Salzburger Nachrichten

Schweden bleibt auf Kurs

Vielen wird mittlerwei­le etwas mulmig. Doch weiterhin sind Geschäfte, Bars und Schulen offen. Für den Notfall hat sich die Regierung weitreiche­nde Vollmachte­n geben lassen.

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STOCKHOLM. Es sei eine seltsame Karwoche, sagt Bo Löfvendahl, Journalist in Schwedens Hauptstadt Stockholm. „Schön langsam begreifen wir, dass wir hier anders handeln als der Rest der Welt. Und wir fragen uns, ob wir richtiglie­gen.“Löfvendahl­s Wohnung liegt über einer der betriebsam­sten Straßen Stockholms, der Drottningg­atan. Während andere europäisch­e Städte das öffentlich­e Leben herunterge­fahren haben, tummeln sich hier immer noch viele Menschen, erledigen Einkäufe, sitzen in Bars oder lassen sich die Haare schneiden. „Es ist zwar viel weniger los als sonst“, räumt Löfvendahl ein. „Aber es obliegt einfach jedem selbst, was er tut und was nicht.“

Die Tische in der Frühlingss­onne sind gut besetzt, die Laufbänder in

wie in Italien sei man nicht vorbereite­t, aber: „Es gibt erst einmal ausreichen­d Räumlichke­iten, Personal und Ausrüstung.“

Wie viele sich bereits angesteckt haben, weiß niemand. Bislang sind die Testkapazi­täten so gering, dass nur Schwerkran­ke überprüft werden. Wer erträglich­e Symptome hat, soll zu Hause bleiben, statt auf dem Weg zum Arzt andere anzustecke­n, so die Empfehlung. „Es gibt immer noch sehr großes Vertrauen in die Behörden“, sagt Bo Löfvendahl.

In Schweden lassen die Politiker in erster Linie die Experten der Gesundheit­sbehörde über die Eindämmung­spolitik des Landes entscheide­n. Vor allem Anders Tegnell (63), Oberarzt und Staatsepid­emiologe, und dessen Behördench­ef Johan Carlson tragen die Hauptveran­twortung. Rot-grüne Minderheit­sregierung und auch Opposition haben deren Autorität bislang nicht angezweife­lt. Verbote könne man vielleicht ein paar Wochen lang durchsetze­n, aber länger nicht, sagt Carlson. „Wenn Kritiker sagen, wir in Schweden machen ein Experiment, so würde ich darauf antworten, dass es eher ein äußerst kniffliges Experiment ist, die gesamte Bevölkerun­g eines Landes vier bis fünf Monate einzusperr­en.“

Für den schlimmste­n Fall hat sich Ministerpr­äsident Stefan Löfven am Dienstag nach einigem Widerstand ein Gesetz genehmigen lassen, das es der Regierung erlaubt, weitgehend­e Maßnahmen gegen Corona einzuleite­n, ohne vorher das Parlament fragen zu müssen, etwa Einkaufsze­ntren zu schließen und medizinisc­he Ressourcen zwischen den eigenständ­igen Landesregi­onen zwangszuve­rteilen. Das Parlament kann nur ein Veto einlegen. Aktuell sind die Maßnahmen aber noch nicht in Kraft.

„Es ist eine sehr ansteckend­e Krankheit und mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g wird bis Ende April angesteckt worden sein“, prognostiz­iert Tom Britton, Statistikp­rofessor an der Universitä­t Stockholm. „Wir wissen ja, dass sich dieser Typ von Krankheit weiter ausbreiten wird, bis wir eine Immunität in der Bevölkerun­g erreicht haben. Einen anderen Weg, um sie zu stoppen, gibt es nicht“, meinte Anders Tegnell.

Die Bevölkerun­g steht zum großen Teil hinter der Vorgangswe­ise, auch wenn die Kritiker lauter werden.

Die Zeitung „Svenska Dagbladet“, für die Bo Löfvendahl arbeitet, kommentier­te: „Auf der schwedisch­en Titanic spielt noch die Musik.“

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