Autonomer Verkehr soll die Öffis ergänzen
Salzburger Forscher setzen digitale Schwerpunkte zum Thema Bewegung. Dazu gehört der Verkehr genauso wie der Sport.
Siegfried Reich ist wissenschaftlicher Geschäftsführer von Salzburg Research, das ein unabhängiges Forschungsinstitut ist und die Bewegung der Dinge unter dem Stichwort „Motion Data Intelligence“messbar macht. Im SN-Interview erklärt Reich, welchen Beitrag zum einen die Digitalisierung zur Lösung der Verkehrsprobleme leisten kann und wie zum anderen auch Skifahrer oder Läufer viel mehr als bisher davon profitieren werden.
SN: Am Forschungsstandort Salzburg, der im Vergleich zu anderen Bundesländern über keine Technische Universität verfügt, geht es zukünftig viel stärker als bisher darum, Kräfte der verschiedenen Forschungseinrichtungen zu bündeln und Schwerpunkte zu setzen. Was heißt das für Salzburg Research?
Siegfried Reich: Wir setzen einen inhaltlichen Schwerpunkt auf die Thematik „Motion Data Intelligence“. Dabei geht es zum Beispiel um die Analyse von Bewegungsdaten von Fahrzeugen, von Verkehrslagen, Auswirkungen von Kreisverkehren, Ampelschaltungen und dergleichen mehr. Der zweite Bereich dreht sich darum, wie sich Personen bewegen. Im Sport heißt das dann: Wie gut sind meine Carvingschwünge? Bin ich ein Zehen- oder ein Fersenläufer? Mache ich Übungen richtig?
Wir fokussieren also auf Bewegung und lassen andere Dinge weg, die wir in der Vergangenheit auch gemacht haben. Darüber hinaus wollen wir unsere Rolle als sogenannter Facilitator, als „Ermöglicher“, stärken.
SN: Was ist damit konkret gemeint?
Dabei geht es darum, dass wir zum Beispiel in der Digitalisierung des Sports gemeinsam mit anderen Forschungseinrichtungen, besonders mit der Universität Salzburg, größere, überregional sichtbare Vorhaben aufsetzen. Dazu gehört das COMET-Projekt „Digital Motion“.
Der Hintergrund: Wir sehen einen Bedarf in der Wirtschaft und Industrie. Der kommt in diesem Fall aus der Digitalisierung und Technisierung des Sports. Wir suchen dann die relevanten Partner, wie die
Sportwissenschafter in Salzburg, die Sportpsychologen, auch die Experten von Human Computer Interaction (HCI), um gemeinsam mit ihnen und Industriepartnern voranzukommen, idealerweise entlang einer Wertschöpfungskette.
In der Industrie sind das Partner, die Sensoren in Schuhe, Ski oder Bekleidung integrieren können, wie Digital Elektronik in Grödig oder Grabher Textilveredelung in Vorarlberg. Das sind weiters Firmen, wie Atomic oder Adidas, die solche Produkte anbieten, aber auch Dienstleister, wie der Bärenhof in Bad Gastein, die das in einem Rehazentrum in die Praxis bringen können. Weiters zählen dazu das Red Bull Media House und die Firma Abios am Techno-Z, mit denen wir gemeinsam Projekte aufsetzen.
SN: Der Verkehr ist eine der großen Herausforderungen in Salzburg. Welche Rolle bei der Entwicklung zukünftiger Lösungen kann Salzburg Research spielen?
Wir sehen uns in der Analyse und im Bereitstellen von Zahlen, Daten und Fakten, um auch die Emotion aus der Diskussion herauszunehmen. Der Verkehr ist ja wie Schule, Tourismus oder Fußball eines der Themen, wo wir in Österreich acht Millionen Experten haben, die wissen, wie wir das in den Griff bekommen können. Ein Beispiel für unsere Analysen: Auf einem bestimmten Straßensegment habe ich um 8 Uhr im Vergleich zu einem typischen Tag eine regelmäßige Verzögerung um mehrere Minuten. Die Politik entscheidet dann auf Basis dieser Daten, wenn es um Ampelschaltungen geht, oder die Polizei, wenn es die Sicherheit betrifft.
SN: Können Sie ein konkretes Beispiel bringen, wie durch die Analysen, abgesehen jetzt von Ampelintervallen, der Verkehr flüssiger werden kann?
Wir haben eine Analyse über die Verlängerung der Busspur in Richtung Freilassung von rund 400 Metern gemacht: Da ist herausgekommen, dass sich mit dieser Verlängerung die Fahrzeit auf der gesamten Strecke im Schnitt nicht substanziell geändert hat. Aber die enormen Spitzen in der Verzögerung sind weggefallen, die dadurch entstanden sind, dass der Bus schon vor der Busspur im Stau gestanden ist. Für die Fahrgäste heißt das dann, dass man für die Fahrt von
Lieferung in die Stadt zum Beispiel 15 Minuten benötigt – und das auch, wenn viel Verkehr ist. Vor der Verlängerung der Busspur konnten das auch 25 Minuten sein.
