Wie bleiben wir relevant?
Die Digitalisierung stelle Versicherer vor die Aufgabe, ihr Verhältnis zu ihren Kunden neu zu definieren. Man müsse schneller reagieren, die Produkte müssten einfacher werden, sagt der Vorstandschef der Uniqa Group.
Konzernchef Andreas Brandstetter erklärt, warum der Versicherer Uniqa eine Milliarde Euro ausgibt, um mit dem Kauf von Gesellschaften der AXA-Gruppe die Position in Osteuropa auszubauen, was man für den Klimaschutz tut und wie man die Pflege finanzieren könnte.
SN: Als Unternehmensvorstand ist man mit großen Summen vertraut, aber wie leicht gibt man eine Milliarde Euro aus? Andreas Brandstetter: Es ist der größte Betrag, den wir jemals für eine Akquisition ausgegeben haben. Daher haben wir uns das lang und intensiv überlegt und die Gesellschaften mehr als drei Jahre verfolgt. Wir haben mehrere Versuche unternommen, mit den Eigentümern ins Gespräch zu kommen. Wir sind froh, dass es jetzt geklappt hat. Aber man gibt so eine Summe definitiv nicht leichtfertig aus, sondern überlegt mehr als nur ein Mal.
SN: Und wie schnell soll sich die Investition amortisieren? Das hängt davon ab, was wir daraus machen. Der Zeitraum bis zum Closing ist relativ lang, wir erwarten es im vierten Quartal. Wir werden erst in einigen Jahren wissen, ob sich die erwarteten Synergien realisieren lassen. Die Arbeit beginnt erst.
SN: Werden Sie das gesamte Portfolio behalten oder auch Teile davon wieder verkaufen? An sich wollen wir alles behalten. Aber es kann sein, dass es die eine oder andere Auflage von Kartellbehörden gibt und wir uns von Assets trennen müssen. Aber es ist noch früh, darüber etwas zu sagen.
SN: Sie stoßen mit dem Kauf in der Region von Rang sieben auf fünf vor. Ist Größe ein Ziel oder eine Begleiterscheinung? Wir sind der Meinung, dass Skalierung gerade in Osteuropa ein relevanter Faktor ist, weil wir erstens daran glauben, dass in diesem zweiten Heimmarkt die Wirtschaftsleistung stärker zulegen wird als in Österreich. Zweitens gibt es beim Prämienaufkommen zu den 2000 Euro in Österreich pro Kopf und Jahr mit 400 bis 500 Euro in Tschechien und
Polen gewaltiges Aufholpotenzial. Dort war Österreich in den 1970erJahren. Unsere Reise ist noch nicht zu Ende, daher wollen wir bei Kunden und Prämien weiterwachsen, aber sicher nicht um jeden Preis.
SN: Größe ist wichtig, noch wichtiger ist die Profitabilität. Wo liegt die Uniqa da? Ich würde sagen, das ist eng an die Marktposition gekoppelt. Wir wollen durch Integration der neuen in unsere bestehenden Gesellschaften Synergien heben, um die Profitabilität erhöhen zu können. Ich werde mich aber hüten, heute eine konkrete Zahl zu nennen.
SN: Wird der Aufholprozess in Osteuropa ähnlich lang dauern wie in Österreich? Das hängt stark von der Entwicklung der Zivilgesellschaft ab. Wir haben unterschätzt, dass die Bereitschaft, für die eigene Zukunft vorzusorgen, durch die Zeit des Kommunismus und auf dem Balkan durch Jahrhunderte der fremdbestimmten osmanischen Herrschaft ausradiert war. In einem Staat mit Vollkasko-Mentalität, in dem es kein privates Eigentum gibt, dauert es lange, bis sich der Grundgedanke der individuellen Vorsorge durchsetzt. Daher erwarten wir, dass der Aufholprozess länger dauern wird.
SN: Im Bankensektor setzen Fintechs etablierten Instituten zu. Wie sehr spüren Sie als Versicherer die neuen Anbieter? Zunächst bedeutet Digitalisierung für unsere Branche einen anderen Zugang zum Kunden. Wir dürfen nicht so arrogant sein, dass wir wissen, was dem Kunden guttut, und er sich nach unseren Abläufen richtet. Dieser Lernprozess tut uns als Branche gut. Die Vereinfachung, die der Kunde am ehesten spürt, findet im Backoffice statt. Wenn man eine Schadensmeldung online per Foto melden kann und innerhalb weniger Stunden oder sogar Minuten die finanzielle Vergütung auf dem Konto hat, erlebt der Kunde das positiv. Wir sind nicht der Meinung, dass neben klassischen Betreuungsmöglichkeiten wie dem Außendienst, Generalagenturen oder Maklern ein disruptives digitales Angebot nötig ist. Kunden soll es möglich sein, über verschiedene Kanäle mit uns 24/7 in Kontakt zu treten, wann und wo sie wollen. Wir sehen Digitalisierung aber nicht als Gefahr für den guten, klassischen Vertrieb. Was wir aber lernen können, ist Geschwindigkeit und Einfachheit. Das heißt für unsere Branche im Lauf der nächsten zehn Jahre mindestens jenes Maß an Veränderung wie in den vergangenen hundert Jahren zusammen.
