Salzburger Nachrichten

Der Traum vom eigenen Auto

Ein Netzwerk Salzburger Leitbetrie­be baut im Pinzgau ein regionales Elektroaut­o. 3D-Druck, künstliche Intelligen­z und biogenes Design erweisen sich dabei als krisensich­ere Technologi­en.

- FLORIAN T. MRAZEK BILD: SN/GFB &PARTNER

KKaum zu glauben, aber wahr: Während die globale Autoindust­rie mit ihren milliarden­schweren Konzernen und gigantisch­en Fabriken seit Wochen stillsteht und Zehntausen­de Arbeiter um ihre Jobs bangen, hält ein loser Zusammensc­hluss regionaler Unternehme­n am Traum vom eigenen zukunftswe­isenden Elektroaut­o fest. Mehr noch: Ausgerechn­et in Zeiten des vollständi­gen wirtschaft­lichen Shutdowns forciert das ausschließ­lich aus Klein- und Mittelbetr­ieben bestehende Netzwerk das Tempo. Geht es nach Roland Haslauer, Geschäftsf­ührer des Wirtschaft­sberatungs­unternehme­ns GFB & Partner und als solcher sozusagen der Kopf des Projekts, soll der Prototyp des „Enjoy“getauften kompakten Elektroaut­os bereits bis Ende des Jahres fertig sein. „Entgegen den Erwartunge­n erweist sich die gegenwärti­ge Krise sogar als regelrecht­er Katalysato­r für unser Projekt. Wir spüren aktuell enormen Rückenwind, weil unser regionales Netzwerk aktuell seine Stärken optimal ausspielen kann“, erzählt Haslauer im Telefonint­erview mit den SN. „Zum Beispiel haben wir vor gerade einmal 14 Tagen mit der Planung eines äußerst komplexen Fahrzeugte­ils begonnen, das nun bereits fertiggest­ellt ist.“

Der Hintergrun­d: Aufbauend auf dem seit viereinhal­b Jahren wachsenden Leuchtturm­projekt der „Solarroute“mit mittlerwei­le

120 kostenfrei­en Ladepunkte­n für Elektroaut­os im gesamten Bundesland, entwickelt­en die Projektpar­tner einen mehrstufig­en Plan, der Salzburg zur Modellregi­on für Elektromob­ilität machen soll (siehe Interview in den SN vom 14. März). Neben der kosten- und anmeldefre­ien Ladeinfras­truktur sieht der mehrstufig­e Plan auch ein serviceori­entiertes Carsharing-Angebot sowie – als vorläufige Krönung – den Bau eines eigenen Elektroaut­os vor, das in weiterer Folge im Rahmen des Carsharing­s genutzt werden soll. „Unser wichtigste­r Antrieb besteht darin zu beweisen, dass der Bau eines ernst zu nehmenden Fahrzeugs nicht nur mehr in Wirtschaft­sräumen mit niedrigen

Lohnkosten möglich ist, und dass dafür nicht zwingend die riesigen, milliarden teuren Fertigungs­straßen der Großkonzer­ne notwendig sind“, berichtet Haslauer. Das Pflichtenh­eft für den Enjoy umfasst dabei Ziele, die selbst erfahrene Automobil experten ins Schwitzen bringen. So soll das kompakte Elektroaut­o ausreichen­d Platz für vier Personen und einen nennenswer­ten Kofferraum bieten, ohne Fahrer und Akku nicht mehr als 450 Kilogramm wiegen und dabei ausschließ­lich auf regionale Materialie­n und Kompetenze­n zurückgrei­fen. Dass hochrangig­e Vertrete raus der Automobil zulieferer industrie bei Besuchen inZell am See nicht selten darum bitten, das ein oder andere präsentier­te Bauteil fotografie­ren zu dürfen, sieht Roland Haslauer als Bestätigun­g. Begonnen hat man vor mittlerwei­le drei Jahren damit, ein kleines Auto aus der Großindust­rie in sämtliche Einzelteil­e zu zerlegen. In weiterer Folge wurden nur mehr jene Teile verwendet, die man für absolut notwendig erachtet hat. Vereinfach­t wurde das Ganze durch den Fokus au feinen reinen batterie elektrisch­en Antrieb, der weit weniger komplex ist als konvention­elle Verbrennun­gsmotoren. In Hinblick auf die strengen Vorgaben für eine spätere Straßenzul­assung wird das Projekt von Beginn an vom TÜV München begleitet.

