Gedanken eines Lesers
Ich schaue von meinem Balkon in die Bergwelt. Bis tief herunter glitzert der Schnee auf den Hängen, jetzt noch, Mitte April. Sie rufen und locken, aber ich darf ja nicht. Quarantäne.
Auf dem Untersberg ist nur noch das Haupt versilbert. Er ist ja nicht so hoch. Wenn ich wenigstens bis zum Scheibenkaser aufsteigen dürfte. Aber so werden die letzten Schneerosen ohne meinen Besuch verblühen. Der Ruf des Kuckucks wird verhallen, ohne mich, die Schmetterlinge bleiben unbeobachtet und der schwarz-gelbe Salamander muss nicht vor meinem Schritt die Flucht ergreifen. Viel Ruhe hat die Natur.
Beim Abstauben meiner Bücher
habe ich so viel Lesestoff entdeckt, dass ich diese und zwei weitere Pandemien locker überstehen könnte. Habe ich so wenig gelesen in meinem Leben oder lässt mir die langsam beginnende Demenz alles wie neu erscheinen?
Den Magnolienbaum hat heuer der Frost erwischt, aber alle anderen Büsche entfalten sich in buntesten Farben und zartes Grün überzieht die vorher kahlen Äste. Das Frühjahr lässt sich auch durch Corona nicht aufhalten. Der Sommer kommt bestimmt. Die Natur hält mehr aus als wir Menschen. Greenpeace verkündet, wir sollten auf die Natur aufpassen. Wir sollten nicht so viele Abgase produzieren mit unseren Autos und der Industrie, wir sollten nicht so viel Plastik verwenden und schon gar nicht so viel Kunstdünger, sonst würden die Insekten sterben und mit ihnen die Blüten und Früchte, und irgendwann würde dann für alle der Hunger ausbrechen. Aber jetzt ist Corona über uns gekommen. Und siehe da: Es gibt weniger Abgase und die Natur hat eine kleine Verschnaufpause, um sich zu erholen. Da sitzen wir nun in unseren Wohnungen, fast wie eingesperrt, und haben viel Zeit zum Nachdenken.
Doch irgendwann wird der Spuk vorüber sein. Wir werden uns wieder frei bewegen können, reisen wie immer und die Schlote werden wieder rauchen, um alle die Güter herzustellen, die wir ganz dringend nicht brauchen. Denn in der Masse sind wir nicht lernfähig.
Heinz Hutter, 5081 Anif