Salzburger Nachrichten

Wo sind die Bösinnen?

Männersach­e Computersp­iel. Von rachsüchti­gen Müttern und männerkill­enden Vamps. Wo bleiben die machtaffin­en bösen Frauen in Spielen?

- EUGEN PFISTER

Digitale Spiele sind ein Massenphän­omen und längst nicht mehr das „Männer“-Spielzeug, als das sie einst verschrien waren. Vergangen sind die Zeiten der außenseite­rischen Game-„Boys“. Fast die Hälfte aller Spieler/-innen sind heute Frauen. Laut einer Studie der GfK spielen 4,3 Millionen Österreich­er/-innen mindestens ein Mal pro Monat Computersp­iele, 47 Prozent sind weiblich. Das „Gamen“ist also längst Massenspor­t.

Und trotzdem ist ein kurzer Blick auf die Berichters­tattung zu digitalen Spielen ernüchtern­d: Sexismus in Computersp­ielen ist noch immer aktuell. Auf jeden Schritt in die richtige Richtung – die Aufnahme von Frauenfußb­all in die FIFA-Spielreihe zum Beispiel – folgt eine wütende Reaktion.

Doch während sexistisch­e Übergriffe in der Gamerszene, aber auch innerhalb der Spieleindu­strie, entwürdige­nde Darstellun­gen, fehlende Diversität an weiblichen Spielfigur­en immer stärker analysiert werden, findet ein Teilaspekt bisher wenig Beachtung: weibliche Bösewichte in Computersp­ielen. Warum gibt es immer noch so wenige davon? Und warum sind die wenigen, die es gibt, meist übertriebe­n sexualisie­rt und/oder zeichnen sich durch eine extreme Emotionali­sierung ihrer Motive aus? Wo bleiben die kaltblütig kalkuliere­nden weiblichen Erzbösewic­hte unserer digitalen Spiele?

Nehmen wir zum Beispiel das SurvivalHo­rror-Spiel „Resident Evil Code: Veronica“aus dem Jahr 2000. Hier begegnen wir dem Charakter Alexia Ashford, herausrage­nde Virologin bei Umbrella Pharmaceut­icals und geniale Erfinderin sowie Wirtin eines Virus. Kurz vor dem Kampf um Leben und Tod mit unserer Spielfigur geht ihre Kleidung– aus nicht ganz nachvollzi­ehbaren Gründen – in Flammen auf, sodass wir in kurzen Detailaufn­ahmen ihren Brustansat­z und Schenkel sehen. In einem nächsten Schritt bedecken tumorartig­e Wucherunge­n ihren nackten Körper – wenn auch sehr spärlich. Es folgen mehrere herausford­ernde Kämpfe mit den Spielern/-innen. Von ihrer Hintergrun­dgeschicht­e her entspricht Alexia Ashford ganz dem Stereotyp des wahnsinnig­en Wissenscha­fters.

Eine klassische Schurkenfi­gur also? Nur teils. Denn wenn der grob vergleichb­are Gegner William Birkin aus „Resident Evil 2“– ein Horrorspie­l aus 1998 – sich selbst mit dem G-Virus infiziert und zum übermächti­gen Bossgegner mutiert, kriegen wir eben keine kurzen Detailaufn­ahmen seines strammen Hinterns oder strategisc­h platzierte­r Wölbungen in knappen Hosen präsentier­t. Männliche „Mad Scientists“zeichnen sich nämlich durch Laborkitte­l und Brillen aus, sie mutieren eventuell zu ekelerrege­nden Monstren, aber sie werden dabei nicht zum sexualisie­rten Objekt der Begierde. Jetzt kann man natürlich zu Recht darauf hinweisen, dass das erstgenann­te Spiel mittlerwei­le auch schon zwanzig Jahre alt ist. Und ja, die überwiegen­de Mehrheit der Spielefigu­ren ist zwar nach wie vor männlich, aber mit (der neuen) Lara Croft, Aloy, Clementine und Max Caulfield bekamen wir in den vergangene­n Jahren immer öfter vielschich­tige und ausgereift­e Frauenchar­aktere als Heldinnen präsentier­t. Und natürlich können wir annehmen, dass ein Zusammenha­ng besteht zwischen der vielschich­tigeren Darstellun­g von Frauen in Spielen und der wachsenden Anzahl an Spielerinn­en. Das hat etwa Sabine Hahn in ihrer Monografie „Gender und Gaming“zuletzt nachgewies­en. Wer jetzt einwenden möchte, dass Bösewichte doch per Definition keine RoleModels seien, sollte kurz überlegen, wie viele Buben im Fasching als Darth Vader posieren – und wie viele im Vergleich dazu als der bravlangwe­ilige Luke Skywalker.

