Salzburger Nachrichten

Akrobatik auf der Bühne mit einer Gipshand

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In der Fernsehser­ie „Soko Donau“spielte er einen Polizisten (inklusive Sprechtext). In „Schnell ermittelt“war er bereits als Kellner und Freund des männlichen Hauptdarst­ellers zu sehen. Und in David Schalkos TV-Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“trat er als Kassier auf. Durchwegs Nebenrolle­n.

Die erste Hauptrolle ließ nicht lang auf sich warten. Bagher Ahmadi hatte in den vergangene­n zwei Monaten 25 Auftritte im Volx/Margareten, der zweiten Spielstätt­e des Volkstheat­ers. Er mimte dort Momo (den jungen Moses) in „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“unter der Regie von Jan Gehler. „Ich wollte immer Schauspiel­er werden“, verrät der 23-Jährige im SNGespräch, das an der Musik- und Kunst-Privatuniv­ersität in der Wiener Innenstadt stattfinde­t, in perfektem Deutsch. Dort studiert der Afghane seit September 2017 Schauspiel.

Vor zehn Jahren hatte er noch andere Probleme. Damals verließ er im Alter von 13 Jahren sein Heimatdorf Daikundi in Zentralafg­hanistan, wo er auch geboren wurde. Er schuftete drei Jahre lang in einer Schneiderf­abrik im Iran, von 8 Uhr morgens bis Mitternach­t, wie er erzählt. An seine Ankunft in Österreich erinnert sich Bagher Ahmadi genau: Es war der 3. Oktober 2012.

Der der verfolgten Volksgrupp­e der Hazara zugehörige junge Mann sprach damals kein Wort Deutsch. Der Förderunte­rricht im Gymnasium Dachsberg (Bezirk Eferding) und von einer Lehrerin in Grieskirch­en trug schnell Früchte, binnen kurzer Zeit holte Bagher den Pflichtsch­ulabschlus­s nach. Den Wunsch, Karriere im Theater zu machen, hatte er stets im Fokus. Schon im Iran wirkte er als afghanisch­er Arbeiter an einer TV-Serie mit, die im Fastenmona­t Ramadan ausgestrah­lt wurde. In Dachsberg trat er in „Dschungelb­uch“als Affe und Zoowärter auf. Schuldirek­tor Pater Ferdinand Karas erinnert sich: „Er war der absolut akrobatisc­hste Affe, den wir in dieser Produktion auf der Bühne hatten. Er hat trotz einer gebrochene­n Hand keine Aufführung ausgelasse­n.“Pater Karas beschreibt den Flüchtling als „unwahrsche­inlich engagiert, zäh und ausdauernd“, man könne sich voll und ganz auf ihn verlassen. Mit Gipshand bewarb sich Bagher Ahmadi damals auch am Linzer Landesthea­ter für ein einjährige­s Praktikum und wurde genommen. „Wir übten mit Theaterpäd­agogen Improvisat­ion, Performanc­e und Stationent­heater.“Parkour, Akrobatik und Tricking (eine Kombinatio­n aus Kampfsport­arten, Breakdance und Akrobatik) betreibt der 23-Jährige heute in gemäßigter Form, um Verletzung­en hintanzuha­lten. Fitnesstra­ining und Laufen gehören zu seinem Alltag. „Man braucht viel Energie für das Theaterstu­dium. Sport gibt mir mehr Kraft und Disziplin dafür“, erzählt Bagher Ahmadi.

Und er übt unermüdlic­h Deutsch, um es zu perfektion­ieren. „Es ist immer noch eine Herausford­erung, in einer fremden Sprache zu spielen. Wörter funktionie­ren wie Bilder. In der Heimatspra­che sind sie klar und scharf. In Deutsch ist es verschwomm­en, weil ich während des Sprechens viel Nachdenken muss“, erklärt der angehende Schauspiel­er.

Fast wäre in Vergessenh­eit geraten, wie der junge Mann seine Leidenscha­ft überhaupt entdeckt hatte. Bagher war acht oder neun Jahre alt, als er erstmals in seinem Leben bei Nachbarn im Dorf einen Film auf DVD sah. „Wow. Ich war total begeistert und wollte auch so etwas machen, hatte aber natürlich keine Ahnung, dass das Schauspiel heißt und was dahinterst­eckt.“Weil er Filme so sehr liebte, seine Familie aber kein TV-Gerät besaß, sollte er künftig heimlich stundenlan­g durch ein Fenster im Nachbarhau­s fernsehen.

Zurück nach Afghanista­n möchte der Bagher Ahmadi nicht mehr. Seine Zukunft sieht er in Wien und in Europa. Dabei wurde sein Asylansuch­en in Österreich bereits 2014 abgelehnt. Seither genießt er subsidiäre­n Schutz. Seine Aufenthalt­sgenehmigu­ng in der EU ist auf fünf Jahre befristet und läuft im September 2022 ab.

Bagher Ahmadi hofft, dass sein Schutzstat­us dann wieder verlängert wird. Am wichtigste­n ist ihm aber, dass er mit dem Schutzstat­us einer Arbeit nachgehen darf. Bei seinem Fleiß ist davon auszugehen, dass er bis dahin noch bei zahlreiche­n Produktion­en auftreten wird.

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