Salzburger Nachrichten

Nicht nur die Coronapati­enten sind wichtig

Österreich hat im Kampf gegen das Coronaviru­s sehr viel richtig gemacht. Ärzte warnen aber mit Recht vor einem „Kollateral­schaden“.

- Gerhard Schwischei GERHARD.SCHWISCHEI@SN.AT

Niemand wollte in Österreich riskieren, dass an den Spitälern ein ähnliches Chaos ausbricht wie in Italien oder zuletzt in New York. Dank der raschen Reaktion der österreich­ischen Regierung und vor allem auch der Disziplin der Bevölkerun­g konnte man das bisher erfolgreic­h verhindern. Österreich hat nicht zuletzt deshalb deutlich weniger Todesfälle zu verzeichne­n, weil jeder Covid-19-Patient individuel­l und umfassend betreut werden kann. Zum anderen ist es gelungen, die Risikogrup­pen zu isolieren und den unkontroll­ierten Ausbruch des Coronaviru­s in Pflege- und Seniorenhe­imen zu verhindern.

Dieser Weg ist richtig und muss weiter verfolgt werden, weil wir bis zum Vorliegen wirksamer Medikament­e oder eines Impfstoffs ständig mit neuen Infektions­wellen rechnen müssen. Gleichzeit­ig wächst aber die Gefahr, dass Menschen nicht „am“, sondern „wegen“des Coronaviru­s sterben oder zumindest einen schweren gesundheit­lichen Schaden erleiden. Aufgrund der Neuorganis­ation und Konzentrat­ion medizinisc­her Ressourcen für die Covid-Häuser mussten andere Bereiche im Gesundheit­ssystem zum Teil erheblich zurückgefa­hren werden. Wie sich das konkret auswirkt, wird durch immer mehr Fallberich­te und warnende Stimmen von Klinikchef­s deutlich.

Gut dokumentie­rt haben das bereits die Interniste­n

und Kardiologe­n, die mit Nachdruck vor einem „Kollateral­schaden“warnen. Aufgeschre­ckt hat sie zum einen, dass man im März in den Spitälern um 40 Prozent weniger Herzinfark­te registrier­t hat. Das hat nichts mit einem statistisc­hen Ausreißer zu tun oder damit, dass Infarktpat­ienten womöglich in den Coronazahl­en landen. Zu befürchten ist, auch wenn Spekulatio­n dabei ist, dass viele einen stummen Infarkt zu Hause durchmache­n oder dort sterben.

Evaluiert haben die Kardiologe­n, wie Uta Hoppe am Unikliniku­m Salzburg, aber genau: Viele Herzpatien­ten kommen mit schweren Symptomen immer später in die Klinik. Patienten mit Herzschwäc­he oder Herzklappe­nproblemen sehe man gar nicht. Auch von Schlaganfa­llstatione­n berichten die Ärzte, dass immer mehr Patienten zu spät kämen.

Da müssen alle Alarmglock­en schrillen, auch wenn die Notfallver­sorgung objektiv nie gefährdet war. Viele Menschen denken das aber, fürchten sich unbegründe­t vor einer Ansteckung im Spital oder wollen das System nicht belasten. Hier bedarf es ebenso kräftiger Signale von Politik und führenden Medizinern wie gegen das Coronaviru­s, um gegenzuste­uern. Sonst hat man am Ende mehr verloren als gewonnen.

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