Was Gemeinschaften widerstandsfähig macht
Derzeit führt der Corona-Shutdown vor, was „kritische Infrastruktur“bedeutet. Im Setzen einschränkender Maßnahmen zog die Regierung die Linie zwischen kritischen und nicht kritischen Bereichen des öffentlichen Lebens, Letztere wurden vorübergehend ausgesetzt. Zur kritischen Infrastruktur gehört etwa die Produktion von und Versorgung mit Gütern des täglichen Gebrauchs, Gesundheitsdienstleistungen und öffentliche Dienstleistungen der Daseinsvorsorge (Wasser, Strom, Abfall, Post, Medien, Transport) oder aber auch die Beisetzung der Verstorbenen als letzte religiöse oder kommunale Dienstleistung.
Die Coronakrise führt uns die Bedeutung jener Menschen vor Augen, die in ebensolchen Bereichen tätig sind, oft unter prekären Arbeitsbedingungen, derzeit oft unter Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit: zum Beispiel 24-Stunden-Pflegekräfte, Erntehelfer, Reinigungskräfte im klinischen Bereich, Mitarbeiter im Einzelhandel oder im öffentlichen Personenverkehr. Es bleibt zu hoffen, dass derzeit erhobene Fragen nach ihrer gerechten Entlohnung, nach menschenwürdiger Arbeit und Anerkennung auch noch nach der Coronakrise öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz erfahren.
Das Bild muss aber aus sozialethischer Sicht um wenigstens zwei Facetten erweitert werden. Zur kritischen Infrastruktur gehören jedenfalls auch alle sozialen Dienste, die den bereits bisher Hilfsbedürftigen und Schwächsten der Gesellschaft existenziell notwendige Hilfe angedeihen lassen. Auch sie müssen unter dem Druck der Verhältnisse umgestellt werden: Zum Beispiel sozialpädagogische Hilfen, die nunmehr versuchen müssen, Familien mit Unterstützungsbedarf aus der Distanz zu helfen, auch bei neuen Aufgabenstellungen wie dem Fernunterricht; dazu zählen auch
Notschlafstellen, Andockstellen für unbeschäftigte Jugendliche oder Kriseninterventionsstellen.
Gerade in diesem Bereich, wo sehr viel am individuellen Engagement hängt, bricht derzeit viel an kritischer sozialer Infrastruktur weg. Am augenscheinlichsten wurde die Dramatik der Situation in Frankreich, wo Obdachlose dafür bestraft wurden, dass sie Auflagen der Regierung missachtet und sich weiterhin im öffentlichen Raum aufgehalten hatten – angesichts von geschlossenen Bibliotheken, Einkaufszentren und Bahnhofsbereichen.
Zur kritischen Infrastruktur zu zählen ist außerdem die in diesem Ausnahmezustand ganz neu geforderte Nachbarschaftshilfe. Vielerorts trägt diese neu aufgebaute Infrastruktur zur Versorgung v. a. der älteren Bevölkerung mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern bei, oder es wird einfach telefonischer Kontakt gehalten, um Vereinsamung vorzubeugen. Das tatsächliche Bild dieser so wertvollen kleineren und größeren Hilfsleistungen
ist wesentlich bunter, als es hier gezeichnet werden kann. Sie alle wären in dieser Form nicht möglich ohne ein gemeinsames Fundament, das nicht verordnet und organisiert werden kann – jenes des gegenseitigen Vertrauens und einer darauf aufbauenden Verbundenheit und gelebten Solidarität. Dies ist der entscheidende „Grundstock“einer jeden kritischen Infrastruktur. Man spricht hier von der intangiblen, nicht greifbaren Infrastruktur einer Gemeinschaft. Auch sie ist „kritisch“, auch sie ist notwendig und will gepflegt werden.
Nur wenn und solange gegenseitiges Vertrauen besteht, bleiben Gemeinschaften handlungsfähig und lebendig. Nur dann sind sie als Gemeinschaften widerstandsfähig und können gemeinsam Ausnahmesituationen und Krisen überstehen.