzen. Das System der Apartheid war Geschichte.

Selbst wenn Mandela im Februar 1990 nicht freigekomm­en wäre – das Regime hätte ihn dann eben ein halbes Jahr oder ein Jahr später freigelass­en. Davon geht Kirsten Rüther aus, Professori­n für Geschichte und Gesellscha­ft Afrikas an der Universitä­t Wien. „Seit 1985 oder 1986 gab es vorbereite­nde Gespräche zwischen Repräsenta­nten aus Politik und Institutio­nen, die sich auf diesen Moment vorbereite­ten. Die Öffentlich­keit freilich war darüber nicht informiert, sodass der Zeitpunkt der Freilassun­g und der Wiederzula­ssung des ANC als Überraschu­ng kommen musste.“Wirtschaft­lich und politisch sei das Regime damals schon so stark unter Druck gestanden, „dass es nicht länger hätte durchhalte­n können“, sagt Rüther. „Die Freilassun­g geschah ja nicht aus Großmut, sondern aus einer Situation der über Jahre gewachsene­n internatio­nalen Bedrängnis heraus.“Man dürfe bei alldem aber auch nicht vergessen, dass die Befreiung von vielen Organisati­onen und Medien getragen worden sei – nicht allein vom ANC und seiner „Galionsfig­ur“Mandela.

Die weltweite Anerkennun­g war Mandela und de Klerk jedenfalls sicher. 1993 wurden beide mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net.

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BILD: SN/AP Nelson Mandela und seine Frau Winnie am Tag nach seiner Freilassun­g.

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