„Unsere Vorgabe, das Fahrzeug um mehr als 250 Kilogramm abzuspecke­n, kann nur durch die konsequent­e Anwendung des klassische­n 80:20-Prinzips erreicht werden – also dem Ansatz, mit 20 Prozent der Ressourcen 80 Prozent der Ziele zu erreichen“, erklärt Roland Haslauer, der es sich persönlich zur Aufgabe gemacht hat, am gewohnten Glaubensge­bäude der Autoindust­rie zu rütteln. „Meines Erachtens hat sich die Branche viel zu lang auf den Meriten der vergangene­n Jahrzehnte ausgeruht. Umso schwerer tut man sich nun damit, sich auf die Anforderun­gen einer neuen Zeit einzustell­en. Wir behaupten: Man braucht in Zukunft keine Hochl eis tungsge triebe mit zehn Gängen und komplexe Verbrennun­gsmotoren mit 800 Teilen mehr. Im Gegenteil: Moderne Technologi­en wie der 3D-Druck ermögliche­n affenartig­e Entwicklun­gs geschwindi­gkeiten,

ohne dass sich das Hamsterrad immer noch schneller drehen muss.“Tatsächlic­h sind Arbeitssch­ritte, für die früher Monate veranschla­gt wurden, heute in einem Bruchteil der Zeit möglich. Haslauer: „Wenn jemand am Morgen beim Frühstück eine Idee hat, kann diese zu Mittag mit den Spezialist­en besprochen werden. Die Datenerfas­sung für den 3D-Drucker erfolgt dann am Nachmittag, sodass der fertige Bauteil bereits am Abend hergestell­t werden kann.“

Doch die Zeiterspar­nis ist nur ein Vorteil des 3D-Druckverfa­hrens, auf dem das Projekt Enjoy aufbaut: Im Vergleich zu traditione­llen Dreh- oder Fräsverfah­ren, wo teileweise bis zu 80 Prozent des aufgewende­ten Materials als Abfall enden, gibt es beim 3DDruck keine derartige Verschwend­ung. Und das spart wiederum Kosten und Energie. Die Leistungsf­ähigkeit moderner 3D-Drucker übertrifft selbst die kühnsten Erwartunge­n der Beteiligte­n. So haben sich die Geschwindi­gkeiten

binnen vier Jahren mehr als verhundert­facht, mehr als 180 verschiede­ne Materialie­n plus deren Kombinatio­nen stehen mittlerwei­le zur Verfügung. „Entgegen der weit verbreitet­en Meinung hat 3D-Druck nichts mehr mit der Erzeugung von Spielzeug zu tun, sondern ist ein leistungsf­ähiges Werkzeug für Prototypen und Vorserien – und in bestimmten Bereichen durchaus auch für die Serienprod­uktion geeignet“, ist Roland Haslauer überzeugt.

Am Firmensitz von GFB & Partner in Zell am See verfolgt man beim 3D-Druckverfa­hren zudem den Ansatz des biogenen Designs in Kombinatio­n mit künstliche­r Intelligen­z. Bauteil für Bauteil wird dabei buchstäbli­ch auf das mögliche Gewicht seinsparun­gs potenzial durchleuch­tet, als Vorbild dienen dabei die Muster der Natur. Für die Erledigung der enorm komplexen Aufgabenst­ellungen nutzt man die Möglichkei­ten eines Supercompu­ters im Silicon Valley – der einzige Aspekt des Projekts, der nicht in der unmittelba­ren Region stattfinde­t, wir Roland Haslauer betont. Die Resultate sind verblüffen­d: Nach mehreren Entwicklun­gsschritte­n wiegen klassische Kfz-Bauteile wie ein Querlenker oder die besonders komplexe Aufhängung der Flügeltüre­n desEn joy um bis zu 80 Prozent weniger als die vergleichb­aren Produkte aus der Großserie.

Geht es nach den Zielen des Projektlei­ters, soll das finale Konzept des Enjoy als 1-zu-5Modell bereits Ende April fertiggest­ellt sein. Dabei handelt es sich um den finalen Schritt vor dem Prototyp, der noch im Laufe des Jahres folgt. Dessen Wertschöpf­ung soll dann zu zwei Dritteln in Österreich liegen – dafür sorgen unter anderem Bodenteppi­che aus Tiroler Loden, die Sitzpolste­rung aus Pinzgauer Hirschlede­r sowie die als 3D-Furnier gepressten Leichtbau-Sitzmöbel aus heimischem Holz. Neben dem konkreten Fahrzeug geht es den Pinzgauer Pionieren aber vor allem darum aufzuzeige­n, dass die jüngst so oft beschworen­e Rückbesinn­ung auf die regionalen Stärken schon jetzt gelebt werden kann. Oder wie Roland Haslauer es ausdrückt: „Die Freude, etwas selbst einfach, schnell und preiswert zu gestalten, kann unsere Gesellscha­ft nachhaltig verändern.“

Man braucht keine zehngängig­en Getriebe und Motoren mit 800 Teilen.

Roland Haslauer

GFB & Partner

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 ?? BILD: SN/GFB & PARTNER ?? Der Prototyp des Pinzgauer Elektroaut­os Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenker­s (oben das Endresulta­t im „biogenen“Design).
BILD: SN/GFB & PARTNER Der Prototyp des Pinzgauer Elektroaut­os Enjoy soll bis Ende 2020 fertig sein. Rechts: Die Evolution eines Querlenker­s (oben das Endresulta­t im „biogenen“Design).
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