Bange Stunden für die Briten
Der Brexit-Fan Dominic Raab hat viele Kritiker im Vereinigten Königreich.
Der Amtssitz in Downing Street Nr. 10 ist verwaist. Premier Boris Johnson liegt mit Covid-19 auf der Intensivstation. Auch Larry, die Hauskatze, wartet auf seine Rückkehr. Außenminister Dominic Raab führt in der Zwischenzeit die Geschäfte.
Es ist erst gut einen Monat her, als sich Boris Johnson während einer Pressekonferenz in seiner jovialen Art damit brüstete, weiterhin jedem die Hand zu schütteln – Coronavirus-Patienten im Krankenhaus eingeschlossen. Nun liegt der Premier auf der Intensivstation, nachdem er vor knapp zwei Wochen positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde. Er erhält zwar eine Sauerstoffversorgung, musste aber nicht an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden, wie es von einem Sprecher der Downing Street hieß. Der Zustand des Premiers sei stabil, Johnson sei „in guter Stimmung“. Es sind Beschwichtigungen, wie sie schon am Montag zu hören waren.
Werden die Berichte über Johnsons Gesundheit geschönt, um die Bevölkerung zu beruhigen? Immerhin wurde bekannt, dass es dem 55Jährigen bereits die ganze vergangene Woche schlecht ging, er unter hohem Fieber und Husten litt, aber weiterarbeitete. Wie krank der Premier wirklich ist, weiß abgesehen von den behandelnden Ärzten und Schwestern sowie engsten Vertrauten niemand. Genesungswünsche kamen aus den EU-Hauptstädten genauso wie aus dem Weißen Haus.
Johnsons Ausfall kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.
Das Königreich steckt in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, der nationale Gesundheitsdienst NHS steht kurz vor dem Kollaps und täglich steigt die Zahl der Toten massiv an. Bis Dienstag Mittag wurden rund 6000 Coronaopfer gezählt.
Zwar hat Johnson noch Außenminister Dominic Raab mit der Fortführung der Amtsgeschäfte beauftragt. Doch in Großbritannien gibt es keine geschriebene Verfassung, die solche Fälle regeln würde. Anders als beispielsweise in den USA wäre Raab auch im äußersten Notfall nicht automatisch Nachfolger von Boris Johnson. „Es ist ein glücklicher Umstand in einer zutiefst bedauerlichen Episode, dass einige der großen Entscheidungen schon getroffen sind“, sagt Bronwen Maddox, Direktorin der renommierten Denkfabrik Institute for Government. So hat Johnson bereits vor mehr als zwei Wochen den Lockdown des Landes verordnet und auch Rettungspakete für die Wirtschaft wurden geschnürt. Die Kritik, man habe in der Pandemie zu spät gehandelt, dazu noch mit einem Zickzackkurs, wiesen Johnson wie auch andere Regierungsvertreter stets zurück. Man sei allein den Empfehlungen der medizinischen Experten gefolgt.
Außenminister Dominic Raab gilt als loyaler Unterstützer Johnsons. Kann der Chefdiplomat die Rolle des Chefkrisenmanagers einnehmen? Ausgerechnet der Europaskeptiker, der während der Regierungsjahre von Theresa May im Amt des Brexit-Ministers oft verspottet wurde. Der 46-Jährige, in der südenglischen Grafschaft Buckinghamshire als Sohn einer anglikanischen Mutter und eines jüdischen Vaters geboren, begann seine Karriere nach einem Jusstudium an den Eliteuniversitäten Oxford und Cambridge als Rechtsanwalt in einer Londoner Kanzlei, bevor er im Jahr 2000 in den diplomatischen Dienst eintrat. 2006 wechselte er in die Politik. Der begeisterte Kampfsportler – er boxt gern und trägt den schwarzen Gürtel im Karate – schaffte 2010 den Sprung ins Unterhaus, wo er seine Ansichten zunehmend den Karriereaussichten anpasste. Es ist noch nicht lang her, da schlug er vor, das widerspenstige Unterhaus zu suspendieren, um den EU-Austritt durchzusetzen. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass die Zahl der Kritiker des Außenministers auf der Insel äußerst groß ist.