Per Gentest die Cousine 5. Grades gefunden
Stammbaumsuche per Internet und DNA. Weltweit tätige Firmen wollen Ahnenforschung für Laien einfach machen. Freilich ist das nicht gratis.
Auf die Größe soll es ja angeblich nicht ankommen, aber der von Florian Arbeiter ist mittlerweile ziemlich mächtig. Zwischen 50 und 100 Arbeitsstunden hat er hineingesteckt, wie er schätzt – und der Stammbaum seiner Familie umfasst bereits 150 Personen, oft bis ins 17. Jahrhundert zurück.
Auf dem Weg zurück in die Vergangenheit seiner Ahnen ist der 42-Jährige aus Steyr über so manches gestolpert. Etwa über eine Cousine, vermutlich fünften Grades. Sicher, das reicht knapp nicht, um erbberechtigt zu sein. Aber immerhin haben er und die Frau aus der Steiermark vermutlich gemeinsame Urururur-Ahnen. „Das letzte Verbindungsglied haben wir dann nicht mehr gefunden. Weil die Kirchenmatriken in einer bestimmten Gemeinde nicht so gut geführt waren, und da fehlen uns ein paar Informationen“, berichtet Arbeiter. Übrigens: Dass er und sein neues Familienmitglied zueinanderfanden, das ist nicht das Ergebnis akribischer Archivrecherche. Sondern einer Speichelprobe.
Arbeiter und seine Frau ließen sich auf eine Art von Ahnensuche 2.0 ein. Sie wird von international aktiven Start-ups online angeboten, seit Jahren blüht diese Branche im Netz. Die großen Firmen heißen Ancestry, 23andme oder MyHeritage, bei letzterer wurde Familie Arbeiter Kunde. Das israelische Unternehmen hat 85 Millionen registrierte Nutzer, verstreut über den ganzen Globus. Diese Nutzer können online einen Stammbaum ihrer Familie anlegen, stufenlos zoombar und übersichtlich, und Fotos, Daten, Urkunden und anderes einspielen. Allein MyHeritage hat so 2,1 Milliarden einstige (und noch lebende) Bewohner unseres Planeten in 35 Millionen Stammbäumen verewigt, bestückt mit 300 Millionen Fotos.
Nun kommt die Stärke des Internets ins Spiel: Auf Wunsch vergleicht die künstliche Intelligenz den eigenen Stammbaum mit den unzähligen anderen – und prüft, ob es Verknüpfungen gibt. Anders gesagt: Ob sich aus nah oder fern Menschen als Verwandte entpuppen, die man sonst nie kennengelernt hätte. Familie Arbeiter stieß so etwa noch auf eine zweite, sogar nähere Verwandte. „Faszinierend“nennt der Steyrer das. Freilich: Eine „gmahte Wiesen“ist die historische Detektivarbeit deshalb noch nicht; gerade bei unehelichen Kindern steht man oft an, und gerade in Mitteleuropa ist das Datennetz weniger dicht als etwa in den USA.
Wer nicht weiterkommt, dem hilft vielleicht noch eine weitere Zukunftstechnologie: die Gentechnik. Denn ein weiteres Angebot besteht darin, dem Kunden ein Entnahme-Set für eine Speichelprobe zuzuschicken. Das kostet oft nicht mehr als 50 Euro, auch medizinische Laien sind damit nicht überfordert. Den persönlichen Oralschleim sendet man an die globale Stammbaumbeforschungsfirma, die lässt ihn analysieren.
Das Ergebnis ist, erstens: Eine Übersicht, woher die eigenen Gene (mit hoher Wahrscheinlichkeit) stammen. Bei Florian
Arbeiter war das unspektakulär: „Da kam heraus, vor allem Mittel- und Nordmitteleuropa, ein bisschen Skandinavien. Aber: Die Gene meiner Frau kommen großteils in Großbritannien vor. Das war schon eine interessante Neuigkeit.“
Der Nutzer kann jetzt auch zustimmen, seine DNA gleich dem Stammbaum in der Nutzergemeinde zu teilen. Nun vergleicht der Algorithmus die Speichel der teilnehmenden Millionen. Und schlägt Alarm, sobald sich eventuelle genetische Verwandtschaften zeigen. So etwa fand Florian Arbeiter seine entfernte Cousine.
Die Stammbaum-Firmen sind also in Wahrheit riesige Datensammler, Datenverwalter und Datenfeilbieter. Und das beschränkt sich nicht nur auf das, was registrierte Nutzer selbst zusammenpfriemeln oder sich freiwillig aus der Mundhöhle kratzen. Vielmehr haben Ancestry & Co. digitalen Zugang zu unzähligen Archiven des Planeten: Geburts- und Sterbematriken
verschiedener Länder, Einberufungsunterlagen von Armeen, kirchlichen Dokumentationen, Unterlagen aus Volkszählungen und Wählerlisten, Zeitungsarchiven, Bibliotheksbeständen, Schul- und Universitätsjahrbüchern, Daten öffentlicher Sozialversicherungen und so weiter und so fort. All das kann per Mausklick einfach durchsucht werden. Der „Deal“dahinter ist oft einfach: Ancestry und Mitbewerber übernehmen die Digitalisierung der Archivbestände auf eigene Kosten und stellen sie dem Archiv zur Verfügung – und dafür gibt es dann Zugang für die Stammbaumsucher.
Allerdings gilt das in der Regel nur für Verstorbene, auch für Heirats- und Geburtsurkunden gelten Fristen. Grund ist der Datenschutz. Überhaupt ist das mit den Daten so eine Sache: MyHeritage etwa musste einräumen, dass 2017 rund 92 Millionen Nutzerdaten unrechtmäßig kopiert worden waren, darunter Passwörter – die Daten wurden „auf einem privaten Server außerhalb des Dienstes“gefunden.
Wovon die Stammbaum-Konzerne leben? Nicht von Verkauf und Vermarktung von Daten oder gar DNA-Profilen, wird beteuert. Sondern von den Mitgliedsbeiträgen ihrer Millionen Nutzer. Denn gratis forscht man nur in sehr beschränktem Rahmen; wer alle Datenquellen und Funktionen nutzen will, muss schon um die 150 Euro pro Jahr einkalkulieren. Und die Kunden zahlen offenbar gerne. Weltmarktführer Ancestry knackte beim Umsatz bereits 2017 die Milliardengrenze.
Wir haben online Zugang zu 20 Milliarden Dokumenten – das ist unser Kapital. Alexandra Rudhart Sprecherin von Ancestry