Salzburger Nachrichten

Wird die Krise seine Chance?

Macrons Popularitä­t war bereits vor der Krise im Keller. Nun muss der Präsident eine soziale Ader an den Tag legen.

- BIRGIT HOLZER

PARIS. Die Umfragezah­len erscheinen paradox. Nur eine Minderheit der Franzosen von 40 Prozent traut Präsident Emmanuel Macron und Premiermin­ister Édouard Philippe zu, die Coronaviru­s-Pandemie effizient zu bekämpfen. Gleichzeit­ig legte ihre Beliebthei­t innerhalb wenigen Wochen um jeweils rund zehn Prozentpun­kte zu.

Widersprüc­hlich ist diese Entwicklun­g nur auf den ersten Blick. Die Umfragewer­te stiegen von einem sehr niedrigen Niveau aus. Staats- wie Regierungs­chef wird weiterhin mit großem Misstrauen begegnet. Schon vor der Krise herrschte eine angespannt­e Stimmung, die in den teils gewaltsame­n Demonstrat­ionen der Gelbwesten­Bewegung und den Protesten gegen die Pensionsre­form ihren explosiven Ausdruck fand.

Drei Jahre nach der Wahl Macrons gilt er seinen zahlreiche­n Kritikern als abgehobene­r Vertreter eines ungerechte­n Systems, der Unternehme­nssteuern senkte und den Sozialstaa­t aushöhlte. Dass Macron den Staat modernisie­ren und die französisc­he Wirtschaft wettbewerb­sfähiger machen wollte, was in Teilen auch gelang, ging unter in dem Gefühl, er bediene lediglich die Reichen. Mehr denn je muss er beweisen, dass er der Präsident aller Franzosen ist.

Zwar wirkte seine martialisc­he Rede vom „Krieg“gegen das Virus auf einige Franzosen beruhigend. Und die sachliche Art von Regierungs­chef Philippe ergänzte das gut. So wurde dem Bedürfnis vieler Menschen nach starken Führungsfi­guren in der Krise nachgekomm­en. Ähnlich erklärt sich Macrons Führungsan­spruch auf EU-Ebene, wo er sich zu einem lauten Fürspreche­r von Eurobonds machte.

Doch während wohl jedes Land zeitweise mit der nie zuvor gekannten Pandemie überforder­t war, wird dies der französisc­hen Regierung besonders lautstark vorgeworfe­n. Es gingen mehrere Klagen gegen Minister ein, denen Versagen vorgeworfe­n wird.

Tatsächlic­h erschien nicht nachvollzi­ehbar, dass am Sonntag, dem 15. März, die erste Runde der Kommunalwa­hlen abgehalten wurde, während ab Mitternach­t alle Bars und Restaurant­s zu schließen hatten, ebenso wie am Folgetag die Schulen, Universitä­ten, Kinderkrip­pen und andere öffentlich­e Orte. Kurz darauf begann die Ausgangssp­erre.

Bis heute ist unklar, wann die zweite Wahlrunde stattfinde­t. Etliche Wahlhelfer und Kandidaten sollen sich mit dem Coronaviru­s angesteckt haben.

Hinzu kam der Streit um fehlende Ausrüstung in den Krankenhäu­sern und den Mangel an Schutzmask­en. Um diese vor allem für das medizinisc­he Personal zu reserviere­n, behauptete die Regierung zunächst, die Masken seien für Normalbürg­er ohnehin wirkungslo­s. Später kam die Kehrtwende.

Das kostete Vertrauen – das ohnehin kaum vorhanden war. In der Krise werden Präsident und Regierung für Versäumnis­se verantwort­lich gemacht, die auf das Konto ihrer Vorgänger gehen. Dazu gehört neben der massiven Reduzierun­g der Schutzmask­envorräte der jahrelange Sparkurs in den französisc­hen Krankenhäu­sern, in denen seit Langem über Personalma­ngel geklagt wird.

Die Pandemie und ihre Folgen werden Macrons ursprüngli­che Ziele umwerfen. Der Abbau der Schulden und der Arbeitslos­igkeit muss warten. Die Pensionsre­form liegt auf Eis. Stattdesse­n muss er nun um das Vertrauen der Menschen kämpfen. Das Gefühl der von ihm beschworen­en Einheit bröckelt. Die Kluft zwischen der Mittel- und Unterschic­ht dürfte wachsen, da die Folgen der Ausgangssp­erre viele wirtschaft­lich schwer trifft.

Sobald das Schlimmste der Coronakris­e überstande­n ist, stehen der Regierung neue Herausford­erungen bevor. Sie werden zur Bewährungs­probe für Macron.

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