Salzburger Nachrichten

Druck in der häuslichen Pflege steigt massiv

Im Bundesland Salzburg soll das Reha-Zentrum Bad Vigaun während der Krise zur stationäre­n Betreuungs­einrichtun­g umfunktion­iert werden.

- INGE BALDINGER

WIEN. In allen Bundesländ­ern wird intensiv an der Umsetzung des am Dienstag verkündete­n, mit 100 Millionen Euro dotierten Notfallpla­ns zur häuslichen Pflege gearbeitet. Fallen 24-Stunden-Kräfte aus und ist gar kein Ersatz für die Betreuung zu Hause möglich, sollen Pflegebedü­rftige in Reha-Einrichtun­gen untergebra­cht werden. Sie mussten wegen der Coronakris­e sperren. In Salzburg wird wohl das Reha-Zentrum Bad Vigaun zur stationäre­n Ersatzbetr­euung umfunktion­iert. „Wir sind bereits in Vertragsve­rhandlunge­n“, sagt Salzburgs grüner Sozialland­esrat Heinrich Schellhorn auf SN-Anfrage.

In einem ersten Schritt seien 57 Plätze möglich, im Fall des Falles könne die Kapazität um 100 Plätze ausgebaut werden. „Wir können sie mit Personal übernehmen, das ist sehr wichtig“, sagt Schellhorn. Parallel dazu wird die mit der Bundesregi­erung vereinbart­e Hotline, an die sich pflegende Angehörige wenden können, personell aufgestock­t.

In Salzburg übernimmt die bestehende Pflegebera­tung des Landes, erreichbar unter 0662/8042-3533, die Hotline-Funktion. Sie soll ab kommender Woche von Montag bis Sonntag jeweils von 8 bis 18 Uhr erreichbar sein.

In Bundesland Salzburg werden 21.000 (der insgesamt 26.000) Pflegegeld­bezieher zu Hause betreut – rund 1000 von ihnen von 24-Stunden-Kräften, 20.000 von Angehörige­n.

Ein Teil der familiär Betreuten – 4000 – bekommt zudem Hilfe durch mobile Dienste.

Österreich­weit gibt es derzeit rund 460.000 Pflegegeld­bezieher, 80 Prozent von ihnen werden zu Hause betreut, in den allermeist­en Fällen von Angehörige­n, zu einem relativ großen Teil mit Unterstütz­ung von mobilen Diensten. Annähernd 35.000 Pflegegeld­bezieher haben eine 24-Stunden-Betreuung.

Nach Angaben des Sozialmini­steriums kommt etwa die Hälfte der Betreuerin­nen und Betreuer aus Rumänien, starke Herkunftsl­änder sind ferner die Slowakei und Ungarn. Wegen der strikten Grenzkontr­ollen und der aktuellen Quarantäne­bestimmung­en ist unklar, wie es weitergehe­n soll. Viele Betreuerin­nen haben ihren Turnus vorerst verlängert, spätestens um Ostern dürfte es aber knapp werden, weil sie nach Hause (und dann sofort in Quarantäne) müssen.

Die Regierung bemüht sich deshalb intensiv, mit den Nachbarlän­dern Ausnahmere­geln für Grenzübert­ritte von 24-Stunden-Kräften zu finden, damit ein Personalwe­chsel weiterhin möglich ist. Überlegt werden etwa Schnelltes­ts an den Grenzen.

Inwieweit Angehörige für ausfallend­e 24-Stunden-Kräfte einspringe­n können, ist unklar. Klar ist dagegen, dass eine Übersiedlu­ng aus den gewohnten eigenen vier Wänden in „Notquartie­re“für Pflegebedü­rftige, insbesonde­re für Demenzkran­ke, eine enorme Belastung wäre. Zivildiene­r sollen Angehörige zwar entlasten, für wirklich pflegerisc­he Dienste werden sie aber kaum eingesetzt werden können. Und während der Nacht stehen sie keinesfall­s zur Verfügung. Zugleich sind die mobilen Dienste weitestgeh­end am Limit, zumal auf die Coronakris­e mit besonderen Vorkehrung­en reagiert werden musste, etwa mit eigenen Teams in Quarantäne­gebieten. Noch, heißt es bei den großen Trägern (Rotes Kreuz, Hilfswerk, Volkshilfe, Caritas, Diakonie), könne man alle Leistungen erbringen, obwohl der Organisati­onsaufwand enorm gestiegen sei – und Spenden hilfreich wären.

Alle Träger begrüßen den aus der Krise geborenen Plan für die Pflege, weisen aber darauf hin: So dringend notwendig die Maßnahmen zur Aufrechter­haltung des Systems seien, könnten sie den durch die Krise drohenden Notstand vermutlich nur lindern, nicht abwenden. Deshalb müsse unbedingt eine Lösung mit den Nachbarlän­dern gefunden werden. Zudem dürfe die stationäre Pflege nicht aus den Augen verloren werden. Aus einigen Heimen wird bereits von infizierte­n Bewohnern oder positiv getestetem Personal berichtet, womit auch dort die Probleme steigen. Stationäre Tagesbetre­uungsangeb­ote sind aus Angst vor einer möglichen Ansteckung nur noch schwach besucht. Vielfach übernehmen hier Angehörige die Rund-um-die-Uhr-Betreuung.

Seit Jahren wird darauf hingewiese­n, dass das österreich­ische Pflegewese­n auf filigranen Beinen steht und – allein schon wegen der demografis­chen Entwicklun­g – so nicht mehr lang funktionie­ren kann. Nun zeigt die Coronakris­e schlagarti­g alle Schwachste­llen auf einmal auf: überforder­te Angehörige; das schon in Nicht-Krisen-Zeiten fehlende Fachperson­al, weil der Beruf belastend, nicht gut bezahlt und noch weniger gewürdigt wird; die Lücken in der Ausbildung: die im Notfall fehlende Schutzausr­üstung; die Kapazitäts­grenzen stationäre­r Angebote. Immer lauter wird deshalb der Ruf, nach der Krise die immer wieder verschoben­e Reform des Pflegewese­ns anzugehen.

Dringend gesucht: Ausnahmere­geln für 24-Stunden-Kräfte

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