Der Horror des Daseins als Vorzimmerdame
Warum hat niemand Harvey Weinstein an seinem Tun gehindert? Der stille Thriller „The Assistant“erkundet bei der Berlinale, welche Mechanismen hier greifen.
BERLIN. Sie ist die Erste, die frühmorgens ins Büro kommt, und sie dreht abends das Licht aus: In „The Assistant“ist eine junge Frau mit dem Allerweltsnamen Jane (gespielt von Julia Garner) die persönliche Assistentin eines mächtigen Mannes. Der Film läuft bei der Berlinale in der Sektion Panorama und ist der erste, der dezidiert den Weinstein-Skandal zum Anlass nimmt, ohne jedoch dessen Namen zu nennen.
Trotz seiner bestürzenden Aktualität – am Montagabend sprach die Jury Harvey Weinstein wegen Sexualverbrechen schuldig (siehe Seite 14) – ist dieser Film nicht reißerisch, im Gegenteil: Die australische Dokumentarfilmerin Kitty Green fokussiert in dieser ersten, zwingenden Spielfilmarbeit weder auf Täter noch auf Opfer, sondern auf den stummen Horror eines mitwissenden Umfelds, das übergriffiges Agieren ermöglicht und Widerstand gegen Fehlverhalten mächtiger Personen aktiv entmutigt.
Immer wieder hat sich Green mit sexueller Diskriminierung auseinandergesetzt, ihre Doku „Ukraine Is Not a Brothel“von 2013 etwa befasste sich kritisch mit der ukrainischen feministischen Widerstandsgruppe Femen und deren innerem Ringen mit patriarchalen Verhaltensmustern. 2017 sei Green eigentlich bei der Recherche zu einem Film gewesen, der sich mit sexuellen Übergriffen auf Collegestudentinnen beschäftigen sollte, sagt sie im SN-Interview: „Und dann ist die Weinstein-Geschichte losgebrochen. Ein paar meiner Freundinnen haben bei der Weinstein Company gearbeitet, also hab ich sie über ihre Arbeitsbedingungen ausgefragt.“
Die Frauen erzählten Green, wie es ist, für einen derart mächtigen Mann zu arbeiten, der bewundert wird, über den aber viele Gerüchte im Umlauf sind. „Ich habe dann über die Filmindustrie hinaus Frauen befragt, die für mächtige Männer arbeiten, in Finanzunternehmen ebenso wie in Technologieunternehmen, in Los Angeles, Melbourne,
New York, London – und habe immer wieder dieselben Geschichten gehört.“
Aus diesen Berichten entstand das Drehbuch von „The Assistant“, das einen Arbeitstag im Leben von Jane Musterfrau erzählt, vom morgendlichen Saubermachen des Chefbüros bis zum abendlichen
Verlassen des Gebäudes. Jane erlebt im Laufe des Tages, wie eine sehr schöne, junge Frau vom Chef in ein nobles Hotel einquartiert wird, wie er stundenlang verschwindet, um sie zu treffen, und wie Janes Besorgnis über sein Verhalten vom Personalchef beiseite gewischt wird. Nichts, was hier passiert, ist offensichtlich. Das Grauen findet im Unausgesprochenen statt, höchstens in den Witzen der männlichen Kollegen, und in der Selbstverständlichkeit, mit der widerspruchsloser Gehorsam verlangt wird.
Der Mächtige, der nur am Bildrand auftaucht, ist hier tatsächlich Filmproduzent, die Branche spielt aber kaum eine Rolle. Weinstein ist nur der Anlass, eben weil die Filmbranche sich endlich öffentlich bemüht, aufzuräumen mit einem Verhalten, das verletzliche Personen einschüchtert und Karrieren nur um den Preis sexueller Erniedrigung erlaubt, was im Übrigen nicht nur junge Frauen betrifft. „In Wahrheit ist es in keiner Branche anders, es wird nur umfassend über Hollywood berichtet, weil uns ständig jemand ein Mikrofon ins Gesicht hält und wir endlich die Chance haben, darüber zu sprechen und gehört zu werden“, sagt Green.
Über die Frage des sexuellen Ausnutzens einer Machtposition hinaus macht „The Assistant“deutlich, wie sehr diese Position der persönlichen Assistentin ein weiblich konnotierter Beruf ist, in dem von jungen Frauen – es sind fast immer junge Frauen – nicht nur Terminkoordination erwartet wird, sondern auch, fragwürdige Flecken von der Besetzungscouch zu putzen, Schmuckstücke vom Vorabend aufzuklauben und die wütende Ehefrau anzulügen. „Auch wenn sie auf dem Papier dieselbe Position haben wie ihre männlichen Kollegen, wird von Assistentinnen erwartet, dass sie Kaffee kochen, Kinder betreuen und mit der Familie kommunizieren – und damit waren sie aus Zeitgründen wiederum von wichtigen Meetings ausgeschlossen, die für einen Karrierefortschritt notwendig wären“, sagt Green.
Durch diese Details, die „The Assistant“genau kartografiert, weist der Film weit über den Weinstein-Fall hinaus auf eine systemische Geringschätzung, in einem Film, der trotz schmalen Handlungsspielraums enorme Spannung entwickelt. Wie wichtig Solidarität bei der Verhinderung von Machtmissbrauch ist, zeigt Green souverän. Ihr Befund ist vor allem deprimierend.
Das Grauen zeigt sich im Unausgesprochenen