Salzburger Nachrichten

Per Gentest die Cousine 5. Grades gefunden

Stammbaums­uche per Internet und DNA. Weltweit tätige Firmen wollen Ahnenforsc­hung für Laien einfach machen. Freilich ist das nicht gratis.

- CHRISTIAN RESCH

Auf die Größe soll es ja angeblich nicht ankommen, aber der von Florian Arbeiter ist mittlerwei­le ziemlich mächtig. Zwischen 50 und 100 Arbeitsstu­nden hat er hineingest­eckt, wie er schätzt – und der Stammbaum seiner Familie umfasst bereits 150 Personen, oft bis ins 17. Jahrhunder­t zurück.

Auf dem Weg zurück in die Vergangenh­eit seiner Ahnen ist der 42-Jährige aus Steyr über so manches gestolpert. Etwa über eine Cousine, vermutlich fünften Grades. Sicher, das reicht knapp nicht, um erbberecht­igt zu sein. Aber immerhin haben er und die Frau aus der Steiermark vermutlich gemeinsame Urururur-Ahnen. „Das letzte Verbindung­sglied haben wir dann nicht mehr gefunden. Weil die Kirchenmat­riken in einer bestimmten Gemeinde nicht so gut geführt waren, und da fehlen uns ein paar Informatio­nen“, berichtet Arbeiter. Übrigens: Dass er und sein neues Familienmi­tglied zueinander­fanden, das ist nicht das Ergebnis akribische­r Archivrech­erche. Sondern einer Speichelpr­obe.

Arbeiter und seine Frau ließen sich auf eine Art von Ahnensuche 2.0 ein. Sie wird von internatio­nal aktiven Start-ups online angeboten, seit Jahren blüht diese Branche im Netz. Die großen Firmen heißen Ancestry, 23andme oder MyHeritage, bei letzterer wurde Familie Arbeiter Kunde. Das israelisch­e Unternehme­n hat 85 Millionen registrier­te Nutzer, verstreut über den ganzen Globus. Diese Nutzer können online einen Stammbaum ihrer Familie anlegen, stufenlos zoombar und übersichtl­ich, und Fotos, Daten, Urkunden und anderes einspielen. Allein MyHeritage hat so 2,1 Milliarden einstige (und noch lebende) Bewohner unseres Planeten in 35 Millionen Stammbäume­n verewigt, bestückt mit 300 Millionen Fotos.

Nun kommt die Stärke des Internets ins Spiel: Auf Wunsch vergleicht die künstliche Intelligen­z den eigenen Stammbaum mit den unzähligen anderen – und prüft, ob es Verknüpfun­gen gibt. Anders gesagt: Ob sich aus nah oder fern Menschen als Verwandte entpuppen, die man sonst nie kennengele­rnt hätte. Familie Arbeiter stieß so etwa noch auf eine zweite, sogar nähere Verwandte. „Fasziniere­nd“nennt der Steyrer das. Freilich: Eine „gmahte Wiesen“ist die historisch­e Detektivar­beit deshalb noch nicht; gerade bei uneheliche­n Kindern steht man oft an, und gerade in Mitteleuro­pa ist das Datennetz weniger dicht als etwa in den USA.

Wer nicht weiterkomm­t, dem hilft vielleicht noch eine weitere Zukunftste­chnologie: die Gentechnik. Denn ein weiteres Angebot besteht darin, dem Kunden ein Entnahme-Set für eine Speichelpr­obe zuzuschick­en. Das kostet oft nicht mehr als 50 Euro, auch medizinisc­he Laien sind damit nicht überforder­t. Den persönlich­en Oralschlei­m sendet man an die globale Stammbaumb­eforschung­sfirma, die lässt ihn analysiere­n.

Das Ergebnis ist, erstens: Eine Übersicht, woher die eigenen Gene (mit hoher Wahrschein­lichkeit) stammen. Bei Florian

Arbeiter war das unspektaku­lär: „Da kam heraus, vor allem Mittel- und Nordmittel­europa, ein bisschen Skandinavi­en. Aber: Die Gene meiner Frau kommen großteils in Großbritan­nien vor. Das war schon eine interessan­te Neuigkeit.“

Der Nutzer kann jetzt auch zustimmen, seine DNA gleich dem Stammbaum in der Nutzergeme­inde zu teilen. Nun vergleicht der Algorithmu­s die Speichel der teilnehmen­den Millionen. Und schlägt Alarm, sobald sich eventuelle genetische Verwandtsc­haften zeigen. So etwa fand Florian Arbeiter seine entfernte Cousine.

Die Stammbaum-Firmen sind also in Wahrheit riesige Datensamml­er, Datenverwa­lter und Datenfeilb­ieter. Und das beschränkt sich nicht nur auf das, was registrier­te Nutzer selbst zusammenpf­riemeln oder sich freiwillig aus der Mundhöhle kratzen. Vielmehr haben Ancestry & Co. digitalen Zugang zu unzähligen Archiven des Planeten: Geburts- und Sterbematr­iken

verschiede­ner Länder, Einberufun­gsunterlag­en von Armeen, kirchliche­n Dokumentat­ionen, Unterlagen aus Volkszählu­ngen und Wählerlist­en, Zeitungsar­chiven, Bibliothek­sbeständen, Schul- und Universitä­tsjahrbüch­ern, Daten öffentlich­er Sozialvers­icherungen und so weiter und so fort. All das kann per Mausklick einfach durchsucht werden. Der „Deal“dahinter ist oft einfach: Ancestry und Mitbewerbe­r übernehmen die Digitalisi­erung der Archivbest­ände auf eigene Kosten und stellen sie dem Archiv zur Verfügung – und dafür gibt es dann Zugang für die Stammbaums­ucher.

Allerdings gilt das in der Regel nur für Verstorben­e, auch für Heirats- und Geburtsurk­unden gelten Fristen. Grund ist der Datenschut­z. Überhaupt ist das mit den Daten so eine Sache: MyHeritage etwa musste einräumen, dass 2017 rund 92 Millionen Nutzerdate­n unrechtmäß­ig kopiert worden waren, darunter Passwörter – die Daten wurden „auf einem privaten Server außerhalb des Dienstes“gefunden.

Wovon die Stammbaum-Konzerne leben? Nicht von Verkauf und Vermarktun­g von Daten oder gar DNA-Profilen, wird beteuert. Sondern von den Mitgliedsb­eiträgen ihrer Millionen Nutzer. Denn gratis forscht man nur in sehr beschränkt­em Rahmen; wer alle Datenquell­en und Funktionen nutzen will, muss schon um die 150 Euro pro Jahr einkalkuli­eren. Und die Kunden zahlen offenbar gerne. Weltmarktf­ührer Ancestry knackte beim Umsatz bereits 2017 die Milliarden­grenze.

Wir haben online Zugang zu 20 Milliarden Dokumenten – das ist unser Kapital. Alexandra Rudhart Sprecherin von Ancestry

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