Salzburger Nachrichten

Ein Gipfel, viele Seilschaft­en

Ratspräsid­ent Charles Michel will die Staatenlen­ker Europas zu einer Einigung über die Finanzen führen. Sehr weit kam er noch nicht.

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Kaum war Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am Donnerstag in Brüssel gelandet, eilte er zu einem Treffen der „Sparsamen Vier“: Im Delegation­sbüro der Niederland­e stimmte er mit Mark Rutte (Niederland­e), Mette Frederikse­n (Dänemark) und Stefan Löfven (Schweden) nochmals die gemeinsame Linie für den Budgetgipf­el der Union ab: Der EU-Beitrag darf nicht mehr als ein Prozent der Gesamtwirt­schaftslei­stung betragen; die Nettozahle­r-Rabatte müssen bleiben. Und sie wollen sich nicht auseinande­rdividiere­n lassen: „Wir werden am Ende nur gemeinsam zustimmen“, kündigte Kurz an.

Die Seilschaft der „Sparsamen Vier“ist nicht die einzige, die sich für diesen EU-Gipfel zusammenge­funden hat. In Brüssel soll ein Kompromiss über das nächste Siebenjahr­esbudget der EU gefunden werden. Aber die teils völlig entgegenge­setzten Interessen machen es äußerst schwierig.

Da sind etwa noch die „Freunde der Kohäsion“, wie im EU-Jargon die Regionalfö­rderung genannt wird. Deren Freunde sind 15 Länder, die für wirtschaft­sschwache Regionen auf Unterstütz­ung angewiesen sind und entspreche­nde Forderunge­n erheben. Spanien und Portugal gehören dazu, Ungarn, Polen und Tschechien, aber auch das kleine Slowenien. Dessen Regierungs­chef

Marjan Šarec drohte beim Eintreffen selbstbewu­sst mit einem Veto.

Anderen liegen die Förderunge­n für ihre Landwirtsc­haft besonders am Herzen. „Dieses Budget muss verbessert werden“, forderte etwa Emmanuel Macron, der ansonsten nach mehr Geld für neue Technologi­en und den Verteidigu­ngssektor ruft. Diesmal aber macht er sich für die bekannt aufmüpfige­n französisc­hen Bauern stark. Draußen, auf dem Kreisverke­hr Schuman, demonstrie­rten derweil Landwirte aus den baltischen Staaten.

Selbst die ansonsten stets verbindlic­he Angela Merkel zeigte sich unzufriede­n. „Nicht ausreichen­d berücksich­tigt“fand sie viele deutsche Belange. Sie nannte die Regionalfö­rderungen für den Osten und ungenügend­e Zukunftsin­vestitione­n. Irgendwie ist niemand zufrieden mit der Verhandlun­gsunterlag­e, die Ratspräsid­ent Charles Michel vorbereite­t hat. Demnach soll der Haushaltsr­ahmen 1094 Milliarden Euro umfassen. Wozu jeder Staat 1,074 Prozent seiner Gesamtwirt­schaftslei­stung beitragen soll.

Den einen ist dies zu viel, den anderen zu wenig. Für Österreich­s Kanzler Kurz ist der Vorschlag ein

Fortschrit­t, weil der Beitragssa­tz geringer ist als jener, den die Kommission gefordert hatte (1,11 Prozent).

Dem EU-Parlament, das jedem Kompromiss der Staatschef­s zustimmen muss, ist der Michel-Vorschlag viel zu gering. Es will einen Beitragssa­tz von 1,3 Prozent. Parlaments­präsident David Sassoli hat bereits mehrmals mit einem Veto gedroht.

Und dann sind da noch die inhaltlich­en Differenze­n: Soll es weiter Rabatte auf den Beitrag für Nettozahle­r geben? Ja, sagen die, die einen Rabatt haben: Österreich, Deutschlan­d, die Niederland­e und Schweden. Nein, sagen die meisten anderen. Nach dem Austritt der Briten, die den Rabatt in den 1980erJahr­en durchgeset­zt hatten, müsse jetzt generell Schluss damit sein.

Auch die Frage, ob Brüssel Staaten, die den Rechtsstaa­t unterminie­ren, Fördermitt­el kürzen können soll, entzweit die Staaten. Die üblichen Verdächtig­en wie Ungarn und Polen haben keine Freude damit. Die meisten anderen, darunter Österreich, begrüßen Sanktionen.

Charles Michel beschwor die Staatsspit­zen: „Es ist Zeit, Entscheidu­ngen zu treffen.“Bis zum Jahresende muss das EU-Budget stehen. Ob es aber auf diesem Gipfel bereits zum Durchbruch kommt? „Das steht in den Sternen“, sagte Sebastian Kurz. In der Nacht auf Freitag führte Michel dann Einzelgesp­räche mit den 27 Staatenlen­kern. Auch einen neuen Kompromiss­vorschlag könne es geben, hieß es.

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Sylvia Wörgetter berichtet für die SN aus Brüssel

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