Mit Zahlen kann man alles Neue erschlagen
Der Messwahnsinn breitet sich aus, alles muss performen. Auch Innovation? .
Der Stoßseufzer des Innovationsmanagers war lang und tief: „Ich muss mich wappnen. Die Controller rücken mir auf den Pelz.“Was wird er antworten, wenn die Verwalter des Heute einfordern, dass sich auch das Morgen verlässlich rechnen müsse? Dass eine Kennzahl wie der Return on Investment zeigt, dass das in Innovationen investierte Geld schon bald Gewinne abwirft? Der Anwalt des Neuen müsste, sofern er seine Aufgabe ernst nimmt, sofort den Hut nehmen. Denn seriöserweise kann er keine neuen Produkte oder Serviceangebote in so kurzer Zeit aus dem Hut zaubern. Auch wenn die Chefetagen manchmal glauben, dass Neues mit einem Fingerschnippen in die Welt kommen könnte und alles und jedes in Echtzeit gemessen werden will, ist die Realität eine andere: Aus einer vagen Idee ein marktfähiges Produkt zu machen, für das Kunden bereit sind, mehr zu zahlen als für bestehende Produkte, ist sogar in einer digitalen Welt ein langer und harter Weg, der mit vielen Überraschungen und Extraschleifen gepflastert ist. Von der ersten Idee über Prototypen, die am Kunden getestet werden können, bis zum fertigen, in ein funktionierendes Geschäftsmodell gepacktes Produkt geht unter drei bis vier Jahren meist nichts. Selbst flinke Start-ups, die ohne viel Bürokratie im Nacken arbeiten können, brauchen meist so lang. In stark regulierten Märkten wie in der Medizin braucht man sogar locker die doppelte Zahl an Jahren.
Daher muss jemand, der Innovation ernsthaft betreibt, die Zahlenmenschen mit ihren eigenen Waffen schlagen: Innovationsmanager müssen sich eigene Kennzahlen schaffen, die sich der strengen Betriebswirtschaft entziehen und auf Qualität im Prozess und im Ergebnis abzielen. Wie wäre es zum Beispiel damit: Anzahl der Mitarbeiter, die sich an Innovationsprozessen beteiligen (dürfen); Anteil der neuen Ideen, die erwiesenermaßen auf ungedeckten Kundenbedürfnissen beruhen; Zahl der riskanten Experimente, die durchgeführt werden durften; Mitarbeiterstunden, die für das Neue und die Zukunft aufgewendet werden dürfen; Zahl der Innovationen, die das erste Jahr im Markt überleben. Wer ein Unternehmen zukunftsfähig machen will, muss sich dem Messwahnsinn auf intelligente Weise entziehen. Könnte man das Neue schon heute exakt vermessen, wäre es nicht neu.
Gertraud Leimüller leitet ein Unternehmen für Innovationsberatung in Wien und ist stv. Vorsitzende der creativ wirtschaft austria.