„Der Screenshot ist der Racheengel der Fotografie“
MARTIN BEHR
GRAZ.
Die einen tun es, weil es eine Erleichterung für die Reiseplanung darstellt, die anderen, weil sie einen nächtlichen Tweed von US-Präsident Donald Trump der Nachwelt erhalten wollen, ehe dieser ihn wieder aus der digitalen Welt verschwinden lässt. Die Rede ist vom Anfertigen eines Screenshots.
In dieser täglich unzählige Male praktizierten Kulturtechnik sieht der britische Kommunikationstheoretiker Paul Frosh eine „Allzeitwaffe der digitalen Kultur“. Die bislang als bildtheoretisches Phänomen unterschätzten Screenshots seien nicht weniger manipulierbar und ideologisch als digitale Fotos, schreibt der 55-Jährige in seinem Buch „Screenshots“(Verlag Klaus Wagenbach).
Paul Frosh führt aus, dass mit Screenshots von Livestreams, Chatverläufen oder Onlinepostings in sozialen Medien Erinnerungen festgehalten würden, und vergleicht dies mit dem Fotoapparat aus der analogen Welt: „Er ist ein Dokument, er ist ein Foto in neuem medialen Gewand, er ist ein Mittel der Zeugenschaft und taugt sogar zu einer gleichsam poetischen Welterschließung.“Der in der Jerusalemer Hebrew University tätige Wissenschafter arbeitet heraus, dass der Screenshot – indem er aus der digitalen Bilderflut herausgreift – völlig im Kontrast zum sonstigen Trend zur Verflüssigung steht, der mit der Digitalisierung oft assoziiert wird.
Was der Screenshot „erfasse“und „abgreife“sei, so Paul Frosh, die auf dem Bildschirm zu einem bestimmten Zeitpunkt angezeigten visuellen Daten: Oberflächenelemente, Desktop/Start-Bildschirm-Hintergrund, offene Tabs, Fenster und Apps – samt ihrem Inhalt – sowie gelegentlich die Position des Cursors. Er konserviere einen Moment, den man als „screenshape“bezeichnen könne: „Das dynamische, auf den Menschen ausgerichtete ,Gesicht‘ des Gerätes, wie es auf dem Bildschirm erscheint.“
Freilich halte der Screenshot nicht Unbewegtes fest, sondern „eine optische Illusion, die durch ein ständig in Bewegung befindliches elektronisches Signal entsteht“. Für Frosh ist der Screenshot ein „Racheengel der traditionellen Fotografie“, weil er das radikale Unterfangen von Snapchat unterlaufe, die konventionelle Verwendung von Fotos als Erinnerungsstücke unmöglich zu machen.