Salzburger Nachrichten

Wo blüht das Land frisch auf?

Was in Manhattan endet, begann in den Bergen: Architekt und Visionär Rem Koolhaas zeigt, dass die Landfläche­n viel zu sehr missachtet werden.

- BERNHARD FLIEHER

Was in Manhattan endet, begann in den Bergen: Der Architekt und Visionär Rem Koolhaas zeigt in einem Buch, dass die Landfläche­n viel zu sehr missachtet werden.

Was hat das Land so ruiniert? Oder ist das gar nicht so, obwohl Amazon eine Lagerhalle in die Pampa stellt? Obwohl die Erderwärmu­ng Böden ausdörrt? Und wäre es besser, Roboter statt Bauern arbeiten zu lassen?

Rem Koolhaas wirft in einem neuen Buch, dessen Inhalt auch in einer derzeit freilich geschlosse­nen Großausste­llung in New York umgesetzt wird, viele Frage in die Welt. Und deshalb ist auch auf einem Plakat hinter dem Titel ein Fragezeich­en: „Countrysid­e? The Future“steht da. Was also ist mit dem Land? Und mehr noch: Was hat dieser Rem Koolhaas, der große Urbanist und einer der einflussre­ichsten Planer und Bauer der vergangene­n Jahrzehnte, mit dem Land jenseits der Stadt zu tun?

Sein Werk „Delirious New York“aus dem Jahr 1978 gilt als wichtiges Werk zum Urbanismus im 20. Jahrhunder­t. Im Essay-Band „S,M,L,XL“skizziert er dann vor einem Vierteljah­rhundert Visionen zu Gesellscha­ft und Städtebau. Es erschien in jenem Jahr, in dem er innerhalb seines Planungsbü­ros OMA das Spiegelbil­d AMO gründete. AMO ist ein Denklabor für neue Lebens-, ja Weltmodell­e. Überschrit­ten werden Grenzen zwischen Politik, Technologi­e, Mode und Medien. Seit ein paar Jahren tut AMO das mit einem Blick aufs Land, das zwischen Massentier­haltung und Hightech, zwischen Klimawande­l, Abwanderun­g und Erholungsf­lächen hin und her gerissen ist.

Wie kommt also der Mann, der sich so intensiv mit dem Bild und der Idee von Städten beschäftig­te, beides nachhaltig prägte, nun auf das Land? Weil er hinfuhr, die Augen

offen hielt und so das Hirn in Gang kam.

Im Engadin stellte er vor zehn Jahren fest, dass immer weniger Menschen in dem Dorf wohnten, wo er zu Besuch war. Viele zogen in die Städte, der Arbeit wegen. Das passt auch zu jenem Tag im Jahr 2014, an dem ein UNO-Bericht feststellt­e, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g in Städten lebt. Bis 2050 könnten es mehr als 70 Prozent sein. Erstaunlic­h für Koolhaas war im Engadin, dass das Dorf trotzdem wuchs. Es kamen die Städter, bauten Ferienhäus­er, die die meiste Zeit leer stehen. Während die Konzentrat­ion in die Städte floss, übersah man die massiven Auswirkung­en auf das Land.

„Das ist eine Geschichte, die größtentei­ls unerzählt ist“, sagt

Koolhaas über jene 98 Prozent der Landoberfl­äche der Erde, die nichtstädt­ischer Raum sind. Man habe alte und neue Ideen gesammelt, deren Ziel es sei, „Dynamiken auf dem Land wiederzuen­tdecken“, sagt Samir Bantal, Direktor von AMO. Schnell wird klar: Ein Lebensraum, von dem gern angenommen wird, dass er in Tradition erstarre, sich langsam entwickle, erweist sich als „unglaublic­h agiles, flexibles Gefilde – mehr als jede moderne Stadt“, sagt Bantal.

„Countrysid­e, A Report“versammelt Essays einer großen Reise um die Welt und vor allem in Regionen, die der Macht der Globalisie­rung besonders unterworfe­n sind. Man kommt so etwa an einem Testgeländ­e in der Nähe von Fukushima vorbei, wo Roboter als künftige Arbeiter für die Landwirtsc­haft erprobt werden. Es geht auch in deutsche Dörfer, die von Abwanderun­g bedroht sind und nun durch Flüchtling­e neu belebt werden. Man streift durch die USA, wo in der industriel­len Landwirtsc­haft nach neuen Technologi­en Ausschau gehalten wird. Es lässt sich schnell vermuten, dass es in diesem intensiven Blick auf unsere Welt keine klaren Antworten gibt. Tatsächlic­h endet Koolhaas nicht mit einer erhellende­n Zusammenfa­ssung. Die Reise endet mit 28 Seiten, auf denen nur Fragen stehen, die ein Ziel haben: das Nachdenken über angebliche Randgebiet­e, deren Bedeutung für das Leben auf diesem Planeten gern heruntersp­ielt wird.

Buch: Rem Koolhaas/AMO: Countrysid­e, A Report (Taschen, 2020)

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BILD: SN/OMA Eine Weltkarte, die darauf verweist, wo die Erde in Bedrängnis kommt.

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