Eurobonds und Marshallplan: EU-Staaten suchen Solidarität
In der Coronakrise tritt ein alter Gegensatz in Europa zutage: Die reichen Länder im Norden wollen nicht für die ärmeren im Süden haften.
Blümel: „Vorschläge von vorgestern“
Die Finanzminister der EU suchen eine Lösung in einem erbitterten Streit. In einer Videokonferenz am Dienstag wollen sie beraten, wie den am stärksten von der Pandemie betroffenen Ländern geholfen werden kann.
Alle EU-Staaten müssen massiv Schulden machen, um die Folgen des wirtschaftlichen Stillstands für ihre Bürger abzufedern. Dazu hat die EU-Kommission bereits die Regeln des Eurostabilitätspakts außer Kraft gesetzt. Nun geht es um die Frage, wie Schuldenaufnahme und Rückzahlungen organisiert werden sollen. Italien, Spanien, Frankreich und sechs weitere Länder rufen nach einem solidarischen Vorgehen. Die EU solle gemeinsam Anleihen auflegen, sogenannte Coronabonds. Der Vorteil wäre, dass die Union Kredite zu wesentlich günstigeren Konditionen bekäme als einzelne Staaten. Was vor allem für ohnedies hoch verschuldete Länder wichtig ist, die ansonsten auf den Kapitalmärkten höhere Zinsen bezahlen müssten. Daher war die gemeinsame Schuldenaufnahme bereits in der Eurokrise ein heiß umstrittenes Thema zwischen dem reichen Norden und dem ärmeren Süden Europas.
Ein Blick in die Statistik illustriert das Problem. Die Staaten mit der höchsten Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sind Griechenland (178 Prozent), Italien (137), Portugal (120), Belgien (102), Frankreich (100) und Spanien (98).
Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland lehnen solche Bonds strikt ab. Sie wehren sich gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden und eine gemeinsame Haftung. Es sind zugleich jene Staaten, die in der Eurokrise auf Sparpolitik und Budgetdisziplin gepocht haben. Österreichs Staatsschuldenquote liegt bei 71 Prozent, die von Deutschland bei 61, jene der Niederlande bei 49 Prozent.
Österreichs Finanzminister Gernot
Blümel (ÖVP) hat am Wochenende in einem Interview mit dem deutschen „Handelsblatt“gesagt, „die Krise sollte nicht dazu genutzt werden, Vorschläge von vorgestern unter dem Deckmantel der Coronakrise umzusetzen“. Zunächst solle man vorhandene Finanzierungsinstrumente wie den europäischen Rettungsschirm ESM nutzen (Europäischer Stabilitätsmechanismus).
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez forderte dagegen „rigorose Solidarität“und einen „neuen Marshallplan“. Die Pandemie sei die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Situation dürfe die EU nicht wie während der Finanzund Bankenkrise 2008 mit dem Rotstift reagieren. Es sei vielmehr nötig, eine „Kriegswirtschaft“zu organisieren, meinte der spanische Sozialist.
Auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen hält einen Wiederaufbauplan für nötig. Sie will das nächste Sieben-Jahres-Budget von 2021 bis 2027 als zentrales Finanzierungsinstrument zum Ausgleich der Krisenfolgen gestalten. Einen entsprechenden Vorschlag muss Budgetkommissar Johannes Hahn erarbeiten.
Deutschland und Frankreich haben Ende vergangener Woche einen gemeinsamen Vorschlag präsentiert, der den Weg zu einem Kompromiss weisen könnte. Demnach könnte die Coronafinanzhilfe auf drei Säulen aufbauen: Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) sowie 100
Milliarden Euro aus EU-Mitteln zur Finanzierung von Kurzarbeit und Hilfe bei der Unterstützung von Arbeitslosen.
Die Hauptrolle spielt in diesem Vorschlag der ESM. Er wurde 2011 während der Eurokrise als Rettungsschirm gegründet, um verschuldete Länder auffangen zu können. In ihm liegen 410 Milliarden Euro zur Auszahlung bereit. Eigentlich ist die Kreditvergabe an strenge Auflagen und Reformprogramme gebunden. Man erinnere sich an die Sanierung Griechenlands. Doch nun ist die Rede davon, kurzfristige ESM-Kredite ohne Bedingungen zu gewähren, die aus Sicht der Empfänger demütigend sind. Dem könnte sich auch Deutschland anschließen. Ziel ist, dass die Forderung nach Coronabonds vom Tisch ist.
Jedenfalls vorläufig.