Die Kamera tanzt und bewahrt dabei ein Vermächtnis
Ein 3D-Dokumentarfilm porträtiert die ersten Arbeitsjahrzehnte des bedeutenden Choreografen Merce Cunningham.
WIEN. „Wir treten viel zu selten auf. Und wenn wir einen Auftritt hatten, kehren wir nachher wieder zurück in unsere schäbigen Wohnungen – und es ist vorbei.“Die Klage der Tänzerin aus Merce Cunninghams Company bringt das Dilemma der Tanzkunst auf den Punkt: Tanz existiert in der Zeit und im Raum, ist flüchtig, lässt sich nicht festhalten. Genau darin liegt ein Teil der Schönheit, im Unmittelbaren, sagen die einen. Und die anderen bemühen sich, Choreografien zu notieren, Tanz zu filmen.
„Cunningham“ist so ein Versuch: Die russische Regisseurin Alla Kovgan, die sich auf das Filmen von Tanz spezialisiert hat, porträtiert darin die ersten Jahre des großen Choreografen und Erneuerers Merce Cunningham, noch bevor er seinen ikonischen Status erlangt hat. „Cunningham“ist kein reiner Dokumentarfilm: Wohl montiert Kovgan Archivbilder, Interviewsequenzen von Cunningham selbst und vielen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern zu einem Ganzen, allen voran ist da sein Kreativ- und Lebenspartner John Cage, zu dessen Musik Cunningham viele seiner Arbeiten choreografierte. Die Liebesbriefe von Cage an Cunningham sind im Übrigen eine lohnende, berührende Lektüre auch abseits der Beschäftigung mit Tanz.
Zuvorderst ist „Cunningham“aber ein Tanzfilm, in dem berühmte Choreografien aus den Jahren 1942 bis 1972 nachinszeniert sind. „Ich konnte mir nie vorstellen, seine Choreografien in einem Film umzusetzen, weil sie so komplex strukturiert sind“, schreibt die Regisseurin zum Film. „Die 3D-Technologie eröffnet nun neue Möglichkeiten, über Tanz im Film nachzudenken und die Beziehung zwischen Tänzern und Raum auf eine ganz besondere Weise darzustellen. Sie löst eine der großen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts: das Vermächtnis von Choreografen über ihren Tod hinaus zu bewahren.“
Nach Wim Wenders’ „Pina“über Pina Bausch ist es das zweite Mal, dass ein Film mit 3D-Technologie sich diesem Thema widmet. Bei Kovgan ist das noch um etliches spektakulärer, sie inszeniert – wie auch Cunningham seine Choreografien gern fernab klassischer Aufführungsorte gezeigt hatte – auf einem Flachdach eines Hauses am Meer, im Wald, in Räumen mit klar strukturiertem Außen und Innen, immer mit maximaler Ausnutzung des 3D-Effekts.
Geradezu berauschend ist das bei einer Choreografie, in der die Tänzerinnen und Tänzer in hautengen getupften Ganzkörpertrikots vor pointillistischem Hintergrund von Robert Rauschenberg tanzen. „Das
Publikum war verwirrt“, heißt es im Film über die damalige Premiere, im Kino ergeben sich Effekte wie bei den in den Neunzigerjahren so beliebten 3D-Bildern, Muster in Mustern, vor denen sich plötzlich Körper herausheben, die 3D-Kamera lässt den Raum mittanzen. All das ist aufregendes Schauerlebnis, läuft aber Gefahr, vom Tanz abzulenken. Auch in den Montagen dazwischen überlagern sich Fotos, historische Filmaufnahmen und Stimmen, Split Screens setzen verschiedene Aufführungen miteinander in Beziehung: „Cunningham“ist ein reicher, überladener Film, der mit seinem Material verschwenderisch umgeht.
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