Unser klägliches Brot?
Wie hätten Sie es gern? Ein packender Dokumentarfilm zeigt, wie das Brot in zweifacher Hinsicht mit der Zeit gehen kann. Am Dienstag, 18. 2., ist Premiere.
Es ist seit einiger Zeit in Städten ein erstaunliches Phänomen zu beobachten: Menschen stehen wieder Schlange vor kleinen Bäckereien, um Brot zu kaufen. Sie legen Wert auf dieses alte Handwerk, auf Holzofenbrot und auf Sauerteig. Der Duft von frischem Brot war für viele oft nur noch eine Kindheitserinnerung, nun lebt sie wieder auf. Gleichzeitig werden aber weiterhin Unmengen an Brot industriell gefertigt, in Plastik verpackt und im Supermarkt billig verkauft. Das wird so produziert, weil es ebenfalls genügend Nachfrage gibt. Es ist interessant, dass diese Entwicklungen parallel laufen. Nun widmet sich ein Dokumentarfilm diesem Thema: Der Regisseur Harald Friedl erzählt von Handwerksbäckereien und den Konzernen der Lebensmittelindustrie. Bäcker mit muskulösen Oberarmen, Teigmassen in Knetmaschinen – die präsentierten Bilder aus den Handwerksbetrieben sind sinnlich und ein großer Gegensatz zu jenen Bildern aus industriellen Produktionsstätten. Doch auch diese Bilder faszinieren: Wenn die identisch aussehenden Brotwecken auf Fließbändern vorbeigleiten, alles genau getaktet und effizient organisiert ist. Dennoch werben Brotketten mit Bildern von heimeligen Backstuben. Im Grunde ist es nichts sensationell Neues, für Brot Sauerteig zu verwenden, nur Salz, Mehl und Brotgewürze wie Kümmel oder Koriander. Unsere Großelterngeneration hat nicht viel anders gebacken als heute gehypte „Kultbäcker“. Dazwischen gab es aber gehörige Umwälzungen in der Branche: Die Veränderung setzte mit der Ausbreitung von großen Ketten und dem gleichzeitigen Sterben kleiner Bäckereien ein, und zuletzt mit dem „Aufbacktrend“der Supermärkte. Viele Bäcker haben in ihrer Suche nach einem Ausweg auch den Fehler begangen, ebenfalls mit den fertigen Backmischungen der Industrie zu arbeiten. Die Folge war, dass Brot überall gleich schmeckt – und wenn es im Supermarkt auch noch billiger ist, gehen die Kunden dorthin. Im Film „BROT“stehen jene im Mittelpunkt, die Brot machen, ob handwerklich oder industriell. Damit gelingt ein umfassender Einblick in die Produktion – mit den damit zusammenhängenden gesellschaftspolitischen Fragen. Regisseur Harald Friedl besuchte in Frankreich etwa den Biobäcker Christophe Vasseur, der betont, dass Sauerteig und Brot schlichtweg Zeit brauchen, um richtig gut zu sein – ein Gegensatz in einer Gesellschaft, die nie Zeit hat.
Vasseur ist ein Quereinsteiger: Er war in der Modebranche tätig, ehe er in Paris seinen kleinen Laden in einer historischen Bäckerei eröffnete. „Für diese ganzen raffinierten Produkte zahlt man wenig. Stimmt! Aber ihr müsst dafür noch drei Mal zahlen. Vier Mal insgesamt.“Man zahle für den Arzt, weil man zu viel esse, Diabetes und andere Zivilisationskrankheiten bekomme. Wir müssten für die Umweltverschmutzung zahlen, und das vierte Mal für die Bauern, die von ihrer Arbeit nicht leben könnten.
Auch Hans-Jochen Holthausen, damals Geschäftsführer von Harry-Brot in Hamburg, gibt im Film großzügige Einblicke in seinen Betrieb und in sein Denken. Er entstammt einer Familie, deren Urvater im Jahr 1688 Harry-Brot gründete. Holthausen ist heute ein reicher Mann: Er übernahm die Firma in den 1980ern und steigerte den Umsatz von 75 Millionen auf über eine Milliarde Euro. Er gilt als Erfinder des „Prebake“-Systems: Teiglinge werden halb gebacken und gefroren an Backshops und Supermärkte geliefert. Holthausen geht es primär um Marktanteile und um Wachstum. Er sitzt im Anzug im Büro, er und seine Mitarbeiter ziehen Hygienekleidung an, wenn sie die Fabrikhallen betreten: Von Mehlstaub, klebrigen Fingern wie in Handwerksbetrieben ist da längst keine Spur mehr.
Erstaunlich ist auch der Besuch der belgischen Puratos-Gruppe: Sie entwickelt Brotbackmischungen für den globalen Markt auf Basis hochtechnischer Untersuchungen in Labors. Brot und effizientes, schnelles Backen sind eigentlich ein Widerspruch in sich. Doch moderne Technologien versuchen das aufzuheben. „Zeit ist Geld. Wenn man diese Zeit durch Zutaten in den Griff bekommt, die das Leben der Bäcker erleichtern, dann hat man schon gewonnen. Man kann also mit Cocktails von Enzymen herumexperimentieren, um die Eigenschaften und Qualitäten von Brot und Gebäck umfassend zu optimieren“, so Karl De Smedt, Puratos-Kommunikationschef. Die Firma existiert seit 100 Jahren und hat sich zum Global Player mit 53 Fabriken entwickelt. Das weltweit erhältliche Ciabatta beispielsweise beruht auf den Backmischungen des Konzerns. Die Backmischungen, versetzt mit hochwirksamen Enzymen, die Knusprigkeit, Aussehen, Geschmack und andere Backeigenschaften bewirken, werden allerdings mit Unverträglichkeiten in Verbindung gebracht. Deklariert müssen sie nicht werden.
Im Film wird dazu auch Joëlle Rüegg, Professorin für Umwelttoxikologie in Schweden, befragt. Ihr Auftritt ist besonders stark, weil sie sich kein Blatt vor den Mund nimmt: In der Hand hält sie ein in Plastik abgepacktes Supermarkt-Toastbrot und spricht mit klaren Worten ohne Alarmismus, dass für dieses billige Produkt Zusatzstoffe nötig sind. Das billige Mehl komme von Hochleistungssorten mit Pestizideinsatz. Damit das Brot nicht schimmelt, werden Chemikalien beigefügt. Weiters erfahren wir, dass im Plastik Weichmacher enthalten seien, die giftig seien.
Spätestens da muss man schlucken – oder auch nicht – denn es wird klar, dass der Konsument die Wahl hat, welche Produktion er unterstützt oder nicht: das Fließband oder die Handarbeit.
Premiere in Salzburg: Dienstag, 18. Februar: BROT (A/D 2020) im Das Kino, 19.30 Uhr. Danach Gespräch mit dem Regisseur. Präsentation: Christina Bauer, Bäckerin, Bäuerin und Bloggerin aus dem Lungau (www.backenmitchristina.at).