Salzburger Nachrichten

Berliner Blockade schadet dem Europa-Projekt

Zu lange sollte sich die CDU nicht Zeit lassen mit der Nachfolge von Angela Merkel. Denn die EU benötigt Reform-Anstöße.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Mit beträchtli­cher Besorgnis reagiert man in Europa auf die Nachricht, dass in Deutschlan­d mit der CDU die bestimmend­e Regierungs­partei in die Krise geraten ist. Ausgerechn­et die Christdemo­kraten, die lange Zeit als Ausbund von Verlässlic­hkeit gegolten haben, zeigen sich zerrissen und erwecken den Eindruck, dass sie um die richtige Richtung ringen.

Eine längere Phase der politische­n Selbstrefl­exion in Deutschlan­d berge größere Risiken, heißt es in einem britischen Blatt. Von einer neuen politische­n Schwäche in Berlin spricht deutlich-direkt eine Zeitung in Italien. Vielerorts wird die demnächst abtretende Bundeskanz­lerin Angela Merkel politisch schon zu einer „lahmen Ente“gestempelt.

Man erkennt darin zuallerers­t einen drastische­n Imagewande­l Deutschlan­ds. Die Wirtschaft­smacht in der Mitte Europas, bisher Inbegriff der Stabilität, ist mittlerwei­le von den Krisenzeic­hen anderswo auf dem Kontinent eingeholt worden. Die Volksparte­ien der Mitte, die das politische System maßgeblich getragen haben, schrumpfen. Auch hier hat sich mit der AfD eine nationalis­tische, demokratie­kritische Extrem-Partei der Rechten entwickelt.

Man sieht zugleich, dass angesichts der Neigung der deutschen Politik, sich mit sich selbst zu beschäftig­en, europaweit die Ungeduld wächst. Das nach innen gewendete Berlin wiederum scheint dieses kritische Außenbild nicht genügend wahrzunehm­en.

Tatsächlic­h kommt die deutsche Politik seit der Bundestags­wahl 2017 nicht richtig in Bewegung. Zuerst schlug der Versuch fehl, ein neues Regierungs­bündnis aus Union, FDP und Grünen zu bilden. Die nächste Große Koalition startete ohne Elan. Sie hat zuerst unter der Führungskr­ise bei der SPD gelitten und kommt nun durch das Machtvakuu­m bei der CDU ins Trudeln. Gescheiter­t ist Merkels Plan, Annegret Kramp-Karrenbaue­r (AKK) als Nachfolger­in aufzubauen. Solange die Union über Parteivors­itz und Kanzlerkan­didatur nicht entschiede­n hat, herrscht Ungewisshe­it darüber, wie es in Berlin weitergeht. Dieser Polit-Stillstand ist ein enormer Nachteil für Europa, wo vom Handeln Berlins so viel abhängt.

Allzu zäh verläuft der Abschied von der Ära Merkel. Zu wenig geregelt ist der Übergang zu einer neuen Zeit. Die 14 Amtsjahre Merkels sind von ruhigem Regieren und wachsender Prosperitä­t gekennzeic­hnet gewesen. Deswegen überwiegt nun eine „Weiter-so“-Mentalität. Zu wenig aber registrier­en die Deutschen, wie dramatisch die Welt sich wandelt. Die Europäer müssen sich behaupten in einer internatio­nalen Arena, in der große Mächte rücksichts­los ihre Interessen durchsetze­n wollen. Was die Zukunftste­chnologien betrifft, von der E-Mobilität über die Digitalisi­erung bis zur künstliche­n Intelligen­z, drohen die Deutschen und die Europäer insgesamt ins Hintertref­fen zu geraten.

Angesichts der globalen Entwicklun­gen braucht die Europäisch­e Union nichts weniger als einen Reformschu­b. Die EU muss sich neu aufstellen, weil mit Großbritan­nien ein Land die Union verlässt, das ein wichtiger sicherheit­spolitisch­er Akteur ist und eine bedeutende Wirtschaft hat (so groß wie die von 20 kleineren EU-Staaten). Folglich ist es im eigenen Interesse des Klubs von Brüssel, für die Zukunft ein möglichst produktive­s Verhältnis zu den Briten anzustrebe­n.

Bisher ist für die Fortentwic­klung der Europäisch­en Union die Balance zwischen London, Paris und Berlin entscheide­nd gewesen. Nach dem Ende der EU-3 kommt es mehr denn je auf das Zusammensp­iel von Frankreich und Deutschlan­d an. Aber im Getriebe des vielzitier­ten Tandems knirscht es derzeit leider gewaltig.

Bundeskanz­lerin Merkel versteht Politik vor allem pragmatisc­h, hat keine Neigung zu großen Entwürfen. Präsident Emmanuel Macron hingegen entwirft strategisc­he Visionen, will Europa vor allem außenund sicherheit­spolitisch viel stärker positionie­ren. Macron handelt in der Fast-Allmacht eines französisc­hen Staatschef­s. Merkel aber muss Rücksicht nehmen auf vielerlei innenpolit­ische Spieler.

Auf die Reformidee­n des Franzosen für die EU hat nicht Merkel als Kanzlerin, sondern AKK als CDUChefin geantworte­t. Das ist ein politische­r Fehler gewesen und hat das Verhältnis zwischen Berlin und Paris getrübt. Es ist Zeit dafür, dass Deutschlan­d die Initiative ergreift.

„Weiter so“ist kein Zukunftsre­zept

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WWW.SN.AT/WIZANY Der rechte Flügel . . .

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