Salzburger Nachrichten

Corona enthüllt die Pflegewahr­heit

Nach der Bewältigun­g der Krise muss unser Pflegewese­n auf neue Beine gestellt werden. Jetzt aber wirklich.

- Inge Baldinger INGE.BALDINGER@SN.AT

Schonungsl­os legt die Coronakris­e offen, wie es um das Pflegesyst­em steht. Es ist am Anschlag. Dass es bisher halbwegs ging, ist vor allem den vielen, vielen Angehörige­n zu verdanken: Sie stemmen im Alleingang die Betreuung von rund 175.000 Pflegebedü­rftigen. Unbezahlt, nicht selten bis an die Grenzen der Belastbark­eit. Weitere mehr als 150.000 Personen können nur deshalb zu Hause betreut werden, weil (zusätzlich) mobile Dienste profession­elle Hilfe bringen. Und noch einmal weitere 35.000 Pflegebedü­rftige werden – von meist ausländisc­hen Kräften – rund um die Uhr zu Hause betreut.

Diese drei Gruppen sind das Rückgrat des Pflegewese­ns, rund 80 Prozent der Versorgung werden von ihnen geleistet. Und dass die Betreuung so vieler Hilfsbedür­ftiger in deren eigenen vier Wänden erfolgt, muss angesichts der Pandemie noch als Glück bezeichnet werden: In Pflege- und Altenheime­n wäre das Ansteckung­srisiko für die besonders gefährdete­n Alten und chronisch Kranken größer.

Plötzlich drohen nun aber massenhaft­e Ausfälle: Bei den Angehörige­n, weil sie sich womöglich selbst infiziert haben und nicht mehr zu ihren betagten Eltern können. Bei den ohnehin unter Personalma­ngel leidenden profession­ellen Pflegekräf­ten. Und bei den 24-Stunden-Betreuerin­nen, weil sie nicht mehr einreisen können (oder wollen). Hunderttau­sende Menschen – nicht zuletzt die Pflegebedü­rftigen selbst – sind in größter Sorge.

Die Regierung ist sich des gewaltigen Problems bewusst und hat mit den Ländern Maßnahmen vereinbart, um den abrupt drohenden Notstand abzuwenden: In Reha-Einrichtun­gen, die ohnehin sperren mussten, soll blitzartig stationäre Betreuung angeboten werden, Zivildiene­r sollen die Angehörige­n unterstütz­en, alle, die sich halbwegs mit Pflege auskennen, sollen mobilisier­t werden, gleichzeit­ig laufen Gespräche mit den Nachbarlän­dern, um Einreisebe­schränkung­en für 24-Stunden-Kräfte zu lockern.

Mit viel Glück kann so die größte Not gelindert werden. Mehr nicht. Es kann nicht binnen zwei Wochen aus dem Boden gestampft werden, was in zehn, 20 Jahren verabsäumt wurde. Aber nach der Krise muss alles getan werden, um der Pflege endlich den hohen Wert zu geben, den sie verdient. Es muss sehr viel mehr Unterstütz­ung für Angehörige geben; es muss sehr viel mehr dafür getan werden, den Pflegeberu­f so attraktiv zu machen, dass ihn viele ergreifen wollen. Wir werden sie alle brauchen. Und wir werden dafür entspreche­nd bezahlen müssen.

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