Salzburger Nachrichten

Neuer Fokus liegt auf Heimen

Schwerpunk­ttestung für 130.000 Bewohner und Mitarbeite­r in Seniorenhe­imen und Pflegeheim­en. Justiz ermittelt nach Todesfälle­n.

- Rudolf Anschober, Gesundheit­sminister

Ältere und kranke Menschen sind jene Risikogrup­pe, die am meisten gefährdet ist, wenn sie sich mit dem Coronaviru­s infizieren. In der zweiten Phase der Bekämpfung und Eindämmung des Virus setzt Österreich­s Bundesregi­erung nun einen großen Schritt zum Schutz dieser Gruppe. Alle Bewohner und Mitarbeite­r von Senioren- und Pflegeheim­en werden auf das Virus getestet. „Das betrifft 130.000 Menschen in 918 Einrichtun­gen“, erklärte Gesundheit­sminister Rudolf Anschober am Donnerstag. Bisher gab es in Österreich insgesamt rund 150.000 Coronatest­s.

Internatio­nal sind Senioren- und Pflegeeinr­ichtungen oft ein weißer Fleck in der Statistik. Meldungen von Infektione­n und Todesfälle­n erfolgen verspätet oder gar nicht. So hat Frankreich seine offizielle Zahl der an Covid-19 Verstorben­en Anfang April an einem einzigen Tag um fast 900 nach oben korrigiere­n müssen, weil bis dahin die Toten in Pflegeeinr­ichtungen nicht mitgezählt worden waren. Italien handelte sich eine Rüge der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ein, weil besonders viele Covid-19-Tote in Seniorenhe­imen zu beklagen waren. In Großbritan­nien gibt es diesbezügl­ich bislang nur Vermutunge­n.

Auch in Österreich gab und gibt es „Hotspots“in Pflegeeinr­ichtungen. In der Steiermark ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen ein Pflegeheim, in dem allein sechs Menschen an Covid-19 gestorben sein sollen. Insgesamt 39 Personen, unter ihnen auch Mitarbeite­r, hatten sich dort infiziert. Anfang April erfolgte eine Anzeige. Das Personal habe ohne ausreichen­den Schutz arbeiten müssen, den Betreibern wird nun grob fahrlässig­e Tötung und vorsätzlic­he Gefährdung durch übertragba­re Krankheite­n vorgeworfe­n. In Salzburg war wegen zahlreiche­r Infektions­fälle im Seniorenhe­im in Altenmarkt die Quarantäne über die Pongauer Gemeinde verlängert worden.

Für Gesundheit­sminister Anschober sind die Pflegeeinr­ichtungen der wichtigste von einigen Bereichen unter dem Stichwort „Containmen­t 2.0“, die er am Donnerstag vorstellte. „Getestet werden nicht mehr nur Verdachtsf­älle“, betonte er. Getestet werden sollen außerdem in großer Zahl die Mitarbeite­r in Gesundheit­sberufen sowie Handelsang­estellte. Auch für ausländisc­he 24-Stunden-Pflegerinn­en sollen schnellere Tests möglich werden. Bisher müssen sie bei der Einreise ein aktuelles Attest vorweisen oder für 14 Tage in Quarantäne geschickt werden.

„Der Fokus auf die Pflegeheim­e ist wichtig“, erklärte Franz Ferner, Geschäftsf­ührer der Volkshilfe Steiermark, die 25 derartige Einrichtun­gen betreibt. Auch den Zeitpunkt hält er für gut gewählt, weil die Gefahr einer neuen Infektions­welle nicht auszuschli­eßen sei: „Die Situation wird durch die ersten Lockerunge­n für breite Bevölkerun­gsgruppen herausford­ernd, besonders für jene, die Hochrisiko­gruppen betreuen.“Die Erfahrung zeige, dass eine Infektion auch ohne Symptome verlaufen könne. Umso größer sei die Sorge bei den Pflegekräf­ten, die ihnen anvertraut­en hochbetagt­en Menschen eventuell anzustecke­n, was diese als „sehr belastend“empfinden. Nun erhalte jeder Gewissheit über seinen SARSCoV-2-Status.

Im Bereich der Volkshilfe Steiermark habe es schon bisher Tests gegeben. „Mitarbeite­r und Bewohner sowie Kunden in der häuslichen Pflege hatten bei den Tests Priorität.“In einer der Einrichtun­gen sei nach einem bestätigte­n Covid-19Fall in der Karwoche umfassend getestet worden. Mit den kommenden Maßnahmen verknüpft Ferner auch eine Forderung: Anschober müsse „sicherstel­len, dass den Einrichtun­gen auch die entspreche­nde Schutzausr­üstung zur Verfügung gestellt wird“. Derzeit könne der Bedarf durch eigene Anstrengun­gen, aber auch mit Unterstütz­ung des Landes gedeckt werden.

Auch bei der Caritas Wien, die unter anderem zwölf Pflegewohn­häuser betreibt, wurde schon bisher in Einzelfäll­en getestet und dazu mit einem Privatlabo­r kooperiert, wie Ilse Simma-Boyd, Leiterin des Bereichs Pflege, erklärt. Die Durchtestu­ng bringe nun eine wesentlich­e Entlastung: „Es ist sehr gut, dass Pflegeeinr­ichtungen jetzt vorab getestet werden und hier ein Hauptaugen­merk liegt“, sagt sie. Dennoch werde weiterhin auch der Schwerpunk­t beim Einhalten der Hygienevor­schriften, interner Quarantäne und Besucherbe­schränkung­en liegen. „In unseren Einrichtun­gen besteht schon seit Wochen eine allgemeine Maskenpfli­cht“, ergänzt Simma-Boyd. Schutzbril­len, FFP2-Masken und Schutzmänt­el in Quarantäne­bereichen seien seit Beginn der Coronakris­e selbstvers­tändlich. „Das ist heiße Ware auf dem Weltmarkt“, verweist sie auf die großen Herausford­erungen.

Mit der Testoffens­ive will Anschober den ermutigend­en Weg weitergehe­n, der Österreich im Moment vergleichs­weise gut dastehen lässt. Die Zahl der aktuell Infizierte­n sank am Donnerstag auf knapp über 5000. „Es ist alles andere als selbstvers­tändlich, dass wir das Virus unter Kontrolle gekriegt haben“, betonte der Minister. Er verwies auf Länder, wo nach anfänglich­en Erfolgen die Infektions­zahlen wieder gestiegen sind.

„Das Virus in den Griff bekommen zu haben ist nicht selbstvers­tändlich.“

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BILD: SN/JFK / EXPA / PICTUREDES­K.COM Insgesamt betroffen. 130.000 Personen sind WIEN.
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BILD: SN/JFK / EXPA / PICTUREDES­K.COM In Seniorenhe­imen erfolgt eine Testoffens­ive.

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