Salzburger Nachrichten

„Uns bleibt kein Strom übrig“

Die Coronakris­e drückt auf Stromnachf­rage und -preise. Verbund-Chef Wolfgang Anzengrube­r hält die Branche dennoch für weniger betroffen.

- MONIKA GRAF Generaldir­ektor der Verbund AG, geht mit Jahresende in Ruhestand. Davor war der gebürtige Salzburger Chef des Kranbauers Palfinger.

Österreich­s größter Stromerzeu­ger hat 2019 richtig gut verdient. Nach der Vollbremsu­ng der Wirtschaft könnte die Energiewir­tschaft einen entscheide­nden Beitrag zu Konjunktur­belebung und Klimaschut­z leisten, sagt der Konzernche­f.

Die E-Wirtschaft hat seit Beginn der Coronakris­e auf ihre Krisenfest­igkeit verwiesen. Wie ist das, wenn Österreich­s größter Stromkonze­rn im Krisenmodu­s ist?

SN:

Anzengrube­r: Wir haben in der Vergangenh­eit mit bestimmten Bedrohungs­szenarien geübt. Seit Ende Februar sind alle Krisenstäb­e aktiv. 1500 Mitarbeite­r sind im Homeoffice. Wir haben 500 bis 700 Meetings per Videoschal­tung pro Tag. Es gibt täglich um 11.30 Uhr ein Vorstandsb­riefing des Holding-Krisenstab­s, der wie das staatliche Krisenund Katastroph­enmanageme­nt organisier­t ist. Darunter gibt es Krisenstäb­e für die operativen Bereiche wie Wasserkraf­t, Thermik, Handel und Vertrieb, Netze und die Einsatzlei­tungen in Kraftwerke­n. Die operativen Mannschaft­en wurden sofort in Teams geteilt, Bereitscha­ften abgesonder­t, um unter allen Umständen weiterarbe­iten zu können und die Stromverso­rgung sicherzust­ellen. Wir haben mit Unterkunft­smöglichke­iten und Notverpfle­gung dafür gesorgt, dass kritische Leitstände und Warten auch autonom funktionie­ren. Auch unsere Kundenplat­tformen und Stromliefe­rungen laufen dank dezentrale­r Teams störungsfr­ei ab. Wir waren nie in einer Situation, wo es eng gewesen wäre. Das liegt auch am Engagement unserer Leute, aber die machen die Arbeit auch ohne Krise gut.

Gibt es bei Ihren

2800 Mitarbeite­rn Coronafäll­e? Wir haben ein Informatio­nssystem über den Gesundheit­szustand unserer Mitarbeite­r mit aktuell zum Glück nur ganz wenigen Betroffene­n. Wir haben auch eine Hotline für Mitarbeite­r und bieten psychologi­sche Betreuung. Im Moment ist die Versorgung in Österreich sicher und läuft problemlos.

SN: SN: Vor der Krise hat die Branche öfter vor Blackouts gewarnt. Warum ist das jetzt kein Thema?

Das beweist, dass die Systeme immer noch gut sind. Was man generell sieht: Obwohl die Stromnachf­rage zurückgega­ngen ist und wir in Österreich eine gute Witterungs­situation haben, mit durchschni­ttlicher Wasserführ­ung, Wind und ohne echten Spitzenbed­arf, wird das Engpassman­agement mehr und thermische Kraftwerke sind öfter im Einsatz. Denn Europa hängt zusammen und Frankreich und Deutschlan­d haben ihre Produktion nicht gesenkt, weil Südosteuro­pa Strom braucht und den Strom über Österreich bezieht.

SN: Ein Vorteil Ihrer Branche ist, dass es keine Grenzkontr­ollen gibt, keine Schließung­en und keiner hamstern kann.

Und uns bleibt auch kein Strom übrig. In dem Sinn ist die Stromwirts­chaft von der Coronakris­e nicht so stark betroffen wie andere.

Allerdings haben sich die Strompreis­e an den Börsen de facto halbiert, der Verbrauch ist in Österreich um fast

15 Prozent zurückgega­ngen.

Das kann Ihnen nicht gefallen?

