Schwedens entspannter Sonderweg und wir
Neugierig blickt dieser Tage so mancher gen Norden. Ohne Verbote steuern die Schweden durch die Krise. Bei uns kaum vorstellbar.
Die Stockholmer sitzen an gut gefüllten Tischen, nippen an ihren Latte macchiatos und recken die Nasen in die Frühlingssonne. Und wir? Begnügen uns mit der kleinen Freiheit auf dem Balkon und fragen uns: Ist das alles gerechtfertigt? All die Opfer, der Verzicht, die wirtschaftlich schmerzhaften Einbußen in unserem Land? Wäre der schwedische Zugang nicht auch für Österreich eine gangbare Lösung gewesen?
Mit Sicherheit wird sich das erst sagen lassen, wenn die Krise ausgestanden ist und die Toten gezählt werden. Was sich aber jetzt schon sagen lässt: Das schwedische Modell anderen Ländern überzustülpen ist nicht so einfach. Es gibt Gründe, warum der lockere Umgang mit der Pandemie genau dort und zumindest bisher nicht in die Katastrophe geführt hat. 1. Schweden ist groß und bis auf die beiden Großräume Stockholm und Göteborg dünn besiedelt. Abstand halten ist also nicht schwierig.
Schon gar nicht, weil 2. Schweden jenes Land in Europa ist, in dem so viele Menschen wie nirgendwo sonst in einem Ein-Personen-Haushalt leben. 3. Schweden ist keine Bussi-Bussi-Gesellschaft. Man kommt sich beim Begrüßen nicht so nah. 4. Auch beim Einkaufen nicht. In Schweden wird fast alles bargeldlos bezahlt. In Supermärkten sind Selbstbedienungskassen gang und gäbe.
Im Übrigen unterscheidet sich das Verhalten vieler Schweden nicht so sehr von dem, was uns gerade verordnet ist. Viele arbeiten von zu Hause aus und reduzieren ihre sozialen Kontakte. Das alles wird ihnen bloß nicht verordnet – es wird empfohlen.
Das Land setzt auf die Einsicht der Bürger. Das macht den schwedischen Zugang sympathisch. Ist er aber auch klug? Bisher gibt es 1333 Tote, die Kurve der Infektionen flacht ab, ihre Zahl beträgt 12.540. Zum Vergleich: Österreich hat mit etwa gleich großer Bevölkerung 14.451 Infizierte und 410 Tote zu beklagen. Die Zahl der Todesfälle ist in Schweden also beträchtlich höher, das italienische Szenario, wie von vielen befürchtet, ist aber nicht eingetreten.
Dass sich die Bevölkerung auch ohne Verbote an die Regeln hält, mag daran liegen, dass es in Schweden ein großes Vertrauen in den Staat gibt. Der tritt täglich in Person des Staatsepidemiologen Anders Tegnell vor die Kamera, flankiert von weiteren Experten – im Übrigen auch von Expertinnen, eine Seltenheit in dieser Krise. Nicht Politiker, sondern Wissenschafter stehen in Schweden in der ersten Reihe. Es geht nicht um Machtgewinn, sondern um Erkenntnisgewinn. Das wirkt.