Ein Schluckerl Lifestyle, bitte!
Wasser kann mehr. Wasser ist lebenswichtig und wertvoll. Aber um damit Geld zu verdienen, braucht es auch eine prickelnde Idee.
Wasser ist ein besonderer Saft. Es ist nicht nur Voraussetzung für jedes Leben, sondern auch wichtigster Baustoff des Menschen. Der menschliche Körper besteht zu mehr als zwei Dritteln aus Wasser. Auf einen 81 Kilo schweren Mann entfallen 57 Liter Wasser, Frau Österreicherin bringt im Schnitt 45 Liter auf die Wasserwaage. Wasser ist auch das erste Getränk der Geschichte. Mindestens zwei Liter Wasser soll man täglich trinken, um Flüssigkeitsverluste auszugleichen, empfehlen Ärzte. Der Appell scheint zu fruchten. Österreicher konsumieren gut 90 Liter pro Kopf und Jahr, Tendenz steigend. Das betrifft freilich nur abgefülltes Mineralwasser. 2019 stieg der Inlandsabsatz von natürlichem Mineralwasser aus Österreich um drei Prozent auf 723,5 Mill. Liter. Was die Österreicher mit dem Leitungswasser anstellten, sei nicht konkret nachvollziehbar, sagt Birgit Aichinger, Geschäftsführerin von Vöslauer, Österreichs Marktführer bei Mineralwasser. „Schwer zu sagen, was davon verkocht, getrunken oder fürs Duschen verwendet wird.“Genauer erforscht sind die geschmacklichen Vorlieben. Es gebe „einen klaren Trend zu Mineralwasser mit Geschmack, aber ohne Zucker und künstliche Zusatzstoffe“. Zuckerreduktion ist das große Thema. Einen Boom erleben auch neue Produkte, die Leitungswasser so anreichern, dass sie mit Getränken konkurrieren, die geschmacklich zwischen Wasser und Limonade angesiedelt sind. Findige Köpfe erschaffen ganze Produktpaletten, um die älteste Flüssigkeit der Welt in ein modernes Lifestyle-Produkt zu verwandeln. Das beginnt damit, dass man das in unseren Breiten einwandfreie, aber von manchen geschmacklich als langweilig empfundene Wasser aus der Leitung durch Zugabe von Kohlensäure zum Prickeln bringt. Ein Gerät sprudelt Kohlensäure in Leitungswasser und verwandelt es so in Sprudelwasser. Weltmarktführer in dem Segment ist das israelische Unternehmen SodaStream, das mehr als 14 Millionen Wassersprudler in 46 Ländern weltweit verkauft hat. Österreich zählt aufgrund seiner hohen Trinkwasserqualität zu den wichtigsten Absatzmärkten. Damit entfällt das Schleppen von Mineralwasserkisten. Aktiv beworben wird auch der Umweltaspekt. Eine einzige Familie könne im Lauf der Zeit „Tausende überflüssige Plastikflaschen einsparen und trägt so aktiv zur Reduzierung der Emissionswerte bei“, sagt Österreich-Manager Tim Günther. Um den Aspekt noch zu unterstreichen, engagiert sich SodaStream werbewirksam bei der Sammlung von Plastikmüll im Meer. Wie viel Fantasie in dem Geschäftsfeld steckt, beweist die Tatsache, dass der US-Getränkegigant PepsiCo SodaStream 2018 schluckte – für 3,2 Mrd. Dollar (2,8 Mrd. Euro). Der Kaufpreis war damit um ein Drittel höher als der Wert, den SodaStream damals an der Börse hatte.
Kräftiges Wachstum melden auch viele jener Unternehmen, die Wasser Geschmack hinzufügen, wie das junge österreichische Unternehmen Waterdrop. Ein Miniwürfel mit wenigen Millimetern Kantenlänge verwandelt einen halben Liter Leitungswasser in einen „Microdrink“mit Geschmacksrichtungen von Hagebutte bis zur – einst bei den Mayas populären – Acerola-Kirsche oder der Kaktusfeige. Statt Zucker wird Süßungsmittel verwendet.
