Birgit Minichmayr ersetzt als Fernseh-Star eine Operndiva
Der Ersatz für „Tosca“wird zu einer lauen Notlösung. Dabei wirft „Das Interview“wichtige Fragen auf.
Aus der mutig Liebenden und grandiosen Opernsängerin Tosca ist ein Soap-Star geworden: Bis vor zwei Wochen durfte man am Akademietheater die Sprechtheaterfassung von Puccinis Oper „Tosca“erwarten. Doch Kornél Mundruczós Inszenierung wurde kurzfristig abgesagt. Stattdessen setzte Burgtheater-Direktor Martin Kušej „Das Interview“des niederländischen Filmregisseurs Theo van Gogh auf den Spielplan. Dieser war 2004 von einem islamistischen Fundamentalisten ermordet worden.
Birgit Minichmayr spielt in Theo van Goghs Zwei-Personen-Stück dieselbe Rolle der Katja wie vor zehn Jahren in Zürich; damals wie jetzt hat Martin Kušej inszeniert. Als ihr Interviewpartner ist Oliver Nägele besetzt, der in „Tosca“als Cavaradossi vorgesehen gewesen wäre. Dass es sich hier um eine Notlösung
handelt, ist in der Premiere am Sonntag spürbar geworden.
Trotz der zwei außergewöhnlichen Schauspieler beherrscht eine Lustlosigkeit den eineinhalbstündigen Abend. Statt der erotischen Spannung, die sich zwischen dem Politredakteur Pierre und der Soap-Darstellerin Katja entwickeln sollte, statt momenthafter Überschneidungen dieser beiden unterschiedlichen Welten bleiben die beiden für sich.
Mit nach unten gezogenen Mundwinkeln und verärgert, nicht mit der Berichterstattung über die eben zurückgetretene Regierung beauftragt worden zu sein, steht Pierre in Katjas leerer Wohnung. Sie wiederum stülpt die Lippen nach außen, zeigt die nackte Schulter und spielt in einem fort mit ihren langen rotblonden Haaren.
Martin Kušej etabliert Klischees, die leider nicht gebrochen werden. Nie fällt Katja aus der Rolle, nie darf
Birgit Minichmayr private, echte Momente ihrer Figur zeigen. Das ist schade, so ist die Begegnung bloß ein kühl kalkuliertes Manipulieren des jeweiligen Gegenübers. Damit verliert auch die Frage an Bedeutung, was in einer medialisierten Welt noch wahr ist. Die Fassade der beiden Charaktere bleibt bis zum Ende unerschüttert. Kein Riss verrät die im Stück vielfach angesprochene Verletzlichkeit. Nur im Ansatz deutet Birgit Minichmayr die Einsamkeit des Stars an – verschenktes Potenzial, das dem Abend Tiefe hätte geben können.
Martin Kušej konzentriert sich auf die Momente des Täuschens und Getäuscht-Werdens – ein Spiel, das sowohl Pierre als auch Katja perfekt beherrschen. Berechnend spüren sie die Geheimnisse des jeweils anderen auf, für eine gute Geschichte scheint jedes Mittel heilig.
Die vorige österreichische Regierung gibt das Spiel der Lüge vor: Auf dem Bildschirm sieht man Ausschnitte der Berichterstattung von 18. Mai 2019, Bilder vom Ende der ÖVP/FPÖ-Koalition. Wie in der Politik geht es auch in „Das Interview“um gelungene Täuschung. Alles ist fake. Wenn Pierre von der „Verwandtschaft ihrer Seelen“spricht und Katja von ihrer Verletzlichkeit („Narbe erkennt Narbe“), dann bleiben es Sprüche ohne Wahrheitsgehalt, Manipulationsversuche zweier Gesprächspartner, die sich und ihre Selbst-Erfindungen gezielt vermarkten. Am Ende stellt sich die Frage, ob – wie der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan prophezeit hat – die Medien längst uns im Griff haben, und nicht umgekehrt. Freundlicher Applaus eines Publikums, das vielleicht doch lieber „Tosca“gesehen hätte.