SN: Sie forschen auch im Bereich autonomes Fahren mit dem Digibus-Projekt in Koppl. Wie sehr wird autonomes Fahren unseren Verkehr verändern?
In Koppl haben wir ein Reallabor aufgebaut, wir testen also in einem nicht abgesperrten Gelände. Die Idee ist, dass wir die Verbindung entlang von öffentlichen Hauptverkehrsachsen in abgelegene Orte durch automatisiertes Fahren ermöglichen. Der Bus selbst kommt vom Hersteller. Aber damit er funktionieren kann, benötigt er hoch genaue Karten und hoch verfügbare drahtlose Netzwerkkommunikation. Zukünftig wollen wir damit Ausschreibungen der öffentlichen
Hand, mit Verkehrsverbund, Postbus, den ÖBB, den Gemeinden und mit der Politik aufbereiten.
Technisch ist man noch nicht so weit, dass die Systeme so ausgereift sind, um sich darauf verlassen zu können. Und rechtlich ist es so, dass immer noch ein sogenannter Operator im Bus sitzen muss. Solange das erforderlich ist, wird sich das kaufmännisch nicht rechnen. Was man von Tesla und Co. kennt, funktioniert nur auf Hauptstraßen, und auch dann nicht, wenn zum Beispiel der weiße Streifen am Rand schlecht markiert ist.
SN: Wann wird man diese Probleme gelöst haben?
Der Durchbruch wird zunächst in abgeschlossenen Werksgeländen erfolgen, beispielsweise auf einem Flughafengelände. Wenn man an Koppl denkt, wird man schon noch mindestens ein Jahrzehnt warten müssen, bis das funktionieren wird.
SN: Wird es schneller bei den Projekten im Sportbereich gehen? Welche Perspektiven gibt es da für die Konsumenten?
Die Leute verwenden schon heute Schrittzähler, wie viele Kilometer sie gelaufen oder wie viele Pistenkilometer sie gefahren sind. Das Interesse der Leute und der Industrie geht jetzt dahin, nicht nur in die Quantität, sondern auch in die Qualität zu schauen. Also wie waren meine letzten zehn Carvingschwünge? Oder kann die Sensorik nach zwei Stunden Skifahren und der Tatsache, dass die Schwünge immer mehr gerutscht und nicht gecarvt werden, meine Ermüdung ablesen und mir einen Hinweis für eine Pause geben?
Ähnliches kann man sich auch beim Laufen vorstellen: Die Leute interessieren sich für Puls, Herzratenvariabilität und dergleichen mehr. Die technische Schwierigkeit ist jetzt, die Sensorik so klein zu machen und so gut zu verbauen, dass man sie möglichst nicht merkt. Ohne also die Schuhe aufladen zu müssen. Und der zweite Punkt: Die gelieferten Informationen müssen stimmen. Wir reden da zum Beispiel von Sensorik, die in Sport-BH oder in die Sohle von Laufschuhen integriert sind. Die Sensoren müssen gegen Nässe und Kälte resistent sein, idealerweise sollte man die Dinge auch waschen können. Hier stellen sich viele Fragen: Wie kommuniziere ich dem Skifahrer, dass er müde ist? Die Nachricht könnte beim Anstellen am Lift kommen oder dass ich einen Knopf im Ohr oder eine Applikation am Skigewand habe, wo eine Ampel auf Gelb springt oder mir eine kleine Nachricht angezeigt wird.
SN: Wie stark ist die Industrie in dieser Phase eingebunden?
Die Industrie nimmt zum Beispiel beim genannten COMET-Projekt sehr viel Geld in die Hand. Wir reden da von vier Millionen Euro über vier Jahre, die Hälfte davon kommt von der Industrie, die andere Hälfte von Bund und Land Salzburg.
SN: Wie sehr beschäftigt sich Salzburg Research mit dem Zukunftsthema 5G?
Wenn das Reallabor eins der Digibus und Reallabor zwei der digitale Berg sind, dann ist Reallabor drei das 5G-Exploration-Center. Der Trend in der Forschung ist, sich nicht nur im Labor zu bewegen, sondern hinauszugehen. Das hat damit zu tun, dass die Sensorik kleiner wird, dass erst im realen Testen klar wird, wie die Dinge funktionieren und was den Leuten gefällt. Salzburg Research will das gemeinsam mit anderen Partnern vermehrt vorantreiben.