Landesgericht: 1423 Verfahren derzeit offen
Prozessrückstau wegen Covid-19: Auch wenn ab Mai wieder verhandelt werden sollte, dauert es Monate, um die Verzögerung aufzuarbeiten.
SALZBURG. Die Coronakrise hat auch auf die Arbeit der Justiz und damit letztlich für die (rechtssuchenden) Bürger massive Auswirkungen. Seit Mitte März finden kaum noch Strafverhandlungen statt, in Zivilsachen und in arbeitsund sozialrechtlichen Angelegenheiten herrscht seither praktisch Verhandlungsstillstand. Am Landesgericht (LG) Salzburg wird der Prozessrückstau zusehends größer.
Wie LG-Sprecher Peter Egger auf SN-Anfrage mitteilt, waren mit Stichtag 2. April am LG „575 strafrechtliche Verfahren offen“. Dazu kommen 539 anhängige streitige Zivilverfahren (z. B. Schadenersatzverfahren), 225 offene streitige sozialgerichtliche Fälle (z. B. Streit um Invaliditätspension) und 84 streitige arbeitsgerichtliche Fälle (z. B. Klage wegen Kündigung/Entlassung).
Ernüchternde Tatsache ist: Von diesen exakt 1423 Verfahren hängen mehr als tausend angesichts der weitgehend ausgesetzten Verhandlungstätigkeit in der Warteschleife – auch wenn die Richterinnen und Richter, die nun weitgehend im Homeoffice arbeiten, keineswegs untätig sind, wie Egger erklärt: „Bei einem Teil dieser Verfahren muss nicht mehr verhandelt werden. Sie sind quasi urteilsreif. Etliche Richterkollegen sind zu Hause mit Laptops ausgestattet, die ihnen umfangreichen Zugang zu Rechtdatenbanken bieten.“
Auch wenn ab Mai wieder deutlich verstärkt und unter strengen Auflagen verhandelt werden könnte, werde es wohl etliche Monate dauern, um den Verhandlungsrückstau abzuarbeiten, sagt LG-Präsident Hans Rathgeb: „Da staut sich jetzt für die 60 Richterinnen und Richter am Landesgericht ordentlich was auf. Wir müssen versuchen, das bestmöglich abzuarbeiten. Dabei geht es nicht nur um die schwierige Terminkoordination mit den Prozessparteien, mit den Rechtsanwälten. Es geht auch um Infrastruktur und Personal – wir haben im Justizgebäude 29 Verhandlungssäle und sind bei den Schreibkräften unterbesetzt. Und schließlich kommen wegen Corona mit hoher Wahrscheinlichkeit noch zahlreiche neue Gerichtsverfahren dazu.“
Auch Sabine Matejka, Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung, rechnet mit einem Kraftakt. „Es wird etliche Monate, wenn nicht bis Jahresende dauern, um die ausgesetzten Verhandlungen abgearbeitet zu haben. Dazu kommen – neben den herkömmlichen Fällen – auch viele neue coronabedingte Verfahren hinzu: etwa Mietrechtsverfahren, gekündigte Mitarbeiter, die ihre Dienstgeber klagen,
dazu wohl auch eine deutliche Zunahme an Insolvenz- und Konkursverfahren im Zusammenhang mit Corona.“
Der Präsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer, Wolfgang Kleibel, befürchtet „eine Lawine an Ladungen zu Verhandlungen, die auf uns Anwälte zurollt, wenn denn wieder verhandelt wird“. Kleibel hofft, „dass die Richter dann flexibel sind und sich, soweit es möglich ist, mit uns Anwälten bezüglich Prozessterminen telefonisch oder per
E-Mail vorabstimmen. Es macht ja keinen Sinn, wenn Anwälte vor allem von kleinen oder kleineren Kanzleien laufend Vertagungsbitten stellen müssen.“
Dass man bezüglich bestmöglicher Abwicklung der herandräuenden Verhandlungsflut „mit den Anwaltskammern Gespräche führt“ist für Richtervereinigungspräsidentin Matejka klar. Allerdings „können wir sicher nicht alle Anwälte vorab wegen ihrer Terminwünsche anrufen“.
Ein Prozessrückstau wie am LG bildet sich auch an den Bezirksgerichten. Deren Sprecher Franz Mittermayr: „Wenn wieder verhandelt wird, wird es sicher terminlich sehr eng. Die Richter wollen die aufgestauten Verfahren rasch abbauen. Allerdings darf man nicht in Panik verfallen und versuchen, binnen zweier Monate alles wegzuverhandeln.“
„Natürlich wird es erhebliche Verzögerungen geben.“
Hans Rathgeb, LG-Präsident
„Wir befürchten eine Lawine an Ladungen zu Verhandlungen.“
Wolfgang Kleibel,
Präsident der Rechtsanwaltskammer