Corona enthüllt die Pflegewahrheit
Nach der Bewältigung der Krise muss unser Pflegewesen auf neue Beine gestellt werden. Jetzt aber wirklich.
Schonungslos legt die Coronakrise offen, wie es um das Pflegesystem steht. Es ist am Anschlag. Dass es bisher halbwegs ging, ist vor allem den vielen, vielen Angehörigen zu verdanken: Sie stemmen im Alleingang die Betreuung von rund 175.000 Pflegebedürftigen. Unbezahlt, nicht selten bis an die Grenzen der Belastbarkeit. Weitere mehr als 150.000 Personen können nur deshalb zu Hause betreut werden, weil (zusätzlich) mobile Dienste professionelle Hilfe bringen. Und noch einmal weitere 35.000 Pflegebedürftige werden – von meist ausländischen Kräften – rund um die Uhr zu Hause betreut.
Diese drei Gruppen sind das Rückgrat des Pflegewesens, rund 80 Prozent der Versorgung werden von ihnen geleistet. Und dass die Betreuung so vieler Hilfsbedürftiger in deren eigenen vier Wänden erfolgt, muss angesichts der Pandemie noch als Glück bezeichnet werden: In Pflege- und Altenheimen wäre das Ansteckungsrisiko für die besonders gefährdeten Alten und chronisch Kranken größer.
Plötzlich drohen nun aber massenhafte Ausfälle: Bei den Angehörigen, weil sie sich womöglich selbst infiziert haben und nicht mehr zu ihren betagten Eltern können. Bei den ohnehin unter Personalmangel leidenden professionellen Pflegekräften. Und bei den 24-Stunden-Betreuerinnen, weil sie nicht mehr einreisen können (oder wollen). Hunderttausende Menschen – nicht zuletzt die Pflegebedürftigen selbst – sind in größter Sorge.
Die Regierung ist sich des gewaltigen Problems bewusst und hat mit den Ländern Maßnahmen vereinbart, um den abrupt drohenden Notstand abzuwenden: In Reha-Einrichtungen, die ohnehin sperren mussten, soll blitzartig stationäre Betreuung angeboten werden, Zivildiener sollen die Angehörigen unterstützen, alle, die sich halbwegs mit Pflege auskennen, sollen mobilisiert werden, gleichzeitig laufen Gespräche mit den Nachbarländern, um Einreisebeschränkungen für 24-Stunden-Kräfte zu lockern.
Mit viel Glück kann so die größte Not gelindert werden. Mehr nicht. Es kann nicht binnen zwei Wochen aus dem Boden gestampft werden, was in zehn, 20 Jahren verabsäumt wurde. Aber nach der Krise muss alles getan werden, um der Pflege endlich den hohen Wert zu geben, den sie verdient. Es muss sehr viel mehr Unterstützung für Angehörige geben; es muss sehr viel mehr dafür getan werden, den Pflegeberuf so attraktiv zu machen, dass ihn viele ergreifen wollen. Wir werden sie alle brauchen. Und wir werden dafür entsprechend bezahlen müssen.