Wer wird für die Krise zahlen?
Erbschaftssteuern und Vermögenssteuern sind plötzlich wieder in aller Munde.
WIEN. Die Coronakrise heizt die ideologisch aufgeladene Debatte über die Einführung von Erbschaftsund Vermögenssteuern in Österreich neu an. „Ich bin für einen rigorosen Beitrag von Millionen- und Milliardenerben“, fordert der grüne Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler und erntet mit diesem Vorstoß zweierlei: ungeteilten Applaus von SPÖ, Arbeitnehmervertretern und Caritas, aber dafür ein klares Nein seines Koalitionspartners ÖVP.
Die Neuauflage der Erbschafts- und Vermögenssteuerdebatte ist ein erster Vorgeschmack auf die Verteilungskämpfe, die nach dem Ende der Gesundheitskrise rund um Corona unweigerlich bevorstehen. Denn zur Bewältigung der Krise hat die Regierung die unvorstellbare Summe von 38 Milliarden Euro lockergemacht. Das Budgetdefizit klettert dadurch von null auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das ist der dritthöchste Wert seit dem Jahr 1954.
Zusätzlich vergrößert die hohe coronabedingte Arbeitslosigkeit das Finanzloch im Pensionssystem. Und überdies steigen seitens der EU die Begehrlichkeiten, dass Österreich die Schulden von Italien, Frankreich oder Spanien mit schultern soll. Wie soll man alle diese Belastungen finanzieren?
„Immer, wenn es in Millionenhöhe zu Erbschaften und Schenkungen kommt, soll auch eine Steuer eingehoben werden. Ich hoffe schon,
„Eine Millionärssteuer auf Vermögen und Erbschaften.“
Pamela Rendi-Wagner, SPÖ
„Wir können keine
Steuer auf das Virus einführen.“
Martin Kocher, IHS-Chef
dass der Coronaschock hier in Österreich zu einem Umdenken führen wird“, deponiert Grünen-Chef Kogler in der „ Tiroler Tageszeitung“und ruft damit prompt den Widerspruch der ÖVP hervor: Für das wirtschaftliche Comeback Österreichs nach der Krise „benötigt es einen noch nie da gewesenen nationalen Kraftakt und nicht irgendeine Einzelmaßnahme“, lautet die verschnupfte Reaktion der ÖVP. Außerdem richtet die Kanzlerpartei dem grünen Koalitionspartner aus: In dieser Ausnahmesituation brauche es in der Regierung Zusammenhalt, das Einhalten von grundsätzlichen Vereinbarungen und keinen Streit, um Österreich mit aller Kraft gut durch die Krise zu führen.
Dass die ÖVP auf das Einhalten von Vereinbarungen pocht, ist ein Hinweis auf den Koalitionspakt, in dem von Erbschafts- und Vermögenssteuern keine Rede ist. Schon bisher hat die ÖVP manche Forderungen der Grünen – etwa nach der Aufnahme zusätzlicher Migranten – mit dem Hinweis „Das steht nicht im Koalitionspakt“abgeschmettert. Aber kann der vor Corona geschlossene Pakt nach dem Elementarereignis noch gelten? Das ist die Frage.
Die Debatte über Millionärssteuern, wie sie in jedem Wahlkampf geführt wird, ist also wieder eröffnet. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner drängt auf eine Millionärssteuer auf Vermögen und Erbschaften. Auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian hat für die Zeit nach Corona eine heftige Verteilungsdebatte angekündigt. Die Caritas sieht sich in ihrer Forderung nach einer „Solidaritätsmilliarde für die Schwächsten“bestätigt.
Die Tonalität der Debatte ist scharf. Die Nichtregierungsorganisation Attac hat mit dem Ruf nach einer bis zu 60-prozentigen Enteignung der Reichen aufhorchen lassen. Umgekehrt weist FPÖ-Klubchef Herbert Kickl alle Forderungen als „Klassenkampf“und „Todessteuer“zurück. Warum die Diskussion jetzt so heftig geführt wird, ist klar: Im Oktober stehen die Wiener Landtagswahlen an. Das könnte genau die Zeit sein, in der die finanziellen Aufräumarbeiten beginnen müssen. Da werden „Reichensteuern“ ein wichtiges Wahlkampfthema sein, das die
Parteien rechtzeitig besetzen wollen.
Und was sagen die Fachleute? Frühere Debatten über Erbschafts- und Vermögenssteuern haben folgendes Dilemma aufgezeigt: Sollen sie wirklich die erhofften Milliarden bringen, muss die Steuer schon bei so niedrigen Werten ansetzen, dass sie auch Häuslbauer und Schrebergärtner trifft. Beschränkt man die Steuer hingegen auf die wirklich Reichen, bringen sie bei Weitem nicht die erhofften Summen. Zumal man aus Rücksicht auf die Arbeitsplätze das Betriebsvermögen der heimischen Unternehmen steuerlich schonen müsste.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS halten die Debatte über die Finanzierung der Coronakrise für zu früh. Noch seien die Folgen gar nicht alle absehbar, insofern sei noch nicht die richtige Zeit, jetzt über konkrete Summen zu reden, sagt Wifo-Expertin Margit Schratzenstaller. Die Lösung werde aber nur in einem Gesamtpaket liegen können. IHS-Chef Martin Kocher hält einen Vergleich mit der Finanzkrise, zu deren Finanzierung eine Bankenabgabe eingeführt wurde, für nicht zielführend. Diesmal gebe es keinen Schuldigen, den man so leicht besteuern könne. „Wir können keine Steuer auf das Virus einführen“, sagte Kocher. Steuererhöhungen würden zudem die notwendige Konjunkturankurbelung gefährden. Beide Forscher empfehlen eine Ökologisierung des Steuersystems.