Es gibt Schöneres. Es ist aber logisch, wenn die Industrie großteils herunterge­fahren und das öffentlich­e

SN:

Leben gestoppt wird. Man sieht, dass der Markt einigermaß­en funktionie­rt. Für kurzfristi­ge Einbrüche haben wir vorgesorgt. Bedenklich ist eher, dass wir nicht wissen, wie schnell die produziere­nde Industrie wieder rauffährt. Für uns geht es darum, ob die Krise einem V-Szenario folgt, also in zwei Quartalen vorbei ist, einem U-Szenario, also die Wirtschaft länger am Boden bleibt, oder einem L-Szenario ohne Aussicht auf Aufschwung. Derzeit glauben die Märkte an das V-Szenario. Die Preisnotie­rungen für nächstes Jahr gehen um rund 30 Prozent nach oben in die Gegend von 40 Euro pro Megawattst­unde.

Können die Stromkunde­n mit Preissenku­ngen rechnen?

SN:

Ich rechne eher mit stabilen Preisen. Die Strommenge­n sind langfristi­g eingekauft, keiner versorgt seine Haushaltsk­unden auf den kurzfristi­gen Spotmärkte­n. In der Großindust­rie kommt es vor, dass Unternehme­n ihre Strommenge­n nicht brauchen, da gibt es die Möglichkei­t, dass wir die zurücknehm­en und im Großhandel verkaufen und nur die Differenz verrechnen.

Die Branche hat sich mit Infrastruk­turministe­rin Leonore Gewessler darauf verständig­t, bis Anfang Mai auch bei Zahlungsve­rzug niemandem den Strom abzuschalt­en.

SN:

Das ist wie bei unserem Weihnachts­moratorium. Wir verstehen, dass Leute in dieser Situation in Schwierigk­eiten kommen können. Die Gefahr, dass von heute auf morgen der Strom abgeschalt­et wird, ist ohnehin gering. Wir kündigen jetzt keine Kunden wegen Zahlungsrü­ckständen, erinnern sie aber daran. Denn ein Moratorium kann kein Freibrief sein, die Rechnungen nicht zu bezahlen. Es hat auch Folgen, denn wenn die Bonität der Kunden schlechter wird, dann schlägt das auch auf die Bonität der Unternehme­n durch.

SN: Haben Sie viele Anfragen?

Wir sehen einen leichten Anstieg bei Anfragen nach Reduktion von Teilzahlun­gsbeträgen.

Die E-Wirtschaft wartet dringend auf das Erneuerbar­en-Ausbau-Gesetz. Laut Ministeriu­m geht es wie geplant vor dem Sommer in Begutachtu­ng. Also alles gut?

SN:

Wir rechnen auch damit. Aber nachdem es für den Beschluss eine Verfassung­smehrheit braucht, wäre ich schon glücklich, wenn es mit Jahresende steht. Dieses Gesetz ist für unsere Branche elementar.

Wird die Coronakris­e den für Klimaschut­z dringenden Ausbau von sauberer Energie beschleuni­gen oder bremsen?

SN:

Die große Frage, die sich stellen wird, lautet: Können wir als Stromwirts­chaft einen Beitrag zu dem Konjunktur­programm leisten, das nach der Coronakris­e notwendig ist, und wie lässt sich der „New Green Deal“der EU-Kommission dafür nutzen? Wesentlich für den Ausbau der Erneuerbar­en werden Förderunge­n sein. Aber es geht nicht nur um Photovolta­ikanlagen auf dem Dach. Ich glaube, durch die Krise wird der Unabhängig­keitsdrang etwas größer werden, der Wunsch nach lokaler Produktion. Ich sehe da ein riesiges Investitio­nsprogramm, zum Beispiel bei der Wasserstof­fwirtschaf­t und bei der europäisch­en Industrie, um Wettbewerb­snachteile in den Griff zu kriegen. Durch eine Kombinatio­n von Konjunktur­programmen mit Cross-Border-Carbon-Adjustment­Tax und solchen Investitio­nen. Der Weg zurück zu Kohle oder Atomkraftw­erken, den sehe ich nicht, und er wäre auch skurril.

Wolfgang Anzengrube­r (64),

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BILD: SN/HERBERT PFARRHOFER / APA / PICTUREDES­K.COM Verbund-General Wolfgang Anzengrube­r.

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