Zug fahren ist gar nicht schwierig
Einfach tun. Wie es ein europäischer Abgeordneter aus Wien schafft, mit dem Zug nach Brüssel zu pendeln.
Es gibt ihn wirklich. Ein im Frühjahr neu gewählter österreichischer EUAbgeordneter verzichtet auf das Flugzeug. Er nimmt den Zug nach Brüssel – und das lange, bevor die ÖBB ihre Nachtverbindung eröffnet haben. An die große Glocke mag der Sozialdemokrat Günther Sidl (45) das nicht hängen. Die SN trafen ihn in seinem Büro im EUParlament in Brüssel.
SN: Ist das Pendeln recht beschwerlich?
Sidl: Einstellungssache. Für mich ist das Fahren mit dem Tagzug einfach Arbeitszeit. Ich komme auch dazu, mir viele Sachen wirklich genau anzusehen. Der neue Nachtzug bietet natürlich den Vorteil, dass man direkt durchfahren kann.
SN: Und sonst?
Na ja, ich steig in Wien ein, in Frankfurt um und ab dem Zeitpunkt, an dem ich im Abteil sitze, ist es wie ein Arbeitstag. Ich steige um 6.50 Uhr ein und mein Büro weiß, dass ab 7.00 Uhr die ersten E-Mails eingehen. Das klappt auch sehr gut. Und es ist eben auch ausreichend Zeit, einmal inhaltlich etwas tiefgehender zu arbeiten.
SN: Wie lange sind Sie denn unterwegs?
Mit der Unterbrechung in Frankfurt komme ich um 17.35 Uhr in Brüssel an.
SN: Und das halten Sie seit Ihrer Angelobung im Frühjahr 2019 so?
Ja. Ich habe damals für mich persönlich überlegt: Wie mache ich das eigentlich und was ist mein Beitrag? Und außerdem glaub ich, ist es schon auch ein Zeichen. Im Eisenbahnwesen gibt es mit Sicherheit viel Luft nach oben.
SN: Seit Kurzem gibt es ja zwei Mal wöchentlich den viel gefeierten Nachtzug der ÖBB. Schwenken Sie jetzt von Tag auf Nacht um?
Nein, es ist ein Mix. Diesmal bin ich mit dem Nachtzug gekommen, das heißt am Sonntag in Wien weg und Montag vormittag hier an. Aber es ist schon klar: Wenn man mit dem Zug fährt, egal ob Tag oder Nacht, muss man sich die Termine entsprechend organisieren.
SN: Wenn Sie ein Grüner wären, würde man sagen: Klar. Sie sind aber kein Grüner. Was war denn das Motiv für die Zugwahl?
Na ja, ich war vor einem Jahrzehnt schon einmal hier, als parlamentarischer Mitarbeiter. Schon damals habe ich dieselben Diskussionen erlebt, die wir heute noch führen. Es hat sich zwar einiges bewegt, aber wir sind noch lang nicht dort, wo wir hinwollen. Und ganz ohne Flugzeug wird’s nicht gehen. Ich bin auch in der Delegation für Zentralasien und die Mongolei ...
SN: ... und da werden S’ nicht mit dem Zug hinfahren.
Das wird auch jeder verstehen. Aber die Verbindung nach Brüssel ist eben mein Beitrag und er soll auch zeigen, dass es möglich ist. Zum Anfang haben einige gesagt: Das wirst du nicht lang durchhalten, aber bis jetzt funktioniert’s ganz gut.
SN: Wie sind denn die Reaktionen?
Es gibt sogar Leute, die mich am Bahnhof ansprechen. Erst vor Kurzem sind drei Männer auf mich zugekommen und haben gesagt: Sie fahren ja wirklich mit dem Zug! Die haben das irgendwo gelesen. Das freut mich schon. Aber ich möchte niemanden unter Druck setzen. Außerdem: Es muss schon schneller gehen, von Wien nach Brüssel zu kommen. Wenn ich das thematisiere, weiß ich, wovon ich rede. Wir haben im Eisenbahnwesen immer noch ganz stark ein nationales Denken. Da braucht es einen stärkeren europäischen Zugang.
SN: Wir sind jetzt mitten in einer Arbeitswoche in Brüssel (das Gespräch wurde am Dienstag um 15.30 Uhr geführt, Anm). Was haben Sie denn bisher so getan?
Gestern war eine Sitzung des Umweltausschusses, in dem ich Mitglied bin. Ich bin in meiner Fraktion für Gentechnik zuständig und habe eine Ablehnung bei Importen von gentechnisch veränderten Futtermitteln, also Sojabohnen, deponiert. Heute hatten wir eine Arbeitssitzung unserer 33-köpfigen Fraktion im Ausschuss zu den sozialen Auswirkungen der Erderwärmung.
SN: Der gesamte Umweltausschuss des EU-Parlaments zählt 81 Mitglieder aus verschiedensten Ländern und Fraktionen. Können Sie da überhaupt etwas bewegen? Ist das nicht ein Turmbau zu Babel?
Hängt ganz davon ab, wie man sich einbringt. Man kann sehr wohl Themen setzen. Sacharbeit ist sehr wichtig. In diesem Haus muss man auf andere Meinungen zugehen, Verbündete suchen, überzeugen. Ich muss über meine Fraktion hinaus mit dem portugiesischen Kommunisten genauso reden wie mit einer konservativen irischen Abgeordneten.
SN: Beim Green Deal spielt Ihr Ausschuss eine sehr gewichtige Rolle. Er bereitet die Position des EU-Parlaments vor. Wird es folgen?
Wir als der größte Ausschuss haben sicher ein großes Glück, dass sich das Parlament nach den Wahlen im Mai neu zusammengesetzt hat. Man merkt bei den Abstimmungen, dass es sehr viele junge Neue gibt und dass wir in manchen Dingen progressiver und kühner geworden sind. Außerdem ist schon klar, dass in der Klimafrage einfach etwas getan werden muss und wir nicht in jeder Sitzung erklären können, warum etwas nicht geht. Der Ausschuss hat schon die Aufgabe, dem Parlament mutig voranzugehen.
SN: Immer wieder wird gesagt: Wir müssen die Menschen mitnehmen! Was verstehen Sie darunter?
Ich sehe den Klimawandel ja auch als wesentliche Chance für Europa. Wir können etwa in unsere Infrastruktur investieren, wir müssen sie wieder auf Vordermann bringen. Wir können in verschiedenen Technologien wieder zum globalen Marktführer werden. Aber uns ist eben wichtig, dass die Leute wissen, dass die Europäische Union und die Politik einen Weg gehen, bei dem alle einen Beitrag leisten müssen.
SN: Also nicht nur der Autofahrer oder die Autofahrerin, sondern auch ein großer Konzern?
Genau. Wenn die Bürger merken, dass die Themen bei ihnen trotz knappster Einkommen die neue Heizungsanlage oder teurer Sprit sind, während sich Großkonzerne über Ausnahmeregelungen freuen können oder Agrarkonzerne gar keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen, wird das nicht funktionieren.