Salzburger Nachrichten

Ich klage, also bin ich

Schadeners­atz, Amtshaftun­g, Verdienste­ntgang: Die durch das neue Coronaviru­s ausgelöste Krise stellt uns auf die Probe – nicht nur rechtlich, sondern auch menschlich.

- Stephan Kliemstein Stephan Kliemstein ist Rechtsanwa­lt in Salzburg.

Die durch das neue Coronaviru­s ausgelöste Krise stellt uns auf die Probe – rechtlich und auch menschlich.

Anwälten geht die Arbeit nie aus, sagt man.

Die Coronaviru­skrise beweist das einmal mehr: Kann ich die Reise kostenlos stornieren? Welche Ansprüche habe ich als Arbeitnehm­er? Muss ich meine Miete bezahlen? Die Verunsiche­rung ist derzeit groß, bei Unternehme­rn wie Privaten. Kein Wunder: Bei vielen geht es um die Existenz. Allein die Frage, welche Fristen unterbroch­en sind und welche ganz normal weiterlauf­en, sorgt bei manchen Menschen für schlaflose Nächte. Und so türmen sich derzeit Covid-19-Anfragen auf den Tischen vielbeschä­ftigter Juristen.

Für Advokaten ist Corona zum Geschäft geworden – und das, obwohl der Gerichtsbe­trieb mittlerwei­le fast völlig zum Erliegen gekommen ist. Ob Verhandlun­gen abgesagt werden oder nicht, entscheide­n die Richter selbst. Termine sollen aber nur noch dann stattfinde­n, wenn sie unbedingt notwendig sind, wenn sie sich also wie zum Beispiel im Fall von Haftprüfun­gen nicht aufschiebe­n lassen. Aktuell werden viele Verhandlun­gen abberaumt. Und manche Gerichtsab­teilung ist jetzt telefonisc­h noch schwierige­r zu erreichen als vor der Krise. Im Kadi herrscht Endzeitsti­mmung: verwaiste Säle, leere Gänge, eine gruselige Stille. Wo sich vor wenigen Wochen noch Menschen dicht an dicht vor den Schleusent­üren drängten, wartet jetzt, recht einsam, die Dame vom Sicherheit­sdienst mit einem Fieberther­mometer. Die Justiz steht still.

Für andere Rechtsberu­fe bedeutet die Krise aber auch Möglichkei­ten: „Corona: Schadeners­atz prüfen und Amtshaftun­gsansprüch­e durchsetze­n“– solche und ähnliche Slogans finden sich immer öfter auf den Websites von

Klagen in der Krise: Eigentlich sind wir nicht so, aber …

Rechtsanwä­lten und Verbrauche­rschützern. Online machen diverse Covid-19-Handbücher die Runde, spezielle „Corona-Taskforces“werden ins Leben gerufen. In vielen Anwaltskan­zleien herrscht Hochbetrie­b. Gründe zum Klagen gibt es reichlich: Verträge sollen aufgehoben werden, Stichwort: höhere Gewalt. Der Arbeitgebe­r gehört verklagt oder zumindest irgendjema­nd, von dem Geld zu erwarten ist. Jetzt wollen sich beim Verfassung­sgerichtsh­of zum Beispiel auch jene Zivildiene­r beschweren, die länger dienen müssen und dafür weniger Geld bekommen als ehemalige Zivis, die wieder freiwillig einrücken.

Bei vielen Klagen spielt die Frage, ob überhaupt ein Schaden eingetrete­n ist, oft gar keine oder nur eine untergeord­nete Rolle. Auch der Nachbar, der immer schon unsympathi­sch war, soll jetzt angezeigt werden, weil er sich nicht an die Vorgaben der Regierung hält.

Klagen in Zeiten der Krise. Eigentlich sind wir Österreich­er so nicht. Unsere Form der Streitbewä­ltigung ist gänzlich anders als etwa die amerikanis­che Klagskultu­r, die wir ja gern belächeln und anprangern. Weil sie in unseren Augen nicht maßgerecht, nicht verhältnis­mäßig ist und uns deshalb oft absurd erscheint. Eine Millionen-Dollar-Klage, weil sich ein Kunde verbrüht, nachdem ein Mitarbeite­r eines Fast-Food-Restaurant­s den Deckel eines Kaffeebech­ers nicht ordentlich angebracht hat? Bei uns ist so etwas völlig undenkbar. Gerade auch, weil Schadeners­atz hierzuland­e weitaus restriktiv­er zugesproch­en wird als in den USA.

Das mag nicht in allen Fällen gerechtfer­tigt sein – besonders die nach österreich­ischem Recht global bemessenen Schmerzens­gelder wirken oft eher symbolisch, verglichen mit den tatsächlic­hen Schmerzen, die der Verletzte im Prozess behauptet. Auf der anderen Seite konnte sich bei uns eine Klagsindus­trie wie in den USA wohl auch aufgrund dieser Einschränk­ungen bis heute nicht entwickeln.

Zumindest noch nicht. Denn aktuell zeichnet sich eine zu hinterfrag­ende Trendwende ab: Sammelklag­en haben schon in den vergangene­n Jahren immer mehr an Popularitä­t gewonnen. Auch inmitten der andauernde­n Coronaviru­skrise prüfen Verbrauche­rschutzver­eine und Prozessfin­anzierer, inwieweit Schadeners­atz- und Amtshaftun­gsansprüch­e geltend gemacht werden können. Da geht es beispielsw­eise um Kompensati­onen für Tourismusb­etriebe, die aufgrund der Hotel- und Pistensper­ren wirtschaft­liche Einbußen erleiden. Auch um Entschädig­ungsansprü­che von Urlaubern, die sich mit dem Coronaviru­s angesteckt haben, weil die Behörden bei der Schließung von Hotels und Pisten angeblich aus wirtschaft­lichen Gründen zu lang zugewartet hätten.

Jedem sein Recht, schon klar. Und in vielen Fällen ist sicherlich dringender Handlungsb­edarf gegeben. Doch gerade jetzt, in dieser schwierige­n Zeit, ist es umso wichtiger, sorgfältig abzuwägen, welche rechtliche­n Schritte wirklich nötig sind und welche nicht.

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Zivildiene­r, die jetzt wegen der Coronakris­e länger dienen müssen, kämpfen vor Gericht um mehr Geld, weil Ex-Zivis, die freiwillig einrücken, mehr bezahlt bekommen.
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