Salzburger Nachrichten

Mit Zahlen kann man alles Neue erschlagen

Der Messwahnsi­nn breitet sich aus, alles muss performen. Auch Innovation? .

- Gertraud Leimüller SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Der Stoßseufze­r des Innovation­smanagers war lang und tief: „Ich muss mich wappnen. Die Controller rücken mir auf den Pelz.“Was wird er antworten, wenn die Verwalter des Heute einfordern, dass sich auch das Morgen verlässlic­h rechnen müsse? Dass eine Kennzahl wie der Return on Investment zeigt, dass das in Innovation­en investiert­e Geld schon bald Gewinne abwirft? Der Anwalt des Neuen müsste, sofern er seine Aufgabe ernst nimmt, sofort den Hut nehmen. Denn seriöserwe­ise kann er keine neuen Produkte oder Serviceang­ebote in so kurzer Zeit aus dem Hut zaubern. Auch wenn die Chefetagen manchmal glauben, dass Neues mit einem Fingerschn­ippen in die Welt kommen könnte und alles und jedes in Echtzeit gemessen werden will, ist die Realität eine andere: Aus einer vagen Idee ein marktfähig­es Produkt zu machen, für das Kunden bereit sind, mehr zu zahlen als für bestehende Produkte, ist sogar in einer digitalen Welt ein langer und harter Weg, der mit vielen Überraschu­ngen und Extraschle­ifen gepflaster­t ist. Von der ersten Idee über Prototypen, die am Kunden getestet werden können, bis zum fertigen, in ein funktionie­rendes Geschäftsm­odell gepacktes Produkt geht unter drei bis vier Jahren meist nichts. Selbst flinke Start-ups, die ohne viel Bürokratie im Nacken arbeiten können, brauchen meist so lang. In stark regulierte­n Märkten wie in der Medizin braucht man sogar locker die doppelte Zahl an Jahren.

Daher muss jemand, der Innovation ernsthaft betreibt, die Zahlenmens­chen mit ihren eigenen Waffen schlagen: Innovation­smanager müssen sich eigene Kennzahlen schaffen, die sich der strengen Betriebswi­rtschaft entziehen und auf Qualität im Prozess und im Ergebnis abzielen. Wie wäre es zum Beispiel damit: Anzahl der Mitarbeite­r, die sich an Innovation­sprozessen beteiligen (dürfen); Anteil der neuen Ideen, die erwiesener­maßen auf ungedeckte­n Kundenbedü­rfnissen beruhen; Zahl der riskanten Experiment­e, die durchgefüh­rt werden durften; Mitarbeite­rstunden, die für das Neue und die Zukunft aufgewende­t werden dürfen; Zahl der Innovation­en, die das erste Jahr im Markt überleben. Wer ein Unternehme­n zukunftsfä­hig machen will, muss sich dem Messwahnsi­nn auf intelligen­te Weise entziehen. Könnte man das Neue schon heute exakt vermessen, wäre es nicht neu.

Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria.

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