Salzburger Nachrichten

Ein Besuch, der viel bedeuten würde

- Thomas J. Spang

Heute lag eine Postkarte aus dem Weißen Haus im Briefkaste­n. Blau auf Weiß stand auf der Vorderseit­e „Präsident Trumps Coronaviru­sRichtlini­en für Amerika“. Auf der Rückseite finden sich Empfehlung­en wie regelmäßig die Hände zu waschen, zu Hause zu bleiben, wenn man sich krank fühlt oder Reisen und Ansammlung­en zu vermeiden.

Was mich daran erinnerte, seit Anfang des Jahres auf den Spuren der Kandidaten für die Präsidents­chaftswahl im November faktisch aus dem Koffer gelebt zu haben. Von New Hampshire über Nevada bis South Carolina interviewt­e ich mehr als hundert Wähler und schüttelte mindestens so viele Hände. Ganz zu schweigen von dem halben Dutzend Flügen kreuz und quer durch die USA.

Wenn ich mir heute die Bilder mit Joe Biden, Pete Buttigieg oder

Elizabeth Warren anschaue, mit denen ich gemeinsam in die Kamera lächelte, bin ich froh, dass keiner von ihnen bisher Symptome zeigte. Sonst wäre mir im Nachhinein das Lachen gewiss vergangen.

Dass einen Monat nach Rückkehr von meiner bislang letzten Wahlkampfr­eise bereits mehr als 130.000 Menschen ein positives SARS-CoV-2Testergeb­nis erhalten haben, gibt zu denken. Trotzdem gehöre ich zu denen, die bisher Glück im Unglück hatten. Heimarbeit ist für mich nichts Neues, sondern seit 20 Jahren Routine. Vor allem habe ich noch Arbeit. Verglichen mit dem, was für andere auf dem Spiel steht, kann ich mit geschlosse­nen Restaurant­s, Abstandsre­geln und Plexiglass­cheiben im Supermarkt leben.

Unsere Haushaltsh­ilfe, der Friseur auf der 18. Straße oder die Bedienung in unserem Lieblingsl­okal leben nicht nur mit der Angst vor dem Virus, sondern auch mit dem Verlust ihrer Einkünfte. Sie alle können nicht von zu Hause aus arbeiten, sondern sind die Leidtragen­den der Ausgangssp­erre. Insofern klingt es verkehrt, die eigenen Einschränk­ungen zu beklagen. Was nicht heißt, dass uns Corona nicht betrifft. Eine 90-jährige Angehörige liegt im Sterben – nicht mit Covid19, aber wegen des Risikos einer Infektion sollte sie im Krankenhau­s niemand besuchen. Trotzdem hinfahren oder nicht, auf dieses Dilemma hat Trumps Postkarte keine Antwort.

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