„Die SPÖ ist altvaterisch“
Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger plädiert für einen neuen, modernen sozialliberalen Österreich-Begriff.
Der studierte Sozialwissenschafter und Historiker Klaus Luger ist einer der wenigen verbliebenen starken SPÖ-Politiker in Österreich. Er tritt für mehr Flexibilität der Partei ein.
SN: Die SPÖ kann ja doch noch Wahlen gewinnen. Was war da anders im Burgenland?
Klaus Luger: Erstens gab es einen überzeugenden Kandidaten und zweitens die richtigen inhaltlichen Schwerpunkte. Sie wurden nicht nur angekündigt, sondern auch umgesetzt wie die 1700 Euro Mindestgehalt im öffentlichen Dienst oder die Anstellung für pflegende Angehörige. Das hat die Glaubwürdigkeit der starken Persönlichkeit Hans Peter Doskozils noch verstärkt.
SN: Nach innen sozial, nach außen eine harte Linie in der Zuwanderungspolitik. Ist das ein Rezept, mit dem die Sozialdemokratie wieder Erfolg haben kann?
Es geht in diese Richtung. Nicht aus wahltaktischen Überlegungen, sondern weil das tatsächlich die Herausforderungen sind. Wir haben es heute mit einer völlig anderen Zuwanderung als in den 50er- und 60er-Jahren oder im JugoslawienKrieg zu tun. Es kommen Menschen aus völlig anderen Kulturkreisen, mit völlig anderen Werthaltungen und Einstellungen. Sie sind schwieriger in unsere liberale Gesellschaft zu integrieren, als dies die Ungarn, Tschechen oder JugoslawienFlüchtlinge gewesen sind.
SN: Viele Bürger haben Ängste angesichts der Zuwanderung. Können Sie das verstehen?
Ich habe Verständnis dafür. Auch für den Wunsch von Menschen, die eigene Identität zu bewahren. Viele spüren tatsächlich einen Verlust von Heimat. Die SPÖ hat es in Österreich noch nicht geschafft, dem konservativen Heimatbewusstsein mit Tracht und Volksmusik einen sozialliberalen Österreich-Begriff entgegenzusetzen. Das gab es zuletzt unter Bruno Kreisky mit dem positiv besetzten und identitätsstiftenden Slogan vom österreichischen Weg. Damals ging das ohne Ausgrenzung ab.
SN: Wofür steht denn die SPÖ-Bundespartei heute?
Für viele Menschen ist das schwer erkennbar. Die Sozialdemokratie muss daher wieder greifbar werden. Eine Möglichkeit ist es, Schutzschild zu sein für die Menschen, die den gesellschaftlichen Schutz auch brauchen.
SN: Gibt es die noch?
Ja, das sind die sozial Schwächeren, das sind Menschen über 50, die keinen Job finden, Menschen, die durch niedrige Einkommen und hohe Wohnungskosten tatsächlich zu den Verlierern der letzten zehn Jahre zählen. Sie brauchen einen starken Schutz. Gleichzeitig gibt es Menschen, die wollen mehr Freiheit.
SN: Wie sieht die aus?
Sie wollen keinen Staat, der sie verpflichtet, nach 40 Stunden nicht mehr zu arbeiten. Die haben kein Problem damit, am Tag zwölf Stunden zu arbeiten, wenn es notwendig und sinnvoll ist. Viele tun das freiwillig, weil sie sich mit dem Betrieb identifizieren, weil sie Führungskräfte sind, weil sie ein eigenes Unternehmen gegründet haben. Für diese Menschen brauchen wir Angebote, die signalisieren, dass wir weniger regulieren wollen. Bei den Konservativen herrscht ja viel mehr Bevormundung, als es für sozialdemokratisch gesinnte Menschen erträglich ist.
SN: Das klingt für einen SPÖPolitiker sehr wirtschaftsfreundlich.
Es gibt Branchen, da geraten Mitarbeiter unter Druck, etwa in der Gastronomie. Da muss man sie schützen. Aber ich sage es deutlich: Es sind nicht alle Unternehmer Ausbeuter. Es sind nicht alle so strukturiert, dass sie die Menschen auspressen wollen. Das Bild war in
der Vergangenheit zu eindimensional.
SN: Es gibt unterschiedliche Anforderungen in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen. Wer soll das regeln?
In großen Unternehmen wie etwa in der voestalpine die Konzernleitung mit den Betriebsräten. Dort gibt es 16 verschiedene Arbeitszeitmodelle. Für kleine Firmen ohne Betriebsrat sollten wir eine paritätische Kommission aus Vertretern der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer mit der Frage befassen, ob ein Zwölf-Stunden-Tag in einer Firma umgesetzt wird, weil es betrieblich notwendig ist.
SN: Sie plädieren für eine Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft?
