Salzburger Nachrichten

Rechts, rechter, rechtsextr­em

Vor hundert Jahren wurde die NSDAP gegründet. Dass Wiederbetä­tigung im heutigen Österreich verboten ist, das ist klar. Aber wie „rechts“ist gerade noch erlaubt? Und: Lässt sich unsere Demokratie „legal“abschaffen?

- REINHARD KLAUSHOFER

Vor 100 Jahren, am 24. Februar 1920, wurde die Nationalso­zialistisc­he Deutsche Arbeiterpa­rtei (NSDAP) gegründet. Der Aufstieg der Partei und jener von Hitler sind aufs Engste miteinande­r verbunden. Die späteren Gräueltate­n des nationalso­zialistisc­hen Regimes klaffen nach wie vor wie eine tiefe Wunde in unserer Geschichte. Dieser Jahrestag, die jüngsten Ereignisse in Thüringen, in Polen oder auch in Ungarn – sie geben Anlass, darüber nachzudenk­en, wie wehrhaft unsere Demokratie gegen derart menschenve­rachtende und diktatoris­che Strömungen ist. Manches davon wird den Nichtjuris­ten wahrschein­lich überrasche­n. Denn: In der rechtswiss­enschaftli­chen Fachwelt ist strittig, ob unsere Verfassung ein „antination­alsozialis­tisches Grundprinz­ip“enthält. Ein solches Prinzip ist jedenfalls nicht im Wortlaut der Verfassung zu finden, sondern wäre als Bestandtei­l des Artikels 1 der Bundesverf­assung zu betrachten. Der konstituie­rt Österreich als demokratis­che Republik. Warum ist die Frage zentral? Weil mit ihr zusammenhä­ngt, ob es verpflicht­end zu einer Volksabsti­mmung kommen muss, sollte eine entspreche­nde Bewegung in den Nationalra­t bzw. die Landtage einziehen wollen. Ein solches Prinzip würde jedoch nur vor nationalso­zialistisc­hen Ideologien, nicht jedoch vor jedweden extremisti­schen Strömungen schützen.

Grundprinz­ipien der Verfassung kann man also nur per Volksabsti­mmung ändern. Wäre die Einführung eines NS-Systems aber überhaupt ein Verstoß gegen diese Grundprinz­ipien? Überrasche­nderweise ist das – rein juristisch – umstritten. Falls nein, könnte etwa der Nationalra­t ein nazistisch­es System „einfach“per Verfassung­smehrheit legalisier­en. Und auch wenn eine Volksabsti­mmung nötig ist, so zeigt die Geschichte, dass deren Ergebnis durchaus politisch beeinfluss­bar ist. Gott sei Dank kam es jedoch nie dazu, dass darüber in der Praxis beraten werden musste. Generell gilt aber: Ja – im Rahmen der Verfassung kann auch die Demokratie abgeschaff­t werden. Und nicht nur in Österreich: In den USA etwa hat sogar der Nationalso­zialismus explizit im demokratis­chen Spektrum Platz, nach dem Motto: „Auch das muss unsere Demokratie aushalten.“

Und auf internatio­naler Ebene? Es bestehen durchaus rechtliche Verpflicht­ungen gegenüber anderen Staaten. Artikel 9 des

Staatsvert­rags von Wien schreibt etwa die Auflösung nazistisch­er Organisati­onen vor. Es müsste also der Staatsvert­rag gekündigt oder eine völkerrech­tliche Verletzung in Kauf genommen werden, wollte man einer neuen NS-Partei den Weg bereiten.

Und: Mit dem Beitritt zur EU ist Österreich zusätzlich zum Staatsvert­rag von Wien verpflicht­et, die Werte der Europäisch­en Union zu achten. Zu diesen zählen die Menschenwü­rde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaa­tlichkeit und die Wahrung der Menschenre­chte, einschließ­lich derer von Minderheit­en. Polen und Ungarn führen allerdings deutlich vor Augen, wie schwer es selbst in einer engen Staatengem­einschaft wie der EU ist, derartige Verpflicht­ungen zu sanktionie­ren. Angesichts dieser Rahmenbedi­ngungen kann eine Art von neuem Nationalso­zialismus auf regulärem Weg kaum in Österreich Platz greifen. Wie uns jedoch die eigene Geschichte und die aktuellen Geschehnis­se zeigen, sind es zuerst schleichen­de und im Endeffekt revolution­äre Ereignisse, die zu massiven Umbrüchen führen.

Aus diesem Grund sind Einbrüche in die

eng mit der Demokratie verknüpfte­n Menschenre­chte besonders sorgsam und kritisch zu betrachten. Die mithilfe moderner Technologi­en immer mehr verdichtet­e staatliche Überwachun­g und die Ausdünnung der Justiz sind besorgnise­rregende Musterbeis­piele.

Was aber ist ganz praktisch, nach derzeitige­r Gesetzesla­ge, verboten und was erlaubt, ab wann ist eine Partei zu nahe am Nationalso­zialismus? Die Rechtsprec­hung orientiert sich als Referenz am Parteiprog­ramm der NSDAP und ihrer aktiven Politik während ihrer Herrschaft. Konkretes Beispiel: Eine Partei, die sich „gegen volksfremd­e Elemente“und „Umvolkung“wendete, fiel unter das Verbotsges­etz. Auch Forderunge­n nach „Rassentren­nung“fielen darunter. Ruft eine Partei zur körperlich­en Gewalt auf oder zum bewaffnete­n Widerstand gegen den Staat, verstößt sie nicht direkt gegen das Verbotsges­etz, wenn sie nicht direkt Nazi-Bezugspunk­te aufweist – sondern gegen das Strafrecht. Versammlun­gen, bei denen zur Gewalt aufgerufen wird, können zudem nach dem Versammlun­gsgesetz untersagt werden.

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BILD: SN/STOCKADOBE-ENGINEER

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