Im Zentrum der Macht
In Lausanne sitzt das Gehirn von Olympia. Das Internationale Olympische Komitee hat in der Schweiz ein nachhaltiges Zentrum geschaffen. Die Welt soll sehen, wofür Olympia künftig steht. Ist das so? Ein SN-Lokalaugenschein.
Der Wow-Effekt bleibt bei der Zufahrt zur Route de Vidy 9 im schweizerischen Lausanne aus. Nun gut. Die Lage der Zentrale des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) direkt am Genfer See ist zwar atemberaubend, aber das IOC-Headquarter, wie es offiziell heißt, ist doch nicht so pompös wie erwartet.
Seit 1994 ist das Zentrum der internationalen Sportmacht in Lausanne. Dort, wo die großen Entscheidungen rund um Olympische Spiele getroffen werden. Zuerst zentriert in einer mondänen Villa, jetzt um 129 Millionen Euro neu geschaffen und für die 500 IOC-Mitarbeiter bereit. Die Wahl fiel für den Verein IOC mit Hintergedanken auf die Schweiz: Hier müssen keine Gewinne versteuert werden. Aber 95 Prozent der Gewinne werden nach IOC-Angaben ohnehin wieder an die Länder ausgeschüttet.
Die Eröffnung fand im vorigen Juni statt – just 125 Jahre nach der Gründung des IOC durch Pierre de Coubertin, den eigentlichen Vater der olympischen Bewegung der Neuzeit. An ihn erinnert im großen Empfangsbereich eine Bronzestatue zum Anfassen.
„Das Olympic House ist das Zuhause für uns alle“, meinte IOC-Präsident Thomas Bach, seit 2013 im Amt, bei der Eröffnung vor gut einem halben Jahr. Und er meinte damit wohl seine Mitarbeiter und nicht die Öffnung nach außen.
Was zuallererst auffällt, ist eine Stille, die den Innenteil des Gebäudes dominiert. Die Ruhe ist allgegenwärtig und wirkt auch auf die zahlreichen Besucher. Das ist klar. Denn vieles, was in dieser Zentrale passiert, ist streng geheim. Details dürfen nicht nach draußen dringen. Aber selbst die Kontrollen sind geheim. Fast unaufdringlich wird der Besucher durch die Drehkreuze geführt. Beobachtet von einer Vielzahl von Kameras. Die müssen sein.
Für die Sicherheitskonzepte im IOC ist seit fast einem Jahr als Head of Security ein Österreicher zuständig. Aldric Ludescher hat diese brisanten Agenden übernommen. Der weit gereiste Experte ist in seinem früheren Arbeitsleben ein Kenner der Terrorismusszene, vor allem der des „Islamischen Staats“, gewesen. Heute hat Ludescher Olympia im Visier. Gegenüber den SN verrät der renommierte Sicherheitsexperte Details zur IOC-Zentrale: „Was vielleicht schon aufgefallen ist: Wir haben hier keine Zutrittshürden wie Zäune oder Barrieren aufgestellt. Alles soll frei und offen sein“, so Ludescher. Was aber nicht heißt, dass es leicht ist, hier einzudringen, denn die Überwachungssysteme sind allgegenwärtig.
Ein Kernstück der Büros ist ein Sitzungszimmer, das für die IOC-Granden reserviert ist. Dort, wo weitreichende Entscheidungen getroffen werden, ist Verschwiegenheit oberstes Gebot. Eine 15 Zentimeter dicke Tür gibt den Eingang zum Sitzungssaal frei, in dem IOC-Mitglieder – insgesamt gibt es derzeit 140 – sitzen und debattieren. Mit großen Glasfenstern versehen und direktem Blick auf den Genfer See und immer im Mittelpunkt, auch hier: eine olympische Fahne mit den fünf farbigen Ringen als Symbol für die fünf Kontinente. Das Allumfassende der olympischen Idee ist damit gemeint. Und dieses spezifische Symbol hatte das dänische Architekturbüro 3XN mit dem Interieurbüro RBS Group Italy animiert, das IOCHeadquarter als durchgehendes Element zu gestalten. In vielen Winkeln sind die Ringe omnipräsent.
