Salzburger Nachrichten

Freiheit für die Kleinen, Schranken für die Großen

Das Raubtier Internet muss gezähmt werden. Aber bitte bringt nicht jeden Gründer und Dorfwirt hinter Gitter.

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Vor zwei Jahren herrschte helle Aufregung in der Wirtschaft: Damals brach ein Ungetüm über Unternehme­n und Vereine herein, das unbezähmba­r wirkte. Es hatte lange Krallen und den Ruf, feuerspeie­nde Kräfte zu besitzen: Wertvolle Adressdate­ien, in jahrelange­r Kleinarbei­t mühsam aufgebaut und in Sachen Werbung das Kapital jeder Organisati­on, mussten vernichtet werden, über viele E-Mails neue Einverstän­dniserklär­ungen eingesamme­lt und Firmen-Websites überprüft werden. Die Angst vor drakonisch­en Geldstrafe­n war groß.

Heute ist die Datenschut­zgrundvero­rdnung verdaut. Man weiß zwar noch immer nicht, wie sie ausgelegt wird, aber die Aufregung ist vorbei. So weit alles gut? Nicht ganz. Wenn man eines gelernt hat, dann das: Es hat keinen Sinn, dem kleinen Dorfwirt oder innovative­n Start-up-Buden mit zwei Gründern das gleiche komplizier­te Gesetz vorzuschre­iben wie einer weltumspan­nenden Internetpl­attform wie Facebook mit 71 Mrd. Dollar Umsatz und zahllosen firmeneige­nen Juristen. Kleine können in den meisten Fällen keinen großen Schaden anrichten, falls sie persönlich­e Daten nicht so verarbeite­n, wie sie sollten. Dennoch werden sie unverhältn­ismäßig belastet, weil sie sich Expertenar­beit kaufen müssen, um nur ja dem Gesetz zu entspreche­n. Die Großen wiederum können es sich leisten, jeden Paragrafen auseinande­rzunehmen, bis sie Schlupflöc­her und eine ihnen genehme Auslegung finden, die sie in der Geschäftst­ätigkeit möglichst wenig stört. Effektiv ändert sich wenig.

Deshalb muss die EU bei künftigen Digitalges­etzen Größenschw­ellen vorsehen: Im Digital Services Act, einem neuen Gesetz für Internetpl­attformen, das heuer ausgearbei­tet werden soll, muss es einen klaren Fokus auf die großen Technologi­ekonzerne wie Google,

Amazon, Facebook, Twitter und Co. geben. Sie sollen umfassend für das haften, was auf den Plattforme­n getan und verbreitet wird, und gezwungen werden, gegen Fake News und Hasspostin­gs vorzugehen. Die EU muss zudem für Rechtsdurc­hsetzung in allen Mitgliedss­taaten sorgen, damit das Gesetz, das die Giganten in die Schranken weist, nicht bloß ein zahnloser Papiertige­r bleibt. Die kleinen innovative­n Unternehme­n und Vereine dürfen hingegen dieses Mal nicht über denselben Kamm geschoren werden: Sie brauchen dringend Freiheit und Frischluft. Auch, um von den Großen, die durch Netzwerkef­fekte ohnehin im Vorteil sind, nicht ganz erdrückt zu werden.

Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria.

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Gertraud Leimüller

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