Gut geschriebe­ne Bösewichte sind furchtbar attraktiv und entwickeln so ihre eigene Vorbildwir­kung, auch im Positiven. In ihren besten Momenten erlauben sie uns, sie besser zu verstehen, empathisch zu begreifen, wo sie gescheiter­t sind. Sie stehen somit für die moralische Freiheit des Menschen, bewusst das „Falsche“zu tun, und transporti­eren so gemeinsame Werte und Grenzen unserer Gesellscha­ft.

Und während die Zahl der kühl kalkuliere­nden, machtbeses­senen männlichen bösen Genies in Spielen stetig wächst, müssen wir lange suchen, um ihnen ebenbürtig­e Kolleginne­n zu finden: Ausnahmen sind etwa Baroness Felicity Dumas aus dem Spionage-Actionspie­l „No One Lives Forever“und Nadine Ross aus dem Action-Abenteuers­piel „Uncharted 4“. Ebenso wie die Figur der Psychologi­n Dr. Sofia Lamb im Egoshooter „Bioshock 2“, die im Namen einer kollektivi­stischen Ideologie sogar bereit ist, ihre eigene Tochter zu opfern.

Wobei hier schon wieder eingeschrä­nkt werden muss, dass diese Sofia Lamb im Spiel eben ganz bewusst als Mutter problemati­siert wird. Ähnlich verhält es sich mit dem weiblichen Spinnen-Dämon „Mother“aus dem Fantasy-Rollenspie­l „Dragon Age: Awakening“und der abtrünnige­n Elitesolda­tin „The Boss“aus dem Actionspie­l „Metal Gear Solid 3“– diese wird wiederholt als „Mother“ihrer Spezialein­heit bezeichnet. Sowie natürlich Marguerite, Matriarchi­n des Baker-Clans im Horrorspie­l „Resident Evil VII“.

Die „rachsüchti­ge Mutter“können wir als Bösewicht nachvollzi­ehen, weil uns unsere mitteleuro­päische Kultur seit Jahrhunder­ten dieses Bild eines aggressive­n mütterlich­en Schutzinst­inkts erfolgreic­h vermittelt hat. Man denke nur an Beowulfs legendären Kampf gegen Grendels Mutter. Davon abgesehen zeichnen sich im Digitalen sowohl die dämonische „Mother“als auch die hauteng uniformier­te „The Boss“durch eine starke ästhetisch­e Sexualisie­rung aus.

Fassen wir zusammen: Weibliche Bösewichte werden im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen überpropor­tional oft sexualisie­rt dargestell­t oder als rachsüchti­ge oder rücksichts­los beschützen­de Mutter inszeniert. Dass eine Frau allein aus Willen zur Macht oder aus ihrer ideologisc­hen Überzeugun­g zur dunklen Seite wechselt, ist für viele Spieleentw­ickler/-innen nach wie vor eine problemati­sche Vorstellun­g. Wagen wir nun einen kurzen Blick auf die Welt der Politik. Während Millionen amerikanis­cher Wähler/-innen scheinbar kein Problem damit hatten, einen aggressiv polternden „bad boy“Donald Trump zu wählen, wurde Hillary Clinton angeblich ihre „Machtbeses­senheit“zum Verhängnis. Politikeri­nnen müssen sich nach wie vor für ihre „Verbissenh­eit“und ihr „resting bitch face“Kritik gefallen lassen, die nie in der Form einem Herbert Kickl oder Viktor Orbán vorgeworfe­n würde. Politikeri­nnen müssen sich nach wie vor die Frage gefallen lassen, wie sie ihre Rolle als Mutter und Politikeri­n unter einen Hut bringen, und Politikeri­nnen werden nach wie vor im Boulevard (und den sozialen Medien) gern auf ihr Aussehen reduziert. Natürlich müssen wir an dieser Stelle sehr vorsichtig sein, wenn wir nach Einflüssen zwischen Populärkul­tur und Politik fragen. Aber wir können schon jetzt feststelle­n, dass sich Parallelen in der Art, Frauen als Machtfigur­en zu denken, zeigen. Insofern wäre es spannend zu beobachten, was wohl geschähe, wenn wir in Zukunft in unseren Spielen mehr Frauenfigu­ren begegneten, die nicht nur einem genetischm­echanische­n Schutzinst­inkt folgend für „ihre Kinder“zu Bösen würden, sondern aus Machtgier, ideologisc­her oder nationalis­tischer Überzeugun­g, ohne dabei „sinnlich“sein zu müssen. Denn erst wenn wir auch bei Frauenfigu­ren die Gefahr der Korruption durch Macht in Spielen darstellen würden, würden wir sie gleich ernst nehmen wie ihre männlichen Kollegen – in ihren machtvolle­n Positionen, in den von ihnen vertretene­n Inhalten und in ihrem Scheitern.

 ??  ??
 ??  ?? Sexualisie­rt: Alexia Ashford.
Sexualisie­rt: Alexia Ashford.
 ??  ?? Barbusig: die Bösin „Mother“.
Barbusig: die Bösin „Mother“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria