Im Moment zählt alles
Über Serien, die man sehen muss, und solche, die man nicht vergessen sollte.
Gern fragen Medien ihre Nutzer, was sie von diesem oder jenem halten. Das bringt Zugriffe und Verweildauer. Die Leute waren früher bloß Leserinnen und Leser, aber sie wollen nicht mehr nur Konsumenten sein. Sie wollen mittun. Das ist Demokratisierung, weil Demokratie im tiefsten Inneren bedeutet, dass jeder überall mitreden darf. Kürzlich kam ein Newsletter zum Mittun. Ich wurde gefragt, welche Serie ich im Moment schaue. Nun, im Moment schreibe ich diese Kolumne, schau also nicht. Aber so genau muss man es nicht nehmen. Es ballern jeden Moment Meldungen daher, die vorgeben, im Moment das einzig Wichtige zu sein. Brand in einer Leberknödelfertigungsanlage. Alkoholismus auf der Skipiste. Alles im Moment unverzichtbar, um im nächsten Moment verjagt zu werden von einem Sturm oder der Meldung, dass es im Winter schneit. Was Filme und Serien betrifft, ist „im Moment“ohnehin abgeschafft. Diesen einen Moment fürs Serieschauen haben die Streamingdienste beseitigt. Man schaut, wann man will. Das ist ein großer Schritt in eine Freiheit, von der man aber noch nicht genau sagen kann, was sie bedeutet, außer dass man seine Zeit noch besser einteilen muss. Wer vor gefühlten 100 Jahren etwa „Magnum“oder „Dallas“oder „Ally McBeal“sehen wollte, wusste, wann eingeschaltet werden musste. Wer nicht dabei war, hatte es verpasst oder einen Videorekorder. Das passiert nicht mehr. Jetzt kann man immer schauen. Das führt dazu, dass Lolinger und ihre Freundin im Moment nicht über diesen einen nice guy reden können. Der taucht in der zweiten Staffel/Folge drei auf, aber Lolingers Freundin hängt noch am Ende der ersten Staffel fest. Aufholen? Aber wann, wenn doch Schularbeiten anstehen? Die Folge: Lolinger kann sich mit ihrer Freundin im Moment gar nicht darüber unterhalten, was grad passiert. Und Spoilern natürlich komplett verboten. Ich fühle mich schrecklich alt, wenn ich das höre. Einerseits. Andererseits ist es mir wurscht. Was daran liegt, dass ich keine Schularbeiten mehr habe und nächtelang Serienfolgen aufholen kann, wenn ich mag. Und dann gehe ich unter in Erinnerungen, weil mir dieser eine Moment, von dem gesagt wird, man müsse dabei sein, ohnehin suspekt ist. Welche Serie ich also schaue? Ich schaue „Irgendwie und sowieso“. Tun Sie das auch! Sie werden nicht hip sein im Moment, aber eine Freud werden Sie haben.