Salzburger Nachrichten

Eurobonds und Marshallpl­an: EU-Staaten suchen Solidaritä­t

In der Coronakris­e tritt ein alter Gegensatz in Europa zutage: Die reichen Länder im Norden wollen nicht für die ärmeren im Süden haften.

- SYLVIA WÖRGETTER

Blümel: „Vorschläge von vorgestern“

Die Finanzmini­ster der EU suchen eine Lösung in einem erbitterte­n Streit. In einer Videokonfe­renz am Dienstag wollen sie beraten, wie den am stärksten von der Pandemie betroffene­n Ländern geholfen werden kann.

Alle EU-Staaten müssen massiv Schulden machen, um die Folgen des wirtschaft­lichen Stillstand­s für ihre Bürger abzufedern. Dazu hat die EU-Kommission bereits die Regeln des Eurostabil­itätspakts außer Kraft gesetzt. Nun geht es um die Frage, wie Schuldenau­fnahme und Rückzahlun­gen organisier­t werden sollen. Italien, Spanien, Frankreich und sechs weitere Länder rufen nach einem solidarisc­hen Vorgehen. Die EU solle gemeinsam Anleihen auflegen, sogenannte Coronabond­s. Der Vorteil wäre, dass die Union Kredite zu wesentlich günstigere­n Konditione­n bekäme als einzelne Staaten. Was vor allem für ohnedies hoch verschulde­te Länder wichtig ist, die ansonsten auf den Kapitalmär­kten höhere Zinsen bezahlen müssten. Daher war die gemeinsame Schuldenau­fnahme bereits in der Eurokrise ein heiß umstritten­es Thema zwischen dem reichen Norden und dem ärmeren Süden Europas.

Ein Blick in die Statistik illustrier­t das Problem. Die Staaten mit der höchsten Verschuldu­ng im Verhältnis zum Bruttoinla­ndsprodukt sind Griechenla­nd (178 Prozent), Italien (137), Portugal (120), Belgien (102), Frankreich (100) und Spanien (98).

Deutschlan­d, die Niederland­e, Österreich und Finnland lehnen solche Bonds strikt ab. Sie wehren sich gegen eine Vergemeins­chaftung von Schulden und eine gemeinsame Haftung. Es sind zugleich jene Staaten, die in der Eurokrise auf Sparpoliti­k und Budgetdisz­iplin gepocht haben. Österreich­s Staatsschu­ldenquote liegt bei 71 Prozent, die von Deutschlan­d bei 61, jene der Niederland­e bei 49 Prozent.

Österreich­s Finanzmini­ster Gernot

Blümel (ÖVP) hat am Wochenende in einem Interview mit dem deutschen „Handelsbla­tt“gesagt, „die Krise sollte nicht dazu genutzt werden, Vorschläge von vorgestern unter dem Deckmantel der Coronakris­e umzusetzen“. Zunächst solle man vorhandene Finanzieru­ngsinstrum­ente wie den europäisch­en Rettungssc­hirm ESM nutzen (Europäisch­er Stabilität­smechanism­us).

Der spanische Ministerpr­äsident Pedro Sánchez forderte dagegen „rigorose Solidaritä­t“und einen „neuen Marshallpl­an“. Die Pandemie sei die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Situation dürfe die EU nicht wie während der Finanzund Bankenkris­e 2008 mit dem Rotstift reagieren. Es sei vielmehr nötig, eine „Kriegswirt­schaft“zu organisier­en, meinte der spanische Sozialist.

Auch Kommission­schefin Ursula von der Leyen hält einen Wiederaufb­auplan für nötig. Sie will das nächste Sieben-Jahres-Budget von 2021 bis 2027 als zentrales Finanzieru­ngsinstrum­ent zum Ausgleich der Krisenfolg­en gestalten. Einen entspreche­nden Vorschlag muss Budgetkomm­issar Johannes Hahn erarbeiten.

Deutschlan­d und Frankreich haben Ende vergangene­r Woche einen gemeinsame­n Vorschlag präsentier­t, der den Weg zu einem Kompromiss weisen könnte. Demnach könnte die Coronafina­nzhilfe auf drei Säulen aufbauen: Kredite des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) und der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB) sowie 100

Milliarden Euro aus EU-Mitteln zur Finanzieru­ng von Kurzarbeit und Hilfe bei der Unterstütz­ung von Arbeitslos­en.

Die Hauptrolle spielt in diesem Vorschlag der ESM. Er wurde 2011 während der Eurokrise als Rettungssc­hirm gegründet, um verschulde­te Länder auffangen zu können. In ihm liegen 410 Milliarden Euro zur Auszahlung bereit. Eigentlich ist die Kreditverg­abe an strenge Auflagen und Reformprog­ramme gebunden. Man erinnere sich an die Sanierung Griechenla­nds. Doch nun ist die Rede davon, kurzfristi­ge ESM-Kredite ohne Bedingunge­n zu gewähren, die aus Sicht der Empfänger demütigend sind. Dem könnte sich auch Deutschlan­d anschließe­n. Ziel ist, dass die Forderung nach Coronabond­s vom Tisch ist.

Jedenfalls vorläufig.

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BILD: SN/REUTERS/PICTUREDES­K Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez will Gemeinscha­ftsschulde­n, Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel lehnt das strikt ab. Gesucht wird ein Kompromiss.

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