Viel Empörung über Ungarn Österreichs Regierungschef hält sich zurück
In Ungarn ist die Demokratie vorerst abgeschafft. Die FideszPartei von Regierungschef Viktor Orbán hat mit ihrer Mehrheit das Parlament aus dem Spiel genommen. Orbán regiert auf unbestimmte Zeit allein. Dieser Schritt hat international zu massiver Kritik geführt.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kommentierte die Entwicklung zunächst nicht. „Ich habe, ehrlich gesagt, nicht die Zeit, mich mit Ungarn auseinanderzusetzen“, sagte er im Fernsehen. Die Fidesz zählt wie die ÖVP zur christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP).
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kritisierte die Vorgänge in Ungarn „schärfstens“. Nationalratsund EU-Abgeordnete von SPÖ, Grünen und Neos sowie der ÖVPEU-Abgeordnete Othmar Karas forderten in einer gemeinsamen Erklärung ein „entschiedenes Einschreiten“der EU-Kommission.
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), von Sebastian Kurz mit der Beobachtung der Lage betraut, will sich mit der EU-Kommission abstimmen. Die ungarische Regierung habe Wien Unterlagen zugesagt. Eine Beurteilung werde „umgehend erfolgen“.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen meinte, es sei von „äußerster Wichtigkeit, dass die Notfallmaßnahmen nicht auf Kosten unserer Grundprinzipien“und der gemeinsamen Werte gingen.
Italiens Rechtsparteien verteidigten Viktor Orbán. Matteo Salvini, Chef der Lega, begrüßte etwa den „demokratischen Beschluss des ungarischen Parlaments“.
SN: Sie sind auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei, zu der Orbáns Partei Fidesz gehört. Im Moment ist die Mitgliedschaft suspendiert.
Ist nun der Parteiausschluss unumgänglich?
Hier gilt dasselbe: Wir müssen die Beschlüsse in Ungarn analysieren. Aber ich verhehle nicht, das ich das ähnlich sehe wie Daniel Caspary, der Leiter der CDU/CSU-Delegation im EU-Parlament. (Caspary hatte die Entmachtung des ungarischen Parlaments als „inakzeptabel“und „unerträglich“bezeichnet, Anm.).
SN: Besteht die Gefahr, dass die EU an der Coronakrise zerbricht?
Am Ende ist die EU noch aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen. Die jetzige ist in ihrer Komplexität und in ihren Effekten ohne Vergleich. Die unmittelbaren Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus müssen im Sinne der Subsidiarität die Nationalstaaten treffen. Und das ist gut so. Stellen Sie sich vor, wir würden in Brüssel entscheiden, wann wo Ausgangssperren verhängt werden und ob in Supermärkten Masken getragen werden müssen.
Das andere ist der wirtschaftliche Aspekt. Es wird notwendig sein, europaweit zusammen zu agieren, um aus der Krise herauszukommen. Jetzt ist es nicht an der Zeit, mit dem Finger dorthin zu zeigen, wo etwas nicht funktioniert hat. Wir sollten eingestehen, dass in einer derartigen Krise nirgendwo alles zu 100 Prozent funktioniert hat.
SN: Wann geht es wieder aufwärts?
Ich bin kein Wirtschaftswissenschafter. Was uns gegenwärtig am meisten beschäftigt, ist die Frage, wie wir die nationalen Wirtschaften in einer konzertierten Weise wieder hochfahren. Wir müssen dabei internationale Produktionsketten berücksichtigen. Österreichs Autozulieferindustrie steht ja zum Beispiel nicht am Anfang einer Produktionskette, sondern in deren Mitte, und ist auf andere Länder angewiesen.
SN: Sie haben im vergangenen Jahr gesagt, die EU segle bei Windstärke 6. Das ist starker Wind. Jetzt segeln wir bei Sturmstärke, oder?
Ja, ich würde sagen, wir sind irgendwo bei Windstärke 8 oder 9 mit orkanartigen Böen. Aber jeder Sturm zieht vorüber. Wichtig ist, dass man schnell und entschlossen Ruder legt, um das Boot wieder Fahrt aufnehmen zu lassen.