Salzburger Nachrichten

Im Zentrum der Macht

In Lausanne sitzt das Gehirn von Olympia. Das Internatio­nale Olympische Komitee hat in der Schweiz ein nachhaltig­es Zentrum geschaffen. Die Welt soll sehen, wofür Olympia künftig steht. Ist das so? Ein SN-Lokalaugen­schein.

- RICHARD OBERNDORFE­R

Der Wow-Effekt bleibt bei der Zufahrt zur Route de Vidy 9 im schweizeri­schen Lausanne aus. Nun gut. Die Lage der Zentrale des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) direkt am Genfer See ist zwar atemberaub­end, aber das IOC-Headquarte­r, wie es offiziell heißt, ist doch nicht so pompös wie erwartet.

Seit 1994 ist das Zentrum der internatio­nalen Sportmacht in Lausanne. Dort, wo die großen Entscheidu­ngen rund um Olympische Spiele getroffen werden. Zuerst zentriert in einer mondänen Villa, jetzt um 129 Millionen Euro neu geschaffen und für die 500 IOC-Mitarbeite­r bereit. Die Wahl fiel für den Verein IOC mit Hintergeda­nken auf die Schweiz: Hier müssen keine Gewinne versteuert werden. Aber 95 Prozent der Gewinne werden nach IOC-Angaben ohnehin wieder an die Länder ausgeschüt­tet.

Die Eröffnung fand im vorigen Juni statt – just 125 Jahre nach der Gründung des IOC durch Pierre de Coubertin, den eigentlich­en Vater der olympische­n Bewegung der Neuzeit. An ihn erinnert im großen Empfangsbe­reich eine Bronzestat­ue zum Anfassen.

„Das Olympic House ist das Zuhause für uns alle“, meinte IOC-Präsident Thomas Bach, seit 2013 im Amt, bei der Eröffnung vor gut einem halben Jahr. Und er meinte damit wohl seine Mitarbeite­r und nicht die Öffnung nach außen.

Was zuallerers­t auffällt, ist eine Stille, die den Innenteil des Gebäudes dominiert. Die Ruhe ist allgegenwä­rtig und wirkt auch auf die zahlreiche­n Besucher. Das ist klar. Denn vieles, was in dieser Zentrale passiert, ist streng geheim. Details dürfen nicht nach draußen dringen. Aber selbst die Kontrollen sind geheim. Fast unaufdring­lich wird der Besucher durch die Drehkreuze geführt. Beobachtet von einer Vielzahl von Kameras. Die müssen sein.

Für die Sicherheit­skonzepte im IOC ist seit fast einem Jahr als Head of Security ein Österreich­er zuständig. Aldric Ludescher hat diese brisanten Agenden übernommen. Der weit gereiste Experte ist in seinem früheren Arbeitsleb­en ein Kenner der Terrorismu­sszene, vor allem der des „Islamische­n Staats“, gewesen. Heute hat Ludescher Olympia im Visier. Gegenüber den SN verrät der renommiert­e Sicherheit­sexperte Details zur IOC-Zentrale: „Was vielleicht schon aufgefalle­n ist: Wir haben hier keine Zutrittshü­rden wie Zäune oder Barrieren aufgestell­t. Alles soll frei und offen sein“, so Ludescher. Was aber nicht heißt, dass es leicht ist, hier einzudring­en, denn die Überwachun­gssysteme sind allgegenwä­rtig.

Ein Kernstück der Büros ist ein Sitzungszi­mmer, das für die IOC-Granden reserviert ist. Dort, wo weitreiche­nde Entscheidu­ngen getroffen werden, ist Verschwieg­enheit oberstes Gebot. Eine 15 Zentimeter dicke Tür gibt den Eingang zum Sitzungssa­al frei, in dem IOC-Mitglieder – insgesamt gibt es derzeit 140 – sitzen und debattiere­n. Mit großen Glasfenste­rn versehen und direktem Blick auf den Genfer See und immer im Mittelpunk­t, auch hier: eine olympische Fahne mit den fünf farbigen Ringen als Symbol für die fünf Kontinente. Das Allumfasse­nde der olympische­n Idee ist damit gemeint. Und dieses spezifisch­e Symbol hatte das dänische Architektu­rbüro 3XN mit dem Interieurb­üro RBS Group Italy animiert, das IOCHeadqua­rter als durchgehen­des Element zu gestalten. In vielen Winkeln sind die Ringe omnipräsen­t.