Waterdrop-Gründer Martin Murray bereitet gerade den Markteinstieg in die USA vor. „Der Wassermarkt boomt noch immer“, ist er überzeugt. Allerdings sei es schwierig, eine loyale Käuferschaft zu entwickeln für eine Marke, die auf einem kostenlosen und jederzeit verfügbaren Rohstoff basiere. Wie andere Anbieter versucht Waterdrop Kunden durch Zusatzprodukte und Accessoires an sich zu binden, seien das nun Gläser, personalisierte Aufbewahrungsbehälter, Trinkflaschen aus Edelstahl oder dazupassende „Bottle Brushes“zu deren Reinigung.
Eine besondere Form, Leitungswasser Geschmack zu verleihen, hat das 2018 in München gegründete Unternehmen Air Up entwickelt. Durch die Kombination von Design mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen habe man „das Trinken neu erfunden“, verspricht das Start-up. Die Innovation besteht darin, dass beim Trinken eigens entwickelte Flaschenaufsätze („Duft-Pods“) einen Duft im Rachenraum freisetzen, den das Gehirn als Geschmack wahrnimmt. Mit diesem Trick wird die eigene Wahrnehmung an der Nase herumgeführt. Der Mensch erlebt den Geschmack von Himbeer-Zitrone, Apfel, Gurke oder Spekulatius, während er reines Wasser trinkt – ohne Zusatzstoffe, Zucker oder Kalorien.
Diese Beispiele belegen einen klaren Trend. Er besteht darin, aus dem in unseren Breitengraden leicht verfügbaren und oft unterschätzten Rohstoff Wasser ein modernes Lifestyle-Produkt zu machen, mit Identität zu versehen und – vor allem –, um damit auch Geld zu verdienen. Kein Wunder. Der Markt für abgefülltes Mineralwasser in Österreich ist rund 400 Millionen Euro schwer. Auf Wasser-Zusatzprodukte entfällt mit geschätzten 20 Millionen ein Bruchteil davon. Aber der Trend dürfte anhalten, schätzt Marktforscher Andreas Kreutzer. „Die Verbrauchergewohnheit geht eindeutig in Richtung Flavours, die Leute wollen Wasser mit Geschmack.“
Dazu kommt auch das gute Gewissen, das man mit den neuen Wasserzusätzen gleich mittrinken kann. Nicht umsonst bewerben Hersteller vor allem Aspekte wie Gesundheit und Umweltschutz, durch den Wegfall von Verpackungsmaterial und Transportwegen. „Es ist ein gutmenschliches Produkt“, bringt es Kreutzer auf den Punkt.
Auch etablierte Mineralwasserhersteller haben die Trends erkannt und forcieren den Umweltschutz etwa durch Glas-Mehrwegflaschen oder recycelte PET-Gebinde. Gegen die neuen Mitbewerber führt Vöslauer-Geschäftsführerin Birgit Aichinger vor allem die Qualität ins Treffen. „Wir werden nicht müde zu sagen, dass Wasser nicht gleich Wasser ist.“Mineralwasser unterliege strengen Auflagen und Prüfungen und müsse zusatzfrei direkt aus geprüften unberührten Quellen kommen. Bei Vöslauer ist es eine 660 Meter tiefe und 15.000 Jahre alte Quelle.
Übrigens ist die Anreicherung von Wasser keineswegs neu. Schon 1783 ließ sich ein deutscher Uhrmacher ein Verfahren zur Anreicherung von Wasser mit Kohlensäure patentieren. Es ging darum, das bittere Chininpulver zum Schutz vor Malaria in Sodawasser aufzulösen und mit Limettensaft angereichert trinkbar zu machen.
Im großen britischen Weltreich wurde das Produkt zum durchschlagenden Erfolg. Den Namen des Erfinders kennt man bis heute – Jacob Schweppe.