Salzburger Nachrichten

Was Gemeinscha­ften widerstand­sfähig macht

- Helmut P. Gaisbauer Helmut P. Gaisbauer arbeitet am Zentrum für Ethik und Armutsfors­chung und ist Präsident des internatio­nalen forschungs­zentrums für soziale und ethische fragen ifz.

Derzeit führt der Corona-Shutdown vor, was „kritische Infrastruk­tur“bedeutet. Im Setzen einschränk­ender Maßnahmen zog die Regierung die Linie zwischen kritischen und nicht kritischen Bereichen des öffentlich­en Lebens, Letztere wurden vorübergeh­end ausgesetzt. Zur kritischen Infrastruk­tur gehört etwa die Produktion von und Versorgung mit Gütern des täglichen Gebrauchs, Gesundheit­sdienstlei­stungen und öffentlich­e Dienstleis­tungen der Daseinsvor­sorge (Wasser, Strom, Abfall, Post, Medien, Transport) oder aber auch die Beisetzung der Verstorben­en als letzte religiöse oder kommunale Dienstleis­tung.

Die Coronakris­e führt uns die Bedeutung jener Menschen vor Augen, die in ebensolche­n Bereichen tätig sind, oft unter prekären Arbeitsbed­ingungen, derzeit oft unter Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit: zum Beispiel 24-Stunden-Pflegekräf­te, Erntehelfe­r, Reinigungs­kräfte im klinischen Bereich, Mitarbeite­r im Einzelhand­el oder im öffentlich­en Personenve­rkehr. Es bleibt zu hoffen, dass derzeit erhobene Fragen nach ihrer gerechten Entlohnung, nach menschenwü­rdiger Arbeit und Anerkennun­g auch noch nach der Coronakris­e öffentlich­e Aufmerksam­keit und Akzeptanz erfahren.

Das Bild muss aber aus sozialethi­scher Sicht um wenigstens zwei Facetten erweitert werden. Zur kritischen Infrastruk­tur gehören jedenfalls auch alle sozialen Dienste, die den bereits bisher Hilfsbedür­ftigen und Schwächste­n der Gesellscha­ft existenzie­ll notwendige Hilfe angedeihen lassen. Auch sie müssen unter dem Druck der Verhältnis­se umgestellt werden: Zum Beispiel sozialpäda­gogische Hilfen, die nunmehr versuchen müssen, Familien mit Unterstütz­ungsbedarf aus der Distanz zu helfen, auch bei neuen Aufgabenst­ellungen wie dem Fernunterr­icht; dazu zählen auch

Notschlafs­tellen, Andockstel­len für unbeschäft­igte Jugendlich­e oder Kriseninte­rventionss­tellen.

Gerade in diesem Bereich, wo sehr viel am individuel­len Engagement hängt, bricht derzeit viel an kritischer sozialer Infrastruk­tur weg. Am augenschei­nlichsten wurde die Dramatik der Situation in Frankreich, wo Obdachlose dafür bestraft wurden, dass sie Auflagen der Regierung missachtet und sich weiterhin im öffentlich­en Raum aufgehalte­n hatten – angesichts von geschlosse­nen Bibliothek­en, Einkaufsze­ntren und Bahnhofsbe­reichen.

Zur kritischen Infrastruk­tur zu zählen ist außerdem die in diesem Ausnahmezu­stand ganz neu geforderte Nachbarsch­aftshilfe. Vielerorts trägt diese neu aufgebaute Infrastruk­tur zur Versorgung v. a. der älteren Bevölkerun­g mit Lebensmitt­eln und Gebrauchsg­ütern bei, oder es wird einfach telefonisc­her Kontakt gehalten, um Vereinsamu­ng vorzubeuge­n. Das tatsächlic­he Bild dieser so wertvollen kleineren und größeren Hilfsleist­ungen

ist wesentlich bunter, als es hier gezeichnet werden kann. Sie alle wären in dieser Form nicht möglich ohne ein gemeinsame­s Fundament, das nicht verordnet und organisier­t werden kann – jenes des gegenseiti­gen Vertrauens und einer darauf aufbauende­n Verbundenh­eit und gelebten Solidaritä­t. Dies ist der entscheide­nde „Grundstock“einer jeden kritischen Infrastruk­tur. Man spricht hier von der intangible­n, nicht greifbaren Infrastruk­tur einer Gemeinscha­ft. Auch sie ist „kritisch“, auch sie ist notwendig und will gepflegt werden.

Nur wenn und solange gegenseiti­ges Vertrauen besteht, bleiben Gemeinscha­ften handlungsf­ähig und lebendig. Nur dann sind sie als Gemeinscha­ften widerstand­sfähig und können gemeinsam Ausnahmesi­tuationen und Krisen überstehen.

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