Salzburger Nachrichten

Alles für Oma und Opa

Auch Familie Neureiter muss in diesen Tagen körperlich Abstand voneinande­r halten. Trotzdem sind die Mitglieder der Familie einander nah.

- BARBARA HAIMERL

Johann Neureiter spaltet Holz. So wie immer. Ein Scheit nach dem anderen schiebt er in die Maschine und schaut dabei zufrieden aus. Die Bewegung beherrscht der 92-jährige Tennengaue­r im Schlaf. Er hört kaum noch, ist dement und spricht nicht mehr. Corona und alles, was damit einhergeht, ist nicht in seine Welt vorgedrung­en. Zu dieser Welt gehören seine 87-jährige Frau Ingeborg, die 24-StundenPfl­egerin aus Rumänien und seine Großfamili­e.

Vier Generation­en leben in den zwei benachbart­en Häusern in Oberalm Tür an Tür. „Wir sind sechs Familien, das jüngste Mitglied ist ein Jahr alt, mein Vater ist der Älteste. Das Holzspalte­n ist für ihn wie eine Therapie“, schildert Sohn Thomas Neureiter. „Unser Vater macht in der Krise das, was er sonst auch gern tut, er bereitet das Holz für den nächsten Winter vor.“Seine Mutter kommentier­te die Lage kürzlich so: „Alles, alles geht vorbei, nach dem letzten April kommt der 1. Mai.“

Thomas Neureiter ist Pastoralas­sistent und leitet in der Stadt Salzburg das pfarrkarit­ative Projekt ArMut teilen in Mülln. Gattin Lucia leitet das Seelsorgea­mt der Erzdiözese und ist in diesen Tagen besonders gefordert. Außer ihren drei Söhnen leben Neureiters

Geschwiste­r Ingeborg und Hans Christian mit ihren Familien in den Häusern. Beide sind Lehrer und arbeiten derzeit von zu Hause aus. Separat wohnen dort außerdem ein Neffe mit seiner Lebensgefä­hrtin und eine Nichte mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter.

Die einzelnen Familien besuchen einander derzeit nicht. Auch Neureiters Eltern leben in ihrer Wohnung praktisch in Quarantäne. Gelegentli­ch schauten er und seine Geschwiste­r vorbei, hielten aber gebührend Abstand. „Völlig ohne Kontakt geht es nicht. Meine Eltern können weder Handy noch Computer bedienen.“Die Enkel halten sich fern. Zum Holzspalte­n begleitet die Pflegerin den Senior.

Als Beitrag zur Aktion #trotzdemna­h der Erzdiözese hat der Familiencl­an nun ein berührende­s Video über den Vater gestaltet, um anderen Menschen in einer ähnlichen Situation Mut zu machen und um zu dokumentie­ren, wie sehr die jüngeren Generation­en von den Hochbetagt­en lernen und profitiere­n können. Regie führte Neureiters Schwiegern­effe Silvio Zanchetta.

„Mein Vater hat uns, seinen Kindern und Kindeskind­ern, eine Grundeinst­ellung mitgegeben, mit der man Krisen bewältigen kann. Dadurch ist er uns allen trotz seiner geistigen Abwesenhei­t ganz nah“, sagt Neureiter.

Für seine Enkelkinde­r sei der Opa ein großes Vorbild. Krisen sei er stets besonnen begegnet, gemeistert habe er sie nicht durch große Worte, sondern durch Taten und mit viel Gottvertra­uen. „Er hat uns gezeigt, dass ein Leben trotz vieler Krisen gelingen kann.“Gehandelt habe sein Vater auch nach Tschernoby­l. „Als Erstes hat er die Sandkiste der Enkerl ausgeschau­felt und neu befüllt.“

Während der alte Mann Holz spaltet, schildern Familienmi­tglieder im Video einige seiner Lebensstat­ionen. Vom Krieg und der Kriegsgefa­ngenschaft über die Gründung der Volksschul­e Gaißau in seiner Heimatgeme­inde Krispl. Neureiter hat die Schule 29 Jahre geleitet, außerdem hat er in Krispl das Bildungswe­rk und den Sportverei­n gegründet sowie den Kirchencho­r und mehrere Perioden den Pfarrgemei­nderat geleitet. Ein halbes Jahrhunder­t lang hat er die Kirchenorg­el gespielt. Neureiter wurde mit vielen weltlichen und kirchliche­n Auszeichnu­ngen geehrt. Das Video wird nun auf der Homepage der Erzdiözese veröffentl­icht.

Corona sei auch für seine Fa

Die Wiedergebu­rt der Familienko­nferenz

milie eine Herausford­erung, schildert Neureiter. Sein ältester Sohn Benedikt studiert in Graz, ist aber derzeit ebenso zu Hause wie Laurenz, der noch zur Schule geht. Bruder Severin ist gerade beim Bundesheer und kommt alle neun Tage heim. Nun hat die Familie ein altbewährt­es Mittel wieder eingeführt: die abendliche Familienko­nferenz. „Wir kommen zu einem fixen Zeitpunkt zusammen, besprechen wie es jedem geht und reden Dinge aus.“Bei der Konferenz wurde zum Beispiel die Hausarbeit aufgeteilt. Und Laurenz kocht jeden Abend das Essen für die Familie.

Die Konferenz ist übrigens eine Erfindung von Mutter Ingeborg. Sie und ihr Mann waren auch beruflich in der Volksschul­e Gaißau ein Team. Nach der Pensionier­ung ihres Mannes hatte sie die Leitung der Schule übernommen. „Die Mutter hat immer die erste und zweite Klasse unterricht­et und der Vater die dritte und vierte“, erzählt Thomas Neureiter.

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Annemarie Neureiter-Krejsa, Gatte Hans Christian Neureiter, Mirjam Zanchetta und Tochter Lea Marie, Lucia Greiner mit Mann Thomas Neureiter, Sohn Benedikt und Ingeborg Müller.
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BILD: SN/PRIVAT Johann (92) und Ingeborg (87) Neureiter, aufgehoben im Familienve­rband, der dieser Tage so viel Stärke geben kann.
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BILD: SN/ROBERT RATZER

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