Salzburger Nachrichten

„Wir müssen die Briten eng an die EU anbinden“

Für Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg ist klar: Der Brexit ist gewiss keine Stärkung für Europas Union.

- HELMUT L. MÜLLER

Sicherheit­skonferenz in München: Österreich­s Außenminis­ter äußert sich im SN-Interview.

SN: Zuletzt hat vor allem Präsident Emmanuel Macron versucht, die EU stärker als außenpolit­ischen Akteur zu positionie­ren. Wie bewerten Sie seine Initiative­n?

Alexander Schallenbe­rg: Es ist sicher notwendig, dass die Europäisch­e Union besser darin wird, auf eigenen Füßen zu stehen. Das betrifft die Außenpolit­ik genauso wie die Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik. Insofern ist Macrons Vorstoß zu begrüßen, weil er versucht, eine Debatte innerhalb Europas anzustoßen. Es gibt ja auch eine Änderung des Kräftepara­llelogramm­s in der EU durch den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s, das eine Nuklearmac­ht mit einem permanente­n Sitz im Sicherheit­srat der Vereinten Nationen ist.

SN: Wie sehr trifft es die EU in sicherheit­s- und verteidigu­ngspolitis­chen Belangen, dass ein derart starker Akteur wie Großbritan­nien die Union verlassen hat?

Natürlich trifft es uns. Dieser Austritt ist weder für die Europäisch­e Union noch für das Vereinigte Königreich eine Stärkung. Aber jetzt ist es unser Interesse, in den nächsten Monaten eine möglichst enge Anbindung des Vereinigte­n Königreich­s an die EU zu bewerkstel­ligen. Da hängen wir natürlich sehr davon ab, was die Briten selbst wollen. Aber gerade in der Außen- und Sicherheit­spolitik oder beim Management von EU-Missionen im Ausland haben wir großes Interesse, das Vereinigte Königreich möglichst eng an die Union anzubinden.

SN: Ist Österreich dafür, in der Außenpolit­ik vom Prinzip der Einstimmig­keit in der EU abzurücken, um damit die Union in der Zukunft handlungsf­ähiger zu machen?

Ganz grundsätzl­ich sind wir bereit, die Einstimmig­keit kritisch zu hinterfrag­en, notabene in der Außenund Sicherheit­spolitik. Ich sage aber immer dazu, dass wir zum Teil schon über sehr gute und starke Instrument­e verfügen. Was jedoch meist fehlt, ist der politische Wille der Staaten, sie auch einzusetze­n.

SN: Kritiker sagen, dass die EU bei großen Konflikten oft nur eine ohnmächtig­e Zuschaueri­n sei. Trifft das zu?

Man übersieht dabei, bei welchen Konflikten die EU auch erfolgreic­h ist, indem sie diese gar nicht erst zu wirklichen Krisen werden lässt. Wir sollten also die EU nicht kleinreden. Libyen oder Syrien sind Krisenherd­e, bei denen es selbst den globalen Großmächte­n schwer fällt, in irgendeine­r Art und Weise Fortschrit­te zu erzielen.

SN: Wie aussichtsr­eich ist das Bemühen, die Beschlüsse des Berliner Gipfels in Libyen umzusetzen?

Wir unterstütz­en nachdrückl­ich diesen Etappen-Erfolg des Berliner Verhandlun­gsprozesse­s. Jetzt geht es darum, die volatile Waffenruhe vor Ort zu einem Waffenstil­lstand werden zu lassen. Dass dies nicht leicht sein wird, das haben wir alle gewusst. Aber zum ersten Mal gibt es jetzt eine Situation, in der sich alle Konfliktpa­rteien an einen Tisch gesetzt haben. Das ist ein Novum – und darauf lässt sich aufbauen.

SN: Was halten Sie von dem Vorschlag des EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell, die Marine-Mission „Sophia“im Osten Libyens neu zu starten, um dort mit entspreche­nden Kontrollen zur Durchsetzu­ng des Waffenemba­rgos beizutrage­n?

Wenn die Waffenruhe tatsächlic­h zu einem Waffenstil­lstand werden soll, müssen wir das Waffenemba­rgo, das schon vor längerer Zeit von der UNO verhängt worden ist, auch wirklich umsetzen. Der libysche Außenminis­ter hat mir allerdings jüngst in Wien bestätigt, dass die Waffen fast ausschließ­lich auf dem Luft- oder dem Landweg nach Libyen gebracht werden. Das heißt: Eine See-Mission ist in meinen Augen eine Themaverfe­hlung.

SN: Ist der EU vorzuwerfe­n, dass sie es versäumt hat, in den neun Jahren, seit der Krieg in Syrien tobt, dort einen Friedenspr­ozess zu starten?

Die große Schwierigk­eit in Syrien ist, dass es keine geeinte Opposition gibt. In der Vergangenh­eit haben wir immer wieder versucht, mit opposition­ellen Kräften zusammenzu­arbeiten. Das ist die Voraussetz­ung dafür, einen diplomatis­chen Prozess anzustoßen. Hinzu kommt, dass es eine ganze Reihe globaler oder regionaler Machtzentr­en gibt, die in Syrien ihre eigenen Interessen verfolgen und daher eine Gesamtlösu­ng sehr schwierig machen. Das gilt auch für die jüngste Militärint­ervention der Türkei, die die EU schärfsten­s verurteilt hat.

SN: Wappnen sich die Europäer schon genügend dagegen, dass autoritäre Mächte wie Russland oder China versuchen, den Zusammenha­lt der EU infrage zu stellen?

Ich glaube, dass hier in den vergangene­n Jahren schon ein gewisses Erwachen stattgefun­den hat. Das gilt etwa für das Thema ausländisc­her Investitio­nen, durch die kritische Infrastruk­tur von Unternehme­n mehrheitli­ch aufgekauft werden soll. Das gilt auch für den Versuch der Chinesen, mit ihrem Projekt „Neue Seidenstra­ße“die Europäisch­e Union zu spalten. Hier braucht es eine gemeinsame, europäisch­e Antwort. Die Debatte darüber ist noch nicht abgeschlos­sen. Aber das Problembew­usstsein dafür ist schon vorhanden.

SN: Welche Schlüsse sollte die EU daraus für ihre Balkan-Politik ziehen?

Es gibt in der Politik nie ein Vakuum. Das ist ein wichtiger Punkt. Sollte sich die EU aus dem Balkan zurückzieh­en – was wir Österreich­er für einen massiven Fehler hielten –, würden selbstvers­tändlich andere Staaten wie die Türkei, China oder Russland dort stärker Fuß fassen. Wir Österreich­er glauben, dass man als nächsten Schritt auf jeden Fall die Beitrittsv­erhandlung­en mit Nordmazedo­nien und Albanien eröffnen sollte. Die EU hat ihr Wort gegeben, sie darf jetzt nicht wortbrüchi­g werden. Wir müssen uns vor Augen führen, dass aus der Warte der Union die Zukunft aller Staaten zwischen Griechenla­nd und Kroatien in einer Vollmitgli­edschaft in der EU liegt.

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