Das Herzstück des neuen Hauptsitzes bildet eine Treppe, die mitten in der Eingangshalle startet und sich über alle drei Stockwerke zieht. Sie besteht aus fünf hölzernen (olympischen) Ringen, die so angelegt sind, dass man auf jeder Etage einige Schritte gehen muss, bevor man zum nächsten Ring und weiter nach oben gelangt. Bewegung und Austausch sind das Ziel. Sogar der oberste Hüter des IOC, Präsident Thomas Bach, gab zu: „Viele Gespräche und Verhandlungen habe ich schon auf den Treppen geführt.“
Bei der Führung durch das Gebäude wird immer wieder betont, die Neugestaltung setze auf „Offenheit des IOC als Organisation“. Etwas, was den Kritikern Argumente entgegensetzen soll. Denn über Jahrzehnte wurde den Vertretern des IOC vorgeworfen, hinter verschlossenen Türen undurchsichtige Entscheidungen gefällt zu haben. Der Ringe-Orden steht und stand nicht immer für korrekte Abwicklungen. 2002 bestimmte beispielsweise der Bestechungsskandal von Mitgliedern vor der Vergabe der Winterspiele in Salt Lake City die Schlagzeilen. Lange Zeit hatte das IOC kein offenes Ohr für den wachsenden Widerstand gegen Kommerz und Gigantismus der Spiele. Dann kam Bach mit seiner 2014 verabschiedeten Reformagenda 2020 und vieles wurde anders. Logisch war der nächste Schritt: Das IOC-Headquarter in Lausanne setzt in Sachen Nachhaltigkeit eine Benchmark. „Es kann nicht sein, dass wir für die Spiele 2020 Richtlinien bezüglich Nachhaltigkeit vorgeben und dann selbst mit diesem Bau etwas anderes demonstrieren“, sagte IOC-Hüter Bach. Dessen deutscher Landsmann Christian Klaue, seit vergangenem Oktober der offizielle IOC-Sprecher, fand bei einem Besuch von ausgewählten österreichischen Journalisten fast euphorische Worte: „Das IOC-Headquarter ist wohl das nachhaltigste Gebäude der Welt.“
Stimmt. Die Liste der Nachhaltigkeit kann sich sehen lassen. Die Toilettenspülungen werden durch Regenwasser gespeist, 135 Fahrradplätze und 40 Ladestationen für Elektroautos wurden geschaffen, 100 Bäume gepflanzt und 95 Prozent des Bauschutts des Ex-Hauptsitzes wiederverwendet. Mit eigens gebauten Rohren wird Wasser aus dem Genfer See geholt und für die Kühlung und Wärmung der Räume genutzt. Symbolisch wird es bei den Solarpaneelen auf dem Dach: Die Solarzellen zur Energieerzeugung sind so verlegt, dass man an die Landung von Friedenstauben erinnert wird.
Das IOC scheint einen neuen Zeitgeist vorleben zu wollen. Modern, nicht verstaubt, wird vorangeschritten. Das Headquarter in Lausanne erinnert mit Kaffeebars an allen Ecken und Enden und mit Rückzugszonen mehr an eine Zentrale von Google oder Facebook denn an eine Organisation, deren Mitglieder eher zur älteren Generation gehören. Mutig in die Zukunft, heißt es schon bei der Außenansicht, denn zu der wellenförmigen Hülle des Gebäudes wurden die Architekten von der Bewegung eines Snowboarders inspiriert – stellvertretend für junge Sportarten, die künftig bei Olympischen Spielen noch mehr im Rampenlicht stehen sollen.
Beim Verlassen des IOC-Headquarters überkommt einen dann aber doch das Gefühl, bei den Führungen viele leere Floskeln gehört zu haben. Und da fällt noch ein Satz ein, den IOC-Präsident Thomas Bach im Umfeld der Headquarter-Eröffnung 2019 getätigt hat. „Es soll ein Neubau sein, an dem die Welt ablesen kann, wofür Olympia zukünftig stehen soll“, sagte Bach. Die Sportöffentlichkeit wird künftig noch genauer hinsehen.