Entscheidungsunfähig
ICHbin immer öfter am Verzweifeln. Nicht wegen der Klimakrise oder der steigenden Mieten. Auch nicht wegen großer Veränderungen in meinem Leben. Nein, es sind die klitzekleinen Entscheidungen im Alltag, an denen ich täglich nage. Oder besser gesagt: Es ist meine Entscheidungsunfähigkeit, die mich in den Wahnsinn treibt. Das fängt frühmorgens vor dem Kleiderschrank an und geht beim Bäcker weiter. „Butterkipferl oder Frühstückskipferl?“, fragt die Verkäuferin stets freundlich und ich wähle jedes Mal komplett willkürlich, weil ich immer noch keine Ahnung habe, was eigentlich der Unterschied ist. Das mit dem Entscheiden zieht sich dann durch den ganzen Tag. Bus oder Rad? Spaghetti oder Salat? Duschgel mit Vanille oder Kokos? Sie erkennen das Muster.
An die Spitze ihrer Absurdität wird meine Entscheidungsdysfunktion beim
Buchen von Urlauben getrieben. Wochenlang durchforste ich alle möglichen Seiten, wäge Vor- und Nachteile von Hotels ab, analysiere jedes Foto bis ins kleinste Detail und lerne die Bewertungen auswendig. Dank Google Street View kann ich jetzt sogar einen virtuellen Spaziergang rund um die meisten Hotels machen und die Nachbarschaft begutachten. Zugegeben, es steckte immer schon eine kleine Hobby-Detektivin in mir.
Das Beruhigende ist: Meinem Umfeld geht es nicht anders. Es scheint, als ob sich die Entscheidungsunfähigkeit wie ein Virus in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat. Sei es beim Onlineshoppen oder beim Vereinbaren von Terminen: Keiner will sich mehr festlegen, auch nicht im Zwischenmenschlichen. Paare führen monatelang Nicht-Beziehungen, weil sich beide nicht trauen, Nägel mit Köpfen zu machen und sich an den anderen zu binden.
Diese kollektive Entscheidungsunfähigkeit ist eigentlich absurd, wo wir doch in einer Welt der Retouren und Stornierungen leben. Alles kann rückgängig gemacht werden, aber trotzdem kommen wir mit der Fülle an Möglichkeiten nicht klar. Die Schnelllebigkeit im Netz macht das nicht besser. Gefällt uns der Nachrichtenüberblick auf dem Smartphone nicht, wischen wir einfach nach oben und unsere digitale Filterblase lädt noch einmal neu.
Da ich ja prinzipiell ein optimistischer Mensch bin, dachte ich mir vor Kurzem: Vielleicht kann ich das Entscheiden lernen. Ich war auf einer Fortbildung und dort gab es einen Kurs mit dem Titel „Entscheidungsfähig werden“. Perfekt, wie für mich gemacht! Mein Pech war nur, dass parallel noch fünf andere Vorträge stattfanden und ich mich auf die Schnelle nicht entscheiden konnte, welchen ich mir anhöre.