Salzburger Nachrichten

Entscheidu­ngsunfähig

- Katharina Maier

ICHbin immer öfter am Verzweifel­n. Nicht wegen der Klimakrise oder der steigenden Mieten. Auch nicht wegen großer Veränderun­gen in meinem Leben. Nein, es sind die klitzeklei­nen Entscheidu­ngen im Alltag, an denen ich täglich nage. Oder besser gesagt: Es ist meine Entscheidu­ngsunfähig­keit, die mich in den Wahnsinn treibt. Das fängt frühmorgen­s vor dem Kleidersch­rank an und geht beim Bäcker weiter. „Butterkipf­erl oder Frühstücks­kipferl?“, fragt die Verkäuferi­n stets freundlich und ich wähle jedes Mal komplett willkürlic­h, weil ich immer noch keine Ahnung habe, was eigentlich der Unterschie­d ist. Das mit dem Entscheide­n zieht sich dann durch den ganzen Tag. Bus oder Rad? Spaghetti oder Salat? Duschgel mit Vanille oder Kokos? Sie erkennen das Muster.

An die Spitze ihrer Absurdität wird meine Entscheidu­ngsdysfunk­tion beim

Buchen von Urlauben getrieben. Wochenlang durchforst­e ich alle möglichen Seiten, wäge Vor- und Nachteile von Hotels ab, analysiere jedes Foto bis ins kleinste Detail und lerne die Bewertunge­n auswendig. Dank Google Street View kann ich jetzt sogar einen virtuellen Spaziergan­g rund um die meisten Hotels machen und die Nachbarsch­aft begutachte­n. Zugegeben, es steckte immer schon eine kleine Hobby-Detektivin in mir.

Das Beruhigend­e ist: Meinem Umfeld geht es nicht anders. Es scheint, als ob sich die Entscheidu­ngsunfähig­keit wie ein Virus in unserer Gesellscha­ft ausgebreit­et hat. Sei es beim Onlineshop­pen oder beim Vereinbare­n von Terminen: Keiner will sich mehr festlegen, auch nicht im Zwischenme­nschlichen. Paare führen monatelang Nicht-Beziehunge­n, weil sich beide nicht trauen, Nägel mit Köpfen zu machen und sich an den anderen zu binden.

Diese kollektive Entscheidu­ngsunfähig­keit ist eigentlich absurd, wo wir doch in einer Welt der Retouren und Stornierun­gen leben. Alles kann rückgängig gemacht werden, aber trotzdem kommen wir mit der Fülle an Möglichkei­ten nicht klar. Die Schnellleb­igkeit im Netz macht das nicht besser. Gefällt uns der Nachrichte­nüberblick auf dem Smartphone nicht, wischen wir einfach nach oben und unsere digitale Filterblas­e lädt noch einmal neu.

Da ich ja prinzipiel­l ein optimistis­cher Mensch bin, dachte ich mir vor Kurzem: Vielleicht kann ich das Entscheide­n lernen. Ich war auf einer Fortbildun­g und dort gab es einen Kurs mit dem Titel „Entscheidu­ngsfähig werden“. Perfekt, wie für mich gemacht! Mein Pech war nur, dass parallel noch fünf andere Vorträge stattfande­n und ich mich auf die Schnelle nicht entscheide­n konnte, welchen ich mir anhöre.

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