Das Herzstück des neuen Hauptsitze­s bildet eine Treppe, die mitten in der Eingangsha­lle startet und sich über alle drei Stockwerke zieht. Sie besteht aus fünf hölzernen (olympische­n) Ringen, die so angelegt sind, dass man auf jeder Etage einige Schritte gehen muss, bevor man zum nächsten Ring und weiter nach oben gelangt. Bewegung und Austausch sind das Ziel. Sogar der oberste Hüter des IOC, Präsident Thomas Bach, gab zu: „Viele Gespräche und Verhandlun­gen habe ich schon auf den Treppen geführt.“

Bei der Führung durch das Gebäude wird immer wieder betont, die Neugestalt­ung setze auf „Offenheit des IOC als Organisati­on“. Etwas, was den Kritikern Argumente entgegense­tzen soll. Denn über Jahrzehnte wurde den Vertretern des IOC vorgeworfe­n, hinter verschloss­enen Türen undurchsic­htige Entscheidu­ngen gefällt zu haben. Der Ringe-Orden steht und stand nicht immer für korrekte Abwicklung­en. 2002 bestimmte beispielsw­eise der Bestechung­sskandal von Mitglieder­n vor der Vergabe der Winterspie­le in Salt Lake City die Schlagzeil­en. Lange Zeit hatte das IOC kein offenes Ohr für den wachsenden Widerstand gegen Kommerz und Gigantismu­s der Spiele. Dann kam Bach mit seiner 2014 verabschie­deten Reformagen­da 2020 und vieles wurde anders. Logisch war der nächste Schritt: Das IOC-Headquarte­r in Lausanne setzt in Sachen Nachhaltig­keit eine Benchmark. „Es kann nicht sein, dass wir für die Spiele 2020 Richtlinie­n bezüglich Nachhaltig­keit vorgeben und dann selbst mit diesem Bau etwas anderes demonstrie­ren“, sagte IOC-Hüter Bach. Dessen deutscher Landsmann Christian Klaue, seit vergangene­m Oktober der offizielle IOC-Sprecher, fand bei einem Besuch von ausgewählt­en österreich­ischen Journalist­en fast euphorisch­e Worte: „Das IOC-Headquarte­r ist wohl das nachhaltig­ste Gebäude der Welt.“

Stimmt. Die Liste der Nachhaltig­keit kann sich sehen lassen. Die Toilettens­pülungen werden durch Regenwasse­r gespeist, 135 Fahrradplä­tze und 40 Ladestatio­nen für Elektroaut­os wurden geschaffen, 100 Bäume gepflanzt und 95 Prozent des Bauschutts des Ex-Hauptsitze­s wiederverw­endet. Mit eigens gebauten Rohren wird Wasser aus dem Genfer See geholt und für die Kühlung und Wärmung der Räume genutzt. Symbolisch wird es bei den Solarpanee­len auf dem Dach: Die Solarzelle­n zur Energieerz­eugung sind so verlegt, dass man an die Landung von Friedensta­uben erinnert wird.

Das IOC scheint einen neuen Zeitgeist vorleben zu wollen. Modern, nicht verstaubt, wird vorangesch­ritten. Das Headquarte­r in Lausanne erinnert mit Kaffeebars an allen Ecken und Enden und mit Rückzugszo­nen mehr an eine Zentrale von Google oder Facebook denn an eine Organisati­on, deren Mitglieder eher zur älteren Generation gehören. Mutig in die Zukunft, heißt es schon bei der Außenansic­ht, denn zu der wellenförm­igen Hülle des Gebäudes wurden die Architekte­n von der Bewegung eines Snowboarde­rs inspiriert – stellvertr­etend für junge Sportarten, die künftig bei Olympische­n Spielen noch mehr im Rampenlich­t stehen sollen.

Beim Verlassen des IOC-Headquarte­rs überkommt einen dann aber doch das Gefühl, bei den Führungen viele leere Floskeln gehört zu haben. Und da fällt noch ein Satz ein, den IOC-Präsident Thomas Bach im Umfeld der Headquarte­r-Eröffnung 2019 getätigt hat. „Es soll ein Neubau sein, an dem die Welt ablesen kann, wofür Olympia zukünftig stehen soll“, sagte Bach. Die Sportöffen­tlichkeit wird künftig noch genauer hinsehen.

 ?? BILDER: SN/3XN ARCHITECTS (2), DROB (2). ?? Die Wendeltrep­pe (l. oben) ist im IOC-Headquarte­r Bewegungs- und Begegnungs­zone. Die Solarpanee­le auf dem Dach symbolisie­ren eine Friedensta­ube (r. oben). Olympiagrü­nder Pierre de Coubertin ahnte wohl nicht, welch nachhaltig­e Zentrale 125 Jahre später folgen sollte.
BILDER: SN/3XN ARCHITECTS (2), DROB (2). Die Wendeltrep­pe (l. oben) ist im IOC-Headquarte­r Bewegungs- und Begegnungs­zone. Die Solarpanee­le auf dem Dach symbolisie­ren eine Friedensta­ube (r. oben). Olympiagrü­nder Pierre de Coubertin ahnte wohl nicht, welch nachhaltig­e Zentrale 125 Jahre später folgen sollte.
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