SN: Eine Erwartung, die Kunden an Unternehmen auch haben, betrifft den Klimawandel. Das ist in erster Linie – Stichwort Naturkatastrophen – ein Thema für Rückversicherer. Was kann ein Erstversicherer wie Uniqa für Klimaschutz tun? Eine ganze Menge. Erstens können wir als großes Unternehmen Aufmerksamkeit wecken, das ist der moralische Aspekt. Dazu haben wir auf der Aktiv- und Passivseite der Bilanz konkrete Maßnahmen gesetzt. Wir sind nicht nur aus der Versicherung von Kohlekraftwerken ausgestiegen, was in Osteuropa Umsatzeinbußen bringt, sondern wir investieren auch nicht mehr in Finanztitel, die derartige Assets halten. Wir sind vor einem Jahr in einen Dialog mit Greenpeace eingestiegen, um zu lernen, was wir noch tun können. Wenn man weiß, dass die Versicherungswirtschaft der größte Investor in Europa ist, haben wir als Branche eine große Marktmacht. Wohin wir unsere Investitionen leiten, entscheidet fundamental auch über die Zukunft der europäischen Klimapolitik. Ein kritischer Faktor wird sein, ob die neuen Solvency-II-Bilanzierungsregeln Anreize bieten, verstärkt in Green Finance und Green Bonds zu investieren – das wäre ein starker Hebel.
SN: Ein politisch aktuelles Thema, das auch die Versicherer umtreibt, ist die Pflege. Derzeit gibt es Warnstreiks des Personals. Haben Sie dafür Verständnis? Die Branche und wir als Gesundheitsversicherer beschäftigen uns seit vielen Jahren mit dem Thema Pflege. Wir halten eine eigene Pflegeversicherung für eine nicht ausgegorene Idee. Denn wenn jemand ein Leben lang anspart und dann hoffentlich nicht pflegebedürftig wird, verfällt das Geld. Uns scheint es sinnvoller, stärker in private Altersvorsorge zu investieren und den Bürger selbst entscheiden zu lassen, wofür er das Geld verwendet. Der Pflegenotstand ist neben Bildung, Klimaschutz und dem Wirtschaftsstandort sicher die vierte große Aufgabe für die Politik. Daher verstehe ich die Proteste des Pflegepersonals voll und ganz.
SN: In der Pflege fehlt es an Personal und sie ist für viele Menschen zu teuer – wie kann man dieses Problem in den Griff bekommen? Wir müssen die private Vorsorge und auch den Kapitalmarkt stärken. Wir müssen offen über das Thema Altersarmut sprechen, ebenso über den Geschlechterunterschied bei den Pensionen. Wir sehen als Versicherungswirtschaft unsere Aufgabe darin, im Dialog mit der Politik nach Lösungen zu suchen.
SN: Sie sind seit 2011 Vorstandschef der Uniqa. Wie zufrieden sind Sie mit dem Erreichten? Eine schwierige Frage. Wenn man sich ansieht, was wir uns 2011 vorgenommen und was wir bis jetzt erreicht haben, stechen zwei Dinge ins Auge. Wir würden uns nicht mehr trauen, eine Strategie für zehn Jahre zu formulieren, da sind wir angesichts der vielen Veränderungen demütiger geworden – den Druck der Regulierung, die Niedrigzinsen, die Digitalisierung, das veränderte Kundenverhalten hatten wir in dieser geballten Wucht damals nicht so auf dem Radar. Was die Entwicklung der Gruppe betrifft, sind wir auf vieles stolz, auch wenn nicht alles gelungen ist. Das Wichtigste für uns als Dienstleister ist, im Leben der Kunden relevant zu bleiben. Ich bin überzeugt, dass Versicherer mit einer klaren Vision in Zukunft gute Chancen haben – unsere Vision ist, Kunden zu unterstützen, sicher, besser und länger zu leben. Daran arbeiten wir.
Andreas Brandstetter (*1969)
war nach dem Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und den USA Mitarbeiter von Vizekanzler Erhard Busek, danach ein Jahr Geschäftsführer der ÖVP und ab 1995 Leiter des EU-Büros des Österreichischen Raiffeisenverbands. Seit 1997 ist der Vater von drei Kindern in der Versicherungsbranche tätig, seit Juli 2011 ist er Vorstandschef der Uniqa Group.