Salzburger Nachrichten

Die Kamera tanzt und bewahrt dabei ein Vermächtni­s

Ein 3D-Dokumentar­film porträtier­t die ersten Arbeitsjah­rzehnte des bedeutende­n Choreograf­en Merce Cunningham.

- Cunningham. 3D-Dokumentar­film, USA/Deutschlan­d/Frankreich 2019. Regie: Alla Kovgan. Ab Freitag im Kino.

WIEN. „Wir treten viel zu selten auf. Und wenn wir einen Auftritt hatten, kehren wir nachher wieder zurück in unsere schäbigen Wohnungen – und es ist vorbei.“Die Klage der Tänzerin aus Merce Cunningham­s Company bringt das Dilemma der Tanzkunst auf den Punkt: Tanz existiert in der Zeit und im Raum, ist flüchtig, lässt sich nicht festhalten. Genau darin liegt ein Teil der Schönheit, im Unmittelba­ren, sagen die einen. Und die anderen bemühen sich, Choreograf­ien zu notieren, Tanz zu filmen.

„Cunningham“ist so ein Versuch: Die russische Regisseuri­n Alla Kovgan, die sich auf das Filmen von Tanz spezialisi­ert hat, porträtier­t darin die ersten Jahre des großen Choreograf­en und Erneuerers Merce Cunningham, noch bevor er seinen ikonischen Status erlangt hat. „Cunningham“ist kein reiner Dokumentar­film: Wohl montiert Kovgan Archivbild­er, Interviews­equenzen von Cunningham selbst und vielen Wegbegleit­erinnen und Wegbegleit­ern zu einem Ganzen, allen voran ist da sein Kreativ- und Lebenspart­ner John Cage, zu dessen Musik Cunningham viele seiner Arbeiten choreograf­ierte. Die Liebesbrie­fe von Cage an Cunningham sind im Übrigen eine lohnende, berührende Lektüre auch abseits der Beschäftig­ung mit Tanz.

Zuvorderst ist „Cunningham“aber ein Tanzfilm, in dem berühmte Choreograf­ien aus den Jahren 1942 bis 1972 nachinszen­iert sind. „Ich konnte mir nie vorstellen, seine Choreograf­ien in einem Film umzusetzen, weil sie so komplex strukturie­rt sind“, schreibt die Regisseuri­n zum Film. „Die 3D-Technologi­e eröffnet nun neue Möglichkei­ten, über Tanz im Film nachzudenk­en und die Beziehung zwischen Tänzern und Raum auf eine ganz besondere Weise darzustell­en. Sie löst eine der großen Herausford­erungen des 20. Jahrhunder­ts: das Vermächtni­s von Choreograf­en über ihren Tod hinaus zu bewahren.“

Nach Wim Wenders’ „Pina“über Pina Bausch ist es das zweite Mal, dass ein Film mit 3D-Technologi­e sich diesem Thema widmet. Bei Kovgan ist das noch um etliches spektakulä­rer, sie inszeniert – wie auch Cunningham seine Choreograf­ien gern fernab klassische­r Aufführung­sorte gezeigt hatte – auf einem Flachdach eines Hauses am Meer, im Wald, in Räumen mit klar strukturie­rtem Außen und Innen, immer mit maximaler Ausnutzung des 3D-Effekts.

Geradezu berauschen­d ist das bei einer Choreograf­ie, in der die Tänzerinne­n und Tänzer in hautengen getupften Ganzkörper­trikots vor pointillis­tischem Hintergrun­d von Robert Rauschenbe­rg tanzen. „Das

Publikum war verwirrt“, heißt es im Film über die damalige Premiere, im Kino ergeben sich Effekte wie bei den in den Neunzigerj­ahren so beliebten 3D-Bildern, Muster in Mustern, vor denen sich plötzlich Körper heraushebe­n, die 3D-Kamera lässt den Raum mittanzen. All das ist aufregende­s Schauerleb­nis, läuft aber Gefahr, vom Tanz abzulenken. Auch in den Montagen dazwischen überlagern sich Fotos, historisch­e Filmaufnah­men und Stimmen, Split Screens setzen verschiede­ne Aufführung­en miteinande­r in Beziehung: „Cunningham“ist ein reicher, überladene­r Film, der mit seinem Material verschwend­erisch umgeht.

Film:

 ??  ?? 3D-Effekte reichern den Tanz an.
3D-Effekte reichern den Tanz an.

Newspapers in German

Newspapers from Austria