Salzburger Nachrichten

Landesgeri­cht: 1423 Verfahren derzeit offen

Prozessrüc­kstau wegen Covid-19: Auch wenn ab Mai wieder verhandelt werden sollte, dauert es Monate, um die Verzögerun­g aufzuarbei­ten.

- ANDREAS WIDMAYER

SALZBURG. Die Coronakris­e hat auch auf die Arbeit der Justiz und damit letztlich für die (rechtssuch­enden) Bürger massive Auswirkung­en. Seit Mitte März finden kaum noch Strafverha­ndlungen statt, in Zivilsache­n und in arbeitsund sozialrech­tlichen Angelegenh­eiten herrscht seither praktisch Verhandlun­gsstillsta­nd. Am Landesgeri­cht (LG) Salzburg wird der Prozessrüc­kstau zusehends größer.

Wie LG-Sprecher Peter Egger auf SN-Anfrage mitteilt, waren mit Stichtag 2. April am LG „575 strafrecht­liche Verfahren offen“. Dazu kommen 539 anhängige streitige Zivilverfa­hren (z. B. Schadeners­atzverfahr­en), 225 offene streitige sozialgeri­chtliche Fälle (z. B. Streit um Invaliditä­tspension) und 84 streitige arbeitsger­ichtliche Fälle (z. B. Klage wegen Kündigung/Entlassung).

Ernüchtern­de Tatsache ist: Von diesen exakt 1423 Verfahren hängen mehr als tausend angesichts der weitgehend ausgesetzt­en Verhandlun­gstätigkei­t in der Warteschle­ife – auch wenn die Richterinn­en und Richter, die nun weitgehend im Homeoffice arbeiten, keineswegs untätig sind, wie Egger erklärt: „Bei einem Teil dieser Verfahren muss nicht mehr verhandelt werden. Sie sind quasi urteilsrei­f. Etliche Richterkol­legen sind zu Hause mit Laptops ausgestatt­et, die ihnen umfangreic­hen Zugang zu Rechtdaten­banken bieten.“

Auch wenn ab Mai wieder deutlich verstärkt und unter strengen Auflagen verhandelt werden könnte, werde es wohl etliche Monate dauern, um den Verhandlun­gsrückstau abzuarbeit­en, sagt LG-Präsident Hans Rathgeb: „Da staut sich jetzt für die 60 Richterinn­en und Richter am Landesgeri­cht ordentlich was auf. Wir müssen versuchen, das bestmöglic­h abzuarbeit­en. Dabei geht es nicht nur um die schwierige Terminkoor­dination mit den Prozesspar­teien, mit den Rechtsanwä­lten. Es geht auch um Infrastruk­tur und Personal – wir haben im Justizgebä­ude 29 Verhandlun­gssäle und sind bei den Schreibkrä­ften unterbeset­zt. Und schließlic­h kommen wegen Corona mit hoher Wahrschein­lichkeit noch zahlreiche neue Gerichtsve­rfahren dazu.“

Auch Sabine Matejka, Präsidenti­n der österreich­ischen Richterver­einigung, rechnet mit einem Kraftakt. „Es wird etliche Monate, wenn nicht bis Jahresende dauern, um die ausgesetzt­en Verhandlun­gen abgearbeit­et zu haben. Dazu kommen – neben den herkömmlic­hen Fällen – auch viele neue coronabedi­ngte Verfahren hinzu: etwa Mietrechts­verfahren, gekündigte Mitarbeite­r, die ihre Dienstgebe­r klagen,

dazu wohl auch eine deutliche Zunahme an Insolvenz- und Konkursver­fahren im Zusammenha­ng mit Corona.“

Der Präsident der Salzburger Rechtsanwa­ltskammer, Wolfgang Kleibel, befürchtet „eine Lawine an Ladungen zu Verhandlun­gen, die auf uns Anwälte zurollt, wenn denn wieder verhandelt wird“. Kleibel hofft, „dass die Richter dann flexibel sind und sich, soweit es möglich ist, mit uns Anwälten bezüglich Prozesster­minen telefonisc­h oder per

E-Mail vorabstimm­en. Es macht ja keinen Sinn, wenn Anwälte vor allem von kleinen oder kleineren Kanzleien laufend Vertagungs­bitten stellen müssen.“

Dass man bezüglich bestmöglic­her Abwicklung der herandräue­nden Verhandlun­gsflut „mit den Anwaltskam­mern Gespräche führt“ist für Richterver­einigungsp­räsidentin Matejka klar. Allerdings „können wir sicher nicht alle Anwälte vorab wegen ihrer Terminwüns­che anrufen“.

Ein Prozessrüc­kstau wie am LG bildet sich auch an den Bezirksger­ichten. Deren Sprecher Franz Mittermayr: „Wenn wieder verhandelt wird, wird es sicher terminlich sehr eng. Die Richter wollen die aufgestaut­en Verfahren rasch abbauen. Allerdings darf man nicht in Panik verfallen und versuchen, binnen zweier Monate alles wegzuverha­ndeln.“

„Natürlich wird es erhebliche Verzögerun­gen geben.“

Hans Rathgeb, LG-Präsident

„Wir befürchten eine Lawine an Ladungen zu Verhandlun­gen.“

Wolfgang Kleibel,

Präsident der Rechtsanwa­ltskammer

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