Liebesg’schichten aus der Urzeit
Die Menschen erfreuten sich schon immer an Liebe und Sex – und sie zeigten diese Liebesfreuden auch immer gern her.
Die Menschen erfreuten sich schon immer an Liebe und Sex – und sie zeigten diese Liebesfreuden auch immer gern her. Wie eine Spezialführung am Valentinstag verdeutlicht.
WIEN. Steinzeitmenschen liebten es weich. „Ihre Knie sind mein Lieblingsteil“, sagt Karina Grömer und zeigt auf die entsprechenden Körperteile der Venus von Willendorf. „Die Fettwülste über den Kniescheiben kann man sich nicht ausdenken“, erklärt die Prähistorikerin am Naturhistorischen Museum Wien. „Der Künstler musste definitiv eine so aussehende Frau als Modell gehabt haben.“
Jedes Jahr zum Valentinstag lädt Grömer zu einer vorwiegend von Paaren besuchten Spezialführung zum Thema „Liebe“ins Museum. Da es keine schriftlichen Überlieferungen aus der Urgeschichte gibt, ist die Wissenschaft auf Fundstücke angewiesen, anhand derer man Rückschlüsse auf das allzu Zwischenmenschliche vor Zigtausend Jahren zieht. „Unser Blickfenster in diese Zeit ist sehr klein und man findet auch sehr wenig“, sagt Grömer.
Umso bedeutender ist das Prunkstück des Naturhistorischen, die knapp 30.000 Jahre alte Venus von Willendorf. Es wurden zwar mehr als hundert ähnliche Frauenfiguren aus dieser Zeit „von Portugal bis Sibirien“gefunden, sagt sie, „aber unsere ist die schönste“. Ursprünglich auch noch mit der für „Leben, Blut, Menstruation und Geburt“stehenden Farbe Rot eingerieben, fokussiert die Venus auf Fruchtbarkeit und Nachkommenschaft. Grömer: „Das war, was man zeigen wollte, darum auch der Blick auf das dafür Wesentliche: viel Brust, viel Bauch und detailliert ausgearbeitete Schamlippen.“Die Urzeit-Spezialistin gibt zu bedenken, dass es in der
Entstehungszeit der Venus in der letzten Eiszeit, „schwierig war, sich einen derartigen Fettsteiß anzuessen“. Eine Venusfigur war in diesen Mangelzeiten also sehr erstrebenswert, denn „sich und die Nachkommenschaft versorgen zu können war zentral“.
Und was sagt die Venus über Partnerwahl und Liebe in der Steinzeit? „Wir glauben zu wissen, dass sie keine Göttinnenfigur ist“, antwortet Grömer, „Jäger- und Sammlergesellschaften glauben an die beseelte Natur, aber keine menschenähnlichen Gottheiten. Aber ob eine Frau damals mehrere Männer hatte oder umgekehrt, ob in Gruppen geheiratet wurde oder es ganz andere
Modelle des Zusammenlebens zum Zweck der Reproduktion gab – wir wissen es nicht.“
Trotz des großen blinden Flecks rund um Zeit und Gesellschaft der Venus von Willendorf stufte Facebook Fotos der Kalksteinfigur 2017 als Pornografie ein und zensierte sie. Später entschuldigte man sich, die Venus und ähnliche Kunstwerke erhielten eine Ausnahmeregelung.
Ob bei den weiteren Schaustücken der Valentinstag-Tour im Museum die Facebook-Zensur ebenfalls ein Auge zudrücken würde, ist unwahrscheinlich. Grömer warnt: „Unsere Vorfahren waren nicht sehr prüde“. Sie verlässt die Steinzeit, geht in die Eisenzeit im Saal 13 und zeigt in einer Pultvitrine auf das „Gürtelblech von Brezje“aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert.
Die der Situlenkunst zugerechnete Gürtelschnalle aus dem heutigen Slowenien zeigt Frau und Mann beim Liebesakt. Sie sitzt auf einem Thron, er kniet davor, bewundert ihren Knöchel und schiebt seinen Penis in ihren Schoß. Im 19. Jahrhundert nannte man die Szene „Heilige Hochzeit“, um die pornografische Darstellung nobel zu umschreiben. Laut Grömer zeigt die Darstellung „den Vollzug einer Verbindung zwischen Herrscherhäusern, wobei es ungewöhnlich ist, dass die Frau auf dem Thron sitzt“. Auf anderen Kunstwerken aus der Zeit liegt die Frau im Bett. Beispielsweise auf der „Situla von Alpago“in Venetien, wo comicartig die Liebe eines Paares vom ersten Kennenlernen bis zur Geburt ihres Kindes in mehreren Szenen gezeigt wird. „Diese Situla zeigt den ganzen Ablauf bis hin zu einer legitimen Nachkommenschaft“, sagt Grömer: „Die Pornoelemente mit den verschiedenen Stellungen beim Sex bräuchte es dafür eigentlich nicht, aber die Menschen haben sich immer schon daran erfreut.“
Sagt’s und geht bei ihrer Liebestour wieder zurück in die Bronzezeit, wo mit „nicht zufällig über Frauenbrüsten“getragenen Klapperblechfibeln oder um den Hals getragenen Blechscheiben mit langen dünnen Stacheln eindeutig zweideutige Liebessignale gesendet wurden.
„Die Vorfahren waren nicht sehr prüde.“