Salzburger Nachrichten

Weniger Insekten? Der Klimawande­l ist nicht schuld

Auf vielen Flächen tummeln sich heute etwa ein Drittel weniger Insektenar­ten als noch vor einem Jahrzehnt.

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Geschichte­n über das Artensterb­en sind nicht wirklich neu. Und oft bringt man die Klimaerwär­mung damit in Verbindung. Jüngste Forschungs­ergebnisse von Salzburger und deutschen Wissenscha­ftern zeigen aber nicht nur die besondere Dramatik der Entwicklun­g auf. Die Ursachen dafür sind viel komplexer, als man gemeinhin glaubt, und haben mit dem Klimawande­l nur am Rande zu tun.

Der Salzburger Umweltfors­cher Jan Christian Habel hat mit einem internatio­nalen Forschungs­team unter der Leitung der Technische­n Universitä­t München zwischen 2008 und 2017 unzählige Insektengr­uppen in Brandenbur­g, Thüringen und Baden-Württember­g erfasst. Auf 300 Flächen hat man über eine Million Insekten gesammelt und konnte damit nachweisen, dass viele der fast 2700 untersucht­en Arten in ihrem Bestand stark abnehmen. Einige seltenere Arten wurden in den vergangene­n Jahren in manchen der beobachtet­en Regionen gar nicht mehr gefunden. Sowohl auf den Waldfläche­n als auch auf den Wiesen zählten die Wissenscha­fter nach zehn Jahren etwa ein Drittel weniger Insektenar­ten.

Der Biowissens­chafter Jan Christian

Habel von der Universitä­t Salzburg erklärt dazu: „Bisher war nicht klar, ob und wie stark auch der Wald vom Insektenrü­ckgang berührt ist.“Das Team stellte aber fest, dass die Biomasse der Insekten in den untersucht­en Wäldern seit 2008 um etwa 40 Prozent zurückgega­ngen ist. Im Grünland waren die Ergebnisse noch alarmieren­der: Die Insektenbi­omasse hat sich auf ein Drittel ihres früheren Niveaus verringert. Habel: „Ich untersuche vor allem auch Schmetterl­inge. Früher umschwirrt­en einen Sommerflie­der bis zu 30 Schmetterl­inge, heute sind es im Schnitt drei.“

Aber was hat diese Entwicklun­g in den vergangene­n Jahren so dramatisch verschärft? Die Ursachen sind so vielfältig und greifen oft sehr stark ineinander, sodass es für den Biowissens­chafter Habel gar nicht einfach ist, einzelne Faktoren herauszuhe­ben. Aber ganz an der Spitze ist für ihn der massive Einsatz von Schädlings­bekämpfung­smitteln und Unkrautver­nichtern zu nennen. Damit verschwänd­en zum einen nicht nur viele Ackerwildk­räuter als Lebensgrun­dlage. Zum anderen würden dadurch auch viele Insekten direkt getötet. Und zwar nicht nur direkt dort, wo die Pestizide ausgebrach­t würden, sondern durch das „Verdriften“auch in der näheren und auch weiteren Umgebung.

Den größten Schwund stellten die Forscherin­nen und Forscher auf den Grünlandfl­ächen, die in besonderem Maße von Ackerland umgeben sind, fest. Dort litten vor allem die Arten, die nicht in der Lage sind, große Distanzen zu überwinden. „Die Fragmentie­rung der Lebensräum­e ist für viele Arten ein großes Problem. Früher hat man viele Flächen viel extensiver bewirtscha­ftet. Heute bleiben nur Restlebens­räume übrig, die wie kleine Inseln im Meer intensiv bewirtscha­fteter Flächen untergehen“, erklärt Habel.

Dazu kommt die intensive Düngung, die der Biowissens­chafter auch an Salzburg festmachen kann: „Die Wiesen sind tiefgrün, im Frühjahr

blüht nur noch der Löwenzahn. Dazu kommt: Wenn mehr als drei Mal gemäht wird, können sich nicht nur an Gräsern und Blumen keine Samen mehr ausbilden. Viele Insekten, die ihre Eier in der Wiese ablegen, und ihre Larven werden beim Mähen auch direkt getötet.“

Der Düngungsef­fekt wird wiederum durch Stickstoff­einträge aus der Massentier­haltung, aber natürlich auch aus dem Verkehr gefördert. „Das reduziert selbst die Artenvielf­alt in Naturschut­zgebieten und Mooren. Klassische Heidelands­chaften vergrasen total“, erklärt Habel. Den Klimawande­l kann man nach seinen Angaben als Verursache­r vernachläs­sigen. Es könne zwar dazu kommen, dass die an die Kälte angepasste­n Arten weiter in größere Höhen abwanderte­n. Tatsächlic­h gebe es durch höhere Temperatur­en aber eher einen Nettozugew­inn durch die Zuwanderun­g mediterran­er Insekten.

Was tun? Habel plädiert stark für eine extensive und ökologisch­e Landwirtsc­haft, die Wiesen zum Beispiel im besten Fall nur ein bis zwei Mal mäht – und auf keinen Fall mehr als drei Mal. Naturschut­zgebiete muss man seiner Meinung nach ausweiten und die Landschaft rundherum darf für viele Arten keine unüberwind­bare Hürde sein.

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BILD: SN/MONTRI - STOCK.ADOBE.COM Der Rückgang an Schmetterl­ingen sticht Wissenscha­ftern besonders ins Auge.

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