Warum sterben in den USA mehr Schwarze als Weiße?
Afroamerikaner haben ein höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken, als jede andere Bevölkerungsgruppe. Die komplexen Ursachen laufen auf eines hinaus: Rassismus.
WASHINGTON. Das Facebook-Video des schwarzen Busfahrers aus Detroit ging um die Welt. Fast 800.000 Menschen sahen, wie sich der 50-jährige Jason Hargrove darin über eine Frau beschwert, die in den Bus eingestiegen war und ihm mehrere Male ins Gesicht gehustet hatte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. Das sei gegenüber Arbeitern wie ihm, die versuchten, alles am Laufen zu halten und die eigene Familie durchzubringen, besonders rücksichtslos.
Zehn Tage später war Jason Hargrove tot, seine Frau verwitwet und die sechs gemeinsamen Kinder verwaist. Hargrove ist einer von Tausenden Schwarzen, für die das Coronavirus überdurchschnittlich oft tödlich ist.
Die Ungleichheit, mit der Afroamerikaner in den USA Opfer der Covid-19-Pandemie werden, ist erschütternd. Das Virus, so scheint es, verschärft die Gegensätze zwischen Schwarz und Weiß. Besonders sichtbar wird das in den großen Städten des Mittleren Westens, die inzwischen zu Hotspots des Virus geworden sind. In Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin sind nur 26 Prozent der Einwohner der Stadt und ihres Umlands schwarz. Sie machen aber 73 Prozent der Todesopfer aus. In Chicago stellen Afroamerikaner 32 Prozent der Einwohner, aber 67 Prozent der Todesopfer. Im Bundesstaat Michigan trugen sich drei Viertel der Todesfälle in Detroit zu, einer überwiegend schwarzen Stadt, der Heimatstadt von Jason Hargrove. Das Bild wiederholt sich im Bundesstaat Louisiana im Süden: Dort sind 70 Prozent der Toten Schwarze, obwohl ihr Bevölkerungsanteil nur 32 Prozent beträgt. Die meisten Opfer lebten in New Orleans.
All diese Zahlen sind eine unvollständige Momentaufnahme, weil besonders hart von der Pandemie betroffene Staaten wie New York, New Jersey, Kalifornien und Washington keine ethnischen Details bei ihren Coronastatistiken veröffentlichen und die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC nicht hinterherkommt, umfassende Daten zu liefern.
Die Zahlen sind für viele Gesundheitsexperten erschreckend, aber nicht überraschend. Man wisse schon lang um die Unterschiede beim Gesundheitszustand und der gesundheitlichen Versorgung der schwarzen Bevölkerung, sagte Anthony Fauci, der Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten: „Die Coronakrise wirft nun ein grelles Licht darauf, wie inakzeptabel das ist.“Die schwarze Bürgermeisterin von Chicago, Lori Lightfoot, sprach von Zahlen, „die mir ganz buchstäblich den Atem rauben. Das ist etwas vom Schlimmsten, das ich in meiner Zeit als Bürgermeisterin gesehen habe.“
Experten fürchten zurecht, dass das tatsächliche Missverhältnis noch sehr viel krasser ausfällt. Denn schon ohne das Virus haben Schwarze aufgrund ihrer langanhaltenden und strukturellen Benachteiligung eine deutlich niedrigere Lebenserwartung. In Chicago etwa um im Schnitt 8,8 Jahre weniger als Weiße. Die Gründe dafür sind keine genetischen, sondern das Ergebnis institutionellen Rassismus, der sich auf verschiedene Weise auswirkt.
Viele Schwarze leben in medizinisch unterversorgten Nachbarschaften, haben oft keine Krankenversicherung und sind ohne Zugang zu gesunden Lebensmitteln vielfach mangelernährt. Sie leiden deshalb häufiger unter Diabetes, Herzerkrankungen und Fettleibigkeit – bekanntlich alles Risikofaktoren.
Afroamerikaner haben weniger Zugang zu Bildung und üben in großer Zahl schlecht bezahlte Servicejobs aus. Aus dem sicheren Homeoffice zu arbeiten ist für die meisten nicht möglich. Sie müssen auf der Baustelle erscheinen, an der Kasse im Supermarkt stehen oder den öffentlichen Bus fahren.
Das Coronavirus ist nicht der „große Gleichmacher“, wie der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo kürzlich sagte. Tatsächlich lässt er die groteske Ungleichheit offen zutage treten, die die USA bis heute nicht überwunden haben.
Alle Amerikaner leiden in der Coronakrise darunter, dass US-Präsident Donald Trump die eindringlichen Warnungen seiner Experten, Geheimdienstler, Behördenchefs und Minister erst ignorierte, dann herunterspielte und nun schönredet – Afroamerikaner bezahlen dieses Versagen aber häufiger als alle anderen Bevölkerungsgruppen mit ihrem Leben.
Es wird höchste Zeit, dass die US-Gesundheitsbehörde CDC belastbare Daten vorlegt, die helfen, diese verletzliche Minderheit besser zu schützen. Der Corona-Erreger und der strukturelle Rassismus sind eine tödliche Kombination, die dazu beiträgt, dass es nirgendwo in der westlichen Welt so viele Tote gibt wie in den USA.