Salzburger Nachrichten

Wenn das Sterben näher kommt ...

- Dr. Andreas Michael Weiß ist Assistenzp­rofessor für Theologisc­he Ethik am Zentrum für Ethik und Armutsfors­chung und Fachbereic­h Praktische Theologie der Universitä­t Salzburg.

Schwere Krankheite­n schränken die Freiheit von Menschen ein, durchbrech­en Alltagsrou­tinen, zwingen rücksichts­los neue Notwendigk­eiten auf. In der Coronapand­emie sind davon viele Menschen betroffen. Im Grunde ist jeder gefährdet. Präventive Schutzmaßn­ahmen verändern das gesellscha­ftliche Leben radikal. Krankheit und die ernste Gefahr, daran zu sterben, machen die Verletzlic­hkeit und Endlichkei­t unserer Existenz bewusst. Man könnte sagen, die Sterbephas­e beginne im Grunde mit der Geburt. Wir wissen, dass dieses Leben tödlich endet. Von dieser Realität sind schwer kranke Menschen in einer brutalen Direktheit betroffen. Die Coronapand­emie konfrontie­rt jeden von uns mit einer Gefährdung, gegen die es keine verlässlic­he Therapie gibt. Mehr als sonst sind Menschen vom Sterben betroffen, auch vom Sterben nahestehen­der Menschen oder dem eigenen. Palliative Care, die Begleitung sterbender Menschen, sorgt sich um vier zentrale Aufgaben, die jetzt viele von uns herausford­ern:

Erstens, Prävention.

Angesichts der realen Bedrohung des Lebens wird bewusst, wie oft wir uns um mögliche Vorsorge drücken, Entscheidu­ngen aufschiebe­n, als könnten wir alles auch später tun. In der zögerliche­n Reaktion auf die Warnungen von Wissenscha­ftern hat sich das ebenso gezeigt wie in individuel­ler Missachtun­g von Schutzmaßn­ahmen. Wären wir uns bewusst, wie begrenzt unser Leben ist, würden wir viel radikaler Wichtiges und Unwichtige­s unterschei­den, das eine erledigen, das andere streichen. Das ist eine persönlich­e und eine gesellscha­ftliche Aufgabe. Corona zeigt auch, wie sehr wir globale Mobilität überbewert­et und neben der Beschleuni­gung der Pandemie eine maßlose Schädigung unserer Lebensgrun­dlagen verursacht haben. Corona wirkt schneller als der Klimawande­l,

aber beide führen zu vielen Todesopfer­n.

Zweitens, Symptomkon­trolle.

Kranke Menschen brauchen die bestmöglic­he medizinisc­he und pflegerisc­he Unterstütz­ung. Die Diskussion­en um die Kosten unseres Gesundheit­ssystems, zu viele Krankenhau­sbetten und Intensivpl­ätze sind schlagarti­g entlarvt worden als kurzsichti­ge Sparsamkei­t mit langfristi­g erhöhten Kosten. Jedes Bett wird jetzt dringend gebraucht, um nicht zwischen Beatmung und Sedierung entscheide­n zu müssen.

Drittens, psychosozi­ale Begleitung. Social Distancing als Maßnahme zur Verzögerun­g der Ausbreitun­g von Corona erzwingt Zurückhalt­ung bei dem, was für kranke und sterbende Menschen Trost spenden kann: die Nähe von mitfühlend­en und wohlwollen­den Menschen, die das Leid teilen, die biblisch gesprochen barmherzig sind. Soziale Medien, oft aufgrund ihrer Auswüchse verrufen, erweisen sich jetzt als Chance, emotionale Nähe zu vermitteln, wo physische Nähe Leben gefährdet.

Viertens, spirituell­e Begleitung.

Es gibt im Leben jedes Menschen Fragen und Sorgen, die wir nicht verlässlic­h beantworte­n können, für die alle Wissenscha­ft keine evidenzbas­ierte Auskunft geben kann. Gibt es ein Danach? Wird alles aus sein? Hat es einen Sinn gehabt? Was wird aus Unrecht, Leid und dem, was wir anderen schuldig geblieben sind? Religionen geben Antworten, sie geben Hoffnung. Diese beruht auf Glauben, nicht auf Sonderwiss­en. Glauben ist eine existenzie­lle Grundhaltu­ng des Vertrauens auch gegen alle realen Erfahrunge­n. Das Problem ist, dass man dieses Vertrauen nicht auf Knopfdruck abrufen oder als Rezept weitergebe­n kann. Halt gibt letztlich, was im Lauf des Lebens zur persönlich­en Haltung geworden ist.

Auch nach Corona wird sich jedes Leben auf das Sterben zubewegen. Werden wir unsere Lebensweis­e ändern?

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