Ich bin ein glühender Anhänger der Sozialpartnerschaft. Der institutionalisierte Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist ein großer Teil unserer Erfolgsgeschichte. Die Sozialpartnerschaft darf allerdings nicht zu einer Schattenregierung führen, wie es in der Vergangenheit manchmal war. Aber man kann durch Verhandlungen und Gespräche die Probleme besser lösen als durch Zuspitzung. Polarisierung in der Gesellschaft spaltet und sie dient am Ende auch nicht den ökonomisch Mächtigen. Das ist vielleicht ein angloamerikanisches Gesellschaftsmodell, aber kein europäisches. Gesellschaften, die diesen Ausgleich nicht schaffen, verlieren auch ökonomisch. Das ist zum Beispiel derzeit Frankreich. Oder auch Italien.
SN: Die Polarisierung ist aber auch bei uns spürbar. Hier die erstarkte Regierungsführung, da die Gewerkschaft, die ihre Muskeln spielen lässt.
Ich betrachte das als bedenkliche gesellschaftliche Entwicklung. Ich kann nicht erkennen, wo hier die Sieger sein sollen. Auch eine starke Regierung hat umso stärker auf diesen Ausgleich zu achten.
SN: Was muss sich in der SPÖ ändern, damit sie wieder vorn dabei sein kann? Muss es zu personellen Änderungen kommen?
Die handelnden Personen sind nicht die zentrale Frage. Es geht um ein Gesamtpaket. Es muss alles zusammenpassen, um wirklich erfolgreich sein zu können. Die SPÖ muss, wenn sie in der Opposition ist, den Menschen glaubhaft vermitteln können, was sie in einer Regierungsfunktion machen würde. Derzeit hat die Sozialdemokratie auf Bundesebene, aber auch in Deutschland auf die zentralen Herausforderungen keine nachvollziehbaren Antworten.
SN: Was ist so eine zentrale Herausforderung?
Nehmen wir die Digitalisierung. Viele Menschen haben Angst. Wir müssen die Rahmenbedingungen festlegen. Es geht um einen Mix aus unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen, Freiheiten und konkreten Schutzbestimmungen. Ich bin dafür, dass Einpersonenunternehmen im Krankheitsfall finanziell so abgesichert sind wie Arbeitnehmer. Dann würden sich viele vor der Selbstständigkeit nicht mehr fürchten. Anhand der Digitalisierung muss auch eine neue Einwanderungspolitik her. Wir werden Zuwanderung benötigen. Wir definieren, welche Qualifikationen wir brauchen. Österreich muss ein weltoffenes Land werden, das eine qualifizierte Zuwanderung braucht, damit wir unser Sozialsystem erhalten können. Die Regierung tut das Gegenteil.
SN: Aber da sitzen mit den Grünen ja die besseren Sozialdemokraten drin.
Dagegen verwahre ich mich. Das sind die Grünen bei Weitem nicht. Das sind doch eher Konservative. Die sind nicht sozialdemokratisch orientiert. Das war einmal vor Jahrzehnten. Diejenigen, die heute an der Spitze der Grünen stehen, stammen zu einem Gutteil aus bürgerlichen Familien. Das soziale Mäntelchen passt da längst nicht mehr. Bei uns in Linz sind die Grünen vor allem in den konservativen Bezirken stark. Die heutige Bundesregierung hat zusammengefunden, weil es einen viel stärkeren gemeinsamen Wertekonsens gibt, als man glaubt. Das mit der angeblich fehlenden Schnittmenge zwischen ÖVP und Grünen stimmt nicht.
SN: Es braucht die Sozialdemokraten also doch noch?
Auf jeden Fall. Aber in einer modernen Version. Die klassische Sozialdemokratie, die sehr stark auf Arbeiter und Angestellte gesetzt hat, brauchen wir für die Schutzbedürftigen. Aber ein großer Teil der Bevölkerung, der heute die Früchte sozialdemokratischer Errungenschaften genießt, braucht eine andere SPÖ.
SN: Wie die in Linz?
Ich maße mir nicht an, dass ich ein sicheres Konzept im Kopf habe, wie wir wieder in der Mitte der Gesellschaft landen und eine anerkannte sozialliberale Volkspartei werden. Aber ich habe Vorstellungen.
SN: Die da wären?
Das Erscheinungsbild der SPÖ ist altvaterisch. Rituale, die wir verkörpern, machen uns bei jungen Menschen völlig unattraktiv. Als ersten Schritt sollten wir daher die Menschen, die in der Sozialdemokratie sind, mitbestimmen lassen.
SN: Da könnte ja etwas herauskommen, was man nicht will?
Das riskiere ich gerade. Wir sind in der SPÖ Linz die Ersten in Österreich, die eine Urabstimmung unter allen Mitgliedern über den Parteivorsitz durchführen, aber auch über andere wichtige Fragen wie etwa den Ausbau der Videoüberwachung in der Stadt. Das Ergebnis wird bindend sein. Das nenne ich Demokratie. Das entspricht auch einem liberalen Modell, wie eine Partei funktionieren sollte. Die Zeiten, in denen die Vorsitzenden die allmächtigen Führungspersönlichkeiten waren, sind vorbei. Eine Partei wird nur überleben können, wenn die Mitglieder einen Sinn in dieser Mitgliedschaft sehen. Die Entscheidungen der Führungspersönlichkeiten werden immer mehr hinterfragt. Und das erfolgt